Nix wie hin: Stößchen auf das Theater nach den Lockdowns!

Wo sind sie geblieben?

Kultur findet längst wieder statt, aber das Publikum bleibt fern. Wie steht es ums Theater?

 

»Ein Gespenst geht um im Theater«, schrieb bereits im Mai 2022 Vasco Boenisch, Chefdramaturg des Schauspielhaus Bochum, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. »Das Gespenst vom Publikumsschwund! Kommt das Publikum zurück?« Nun, leider erst einmal nicht, scheinen die Zahlen zu suggerieren, die der Deutschen Bühnenverein kürzlich veröffentlicht hat. Ende Juli hat er die neueste Werkstatistik für die Saison 2020/21 präsentiert, 427 Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben dafür ihre Daten eingereicht. »Die Zahl der Zuschauer*innen ist angesichts der Dauerschließungen beziehungsweise stark begrenzter Platzzahlen im Parkett um 86 Prozent zurückgegangen«, heißt es darin. Im Klartext: In der Spielzeit 2020/21, die am folgenreichsten von den Einschränkungen der Corona-Pandemie betroffen war, sank die Zahl der Besucher*innen in den Theatern um 89 Prozent im Vergleich zum Jahr vor der Pandemie..

Viele im Theater, darunter auch Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, finden diesen drastischen Rückgang nicht überraschend. Schließlich hat das pandemische Theaterjahr zum größten Teil aus Lockdowns bestanden: Von November 2020 bis Mai 2021 fanden keine analogen Vorstellungen statt. Bei einer potenziellen Spielzeit von zehn Monaten blieben also nur vier Monate in denen überhaupt — und dann nur unter großen Einschränkungen und mit weniger Sitzplätzen — gespielt werden konnte. »Zur aktuellen Situation gibt es noch keine belastbaren Zahlen«, sagt Claudia Schmitz. »Es kann also nicht von einem eindeutigen Trend gesprochen werden. Zudem sind die regionalen Unterschiede sehr groß.«

Allerdings zeigt die Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins, das auch in der Spielzeit 2019/2020, die Besucher*innenzahl abnahmen, nämlich um 29 Prozent. Bei der diesjährigen Jahresversammlung wurde die Situation daher eingehender analysiert — mit dem Ergebnis: Die Zahl der Abonnements nimmt stetig ab, gleichzeitig geht auch der Anteil älterer Zuschauer*innen zurück. Das beobachtet auch Gerhard Seidel, Leiter des Freien Werkstatt Theaters (FWT) in der Kölner Südstadt: »Das Theater befindet sich in einem Strukturwandel, der so groß ist, wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.« Auch zu Vorstellungen in seinem Haus kommen weniger Zuschauer*innen als vor der Pandemie, er steht vor dem Problem: »Das junge Publikum kommt eher interessengebunden, wird aber nicht zum neuen Stammpublikum. Die ältere Zuschauerschicht ist hingegen vorsichtiger geworden und bleibt im Moment noch weg.« Im Freien Werkstatt Theater gibt es daher seit einem Jahr die Stelle des Audience Development als Schnittstelle zwischen Publikum und Produktionen, die zu analysieren versucht: Wo steht das Publikum? Wie kann neues generiert werden?

Im Theater im Bauturm ist Lynn Wellens für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Bis zur Sommerpause, erzählt sie, waren hier die Anzahl der Sitzplätze weiterhin um ein Drittel reduziert, dennoch sieht sie eine positive Entwicklung. Die Premieren seien in der Regel dennoch gut gefüllt. Und auch Claudia Schmitz vom Deutschen Bühnenverein blickt positiv in die Zukunft: »Es lassen sich insgesamt im Theater Trends der Öffnung feststellen, die Bindungen herstellen und Partizipa­tion ermöglichen sollen.«

Wie aber lässt sich die Entwicklung aufhalten? Wie kann das Theater wieder attraktiv werden, gerade für ein jüngeres Publikum? »Den Publikumsschwund gibt es letztlich schon seit Jahren«, schrieb nach dem Berliner Theatertreffen der Journalist Jakob Hayner in einem scharfzüngigen Artikel in der Welt. »Er wurde durch eine immer steigende Zahl von Veranstaltungen, durch immer mehr Premieren und Zusatzevents notdürftig kaschiert. Nun aber ist das Problem nicht mehr zu ignorieren.« Er fordert künstlerische Vorschläge, ebenso wie Claudia Schmitz vom Deutschen Bühnenverein. »Nach wie vor gibt es das Bedürfnis zusammen zu kommen, Kunst zu erleben und darüber den Diskurs zu führen.«

Bleibt also daran zu erinnern, dass sich zwischen Menschen üblicherweise mehr abspielen kann als während der Lockdowns — das Theater kann dazu bestenfalls beitragen.