Alfred Jarry

Ein pataphysisches Leben

Mit »Père Ubu« begründete Alfred Jarry das absurde Theater. Wer war der Dichter?

 

Es ist der »Père Ubu«, mit dem alles begann. Ein dickwanstiger König, in dessen Bauch gestopft ist, was die Welt zum Schlechten macht. Alfred Jarry erfand ihn — nach dem Vorbild seines Physiklehrers — als Pennäler am Lyzeum in Rennes, führte ihn erstmals im Alter von 15 Jahren auf dem Dachboden mit Marionetten vor und entfesselte 1896 mit ihm und der Verballhornung des Wortes ­»Merde!« einen Theaterskandal. Doch während der »Père Ubu« heute als Gründungsstück des absurden Theaters gilt, ist über seinen Autor bislang wenig bekannt. Dabei ist Alfred Jarry, geboren am 8. September 1873, gestorben am 1. ­November 1907, zweifellos eine der schillerndsten Personen der Theatergeschichte.

Alastair Brotchie hat ihm eine rund 600 Seiten starke Biografie gewidmet — sehr lesenswert und sehr rührend, weil sie auch die Biografie eines lebenslang Unangepassten ist. »Es ist Jarrys Leben, das exemplarisch herangezogen wird, wenn nach einer Personifizierung des Begriffs ›Revolution‹ im ursprünglichsten Sinne des Wortes gesucht wird«, schreibt Alastair Brotchie. Alfred Jarry lebte bitterarm jahrelang in der Zwischenetage eines Hauses, die ­Decke gerade einmal 1,60 Meter hoch, veröffentlichte seine Bücher auf eigene Kosten, weil kein Verleger etwas mit ihm anfangen wollte, und erfand schließlich sogar eine eigene Wissenschaft: die Pataphysik, die Lehre der imaginierten Lösungen, mit der sich seit 1948 ein eigenes Collège befasst, zu deren Anhängern Marcel Duchamp, Umberto Eco und Man Ray gehörten. Aber auch: »Jarry, derjenige, der revolvert«, weil er die größte Genugtuung darin fand, »die Spießer mit seinem Revolver in Schrecken zu versetzen«, wie Obersurrealist André Bre­ton einmal von ihm sagte.

In den letzten Jahren seines Lebens lief Alfred Jarry, drogen- und alkoholsüchtig, mit zwei Schießeisen an der Hüfte, einer Pelzmütze auf dem Kopf und Pantoffeln an den Füßen herum, und verlernte mehr und mehr zu unter­scheiden zwischen Fiktion und Realität. In seinem letzten Brief an eine Freundin schrieb er, bereits todkrank: »Er glaubt, dass das Gehirn bei der Verwesung über den Tod hinaus funktioniert und dass es seine Träume sind, die das Paradies ausmachen.« Als letzten Wunsch soll er geäußert haben, man möge ihm einen Zahnstocher bringen — die Krönung für das kleine Meisterwerk schwarzen Humors, das Alfred Jarry aus seinem Leben gemacht hatte.