Schreibt am Spinnennetz: Helene Hegemann

Snoopy, Sex und Politik

Helene Hegemann fragt in »Schlachtensee« nach echter und simulierter Auflehnung

»Ein bisschen was wegzukratzen von der Grenze zwischen echter Auflehnung und der systembestätigenden Auflehnung.« Über Menschen, die diese Grenze reißen, denkt Esther während eines Skiunfalls in Helene Hegemanns neuem Erzählband »Schlachtensee« nach. Im Kern der fünfzehn Geschichten geht es immer auch um diese Grenze.

Da ist das US-amerikanische Paar mit mehreren Autos und Privat-Tennisplatz, das einerseits bei Gänsestopfleber und Rotwein mit Freunden über den Kauf irischer Cottage-Häuser plaudert, andererseits pseudo-marxistische Vorträge hält und den Nachbarn verteufelt, der mit einem Golfschläger einen Pfau erschlagen hat. Da ist Safran, die sich in einer linksprogressiven kanadischen Kommune unwohl fühlt, weil sie »für die anderen eine Art Stellvertreterin für etwas war, das sie für das ›wahre Elend‹ hielten«, die schließlich auszieht, als sie genug hat von selbstreferenziellen Diskussionen. Da ist Minute, der »Antifasticker neben Hakenkreuzen auf Pressholzwänden« entdeckt, als er Dustins Haus betritt. Die Widersprüche und die Gleichzeitigkeiten sind frappierend.

Vordergründig sind diese Erzählungen Beziehungs- und Milieu-Geschichten. Mitte-ZwanzigJährige besuchen die Familie oder fahren mit Freund*innen in den Urlaub, man nimmt Drogen und redet, hört Musik und googelt, hat Sex und liebt polyamourös, man befindet sich in Deutschland, in Österreich, in Russland, in Ägypten, in den USA oder Kanada. Aber immer müssen die plastischen, originell gezeichneten Figuren in gewaltsamen, widersprüchlichen Verhältnissen bestehen. Der Sound dieser Prosa strotzt vor Lässigkeit, changiert ins Mündliche, manchmal Derbe, ohne erzählerische Naivität suggerieren zu wollen.

»Schlachtensee«, im Paratext als »Stories« bezeichnet, ist ein kunstvoll konstruierter Erzählband, der die fünfzehn Texte wie ein Spinnennetz miteinander verwebt. Motive wie Snoopy, Wildschweine, versehrte Vögel oder der Traum und die Ohnmacht kehren wieder, und eine Protagonistin wird in der übernächsten Erzählung zur Nebenfigur. Alle paar Seiten flirren popkulturelle Referenzen durch diese erzählte Welt, von Missy Elliot und Timbaland über die Sims bis zu Netflix-Dokus und J. D. Salinger. All das entwickelt einen Drive, einen Sog, in dem man immer weiterlesen will.

stadtrevue präsentiert
Lesung: Do 1.9., Stadtgarten, 20 Uhr
Verlosung > Tageskalender erste Seite

Helene Hegemann: »Schlachtensee: Stories«
Kiepenheuer & Witsch, 272 Seiten, 23 Euro