Weiß, was den Punk gebrochen hat: Dave Markey, Foto: Thomas Venker

Bilder aus meiner Generation der Geschädigten

Eine Begegnung mit dem Punk-Dokumentaristen Dave Markey in Los Angeles

Wer sich für die Geschichte von Punk und Hardcore interessiert, kennt sehr wahrscheinlich den kalifornischen Filmemacher Dave Markey.  Zumindest seinen bekanntesten Film: »1991: The Year Punk Broke« heißt seine Dokumentation über jene Europatournee von Sonic Youth und Nirvana, die die Underground-Musik-Welt für immer verändern sollte: Sie markierte den Punkt, an dem der Underground seine Unschuld verlor. Markey hat auch Spielfilme gedreht (»Desperate Teenage Lovedolls« und »Lovedolls Superstar«) und Dokumentationen sowie unzählige Videoclips für Acts wie Dinosaur Jr., No FX oder Bob Mould. Er ging mit nicht wenigen späteren Schauspiel- und Rockstars zur High School und lebt bis heute in der Westcoast-Metropole. Die Anfänge von Punk und Hardcore hat Markey hautnah miterlebt — und auch wie sich die ­Genres und die Protagonist:innen schnell dem Leben oder dem Markt ergaben. Er selbst pflegt eine Existenz jenseits von Hollywoods Glamourwelt.

Dave Markey empfängt uns in seiner Wohnung in West Hollywood, in der er seit 30 Jahren lebt.

Dave, du bist in Los Angeles geboren und lebst immer noch in der Stadt. Wie fühlt sich das an?

Ich habe versucht, an anderen Orten zu leben, aber ich bin immer wieder zurückgekommen. Meine Wurzeln hier sind zu tief, ich bin zu sehr mit dem Rhythmus dieses Ortes verwachsen. So sehr mich LA auch manchmal in den Wahnsinn treibt, gewöhnt man sich doch an alles — und plötzlich lebe ich seit 30 Jahren in dieser Wohnung. Mehr als die Hälfte von West Hollywood unterliegt der Mietpreisbindung. Ich zahle nur einen Bruchteil von dem, was andere bezahlen müssen — viele Wohnungen hier in der Gegend kosten 2.000, 3.000, 4.000 Dollar im Monat.

Viele Ecken in LA sehen kaputt aus — und trotzdem sind die Mieten absurd hoch.

Hier ist das, was man sieht, nicht unbedingt das, was man bekommt. Man braucht ein Leben lang, um das herauszufinden. Hier wohnen Menschen in Gebäuden, die in einem anderen Land als Ghetto abgetan würden. Trotzdem zahlen sie unverschämt viel Miete, um in diesem städtischem Verfall zu leben.

Du hast mit »The Reinactors« 2006 eine Dokumentation über den Hollywood Boulevard und seine Protagonist:innen gedreht. Auf den ersten Blick unterscheidet sich der Film von deinen sonstigen Arbeiten, bei genauem Hinsehen haben die Menschen darin aber viel mit den Protagonist:innen der Punk-Szene gemeinsam: Sie leben ein Leben als Outsider.

Das stimmt. Obwohl es ein Dokumentarfilm ist, erinnert er mich doch an meine beiden »Lovedolls«-Filme, was daran liegt, dass die Menschen in der Doku direkt aus jenem verfallenden Hollywood stammen, auf das ich mich bei den Dreharbeiten zu »Desperate Teenage Lovedolls« »Lovedolls Superstar« Mitte der 80er Jahre konzentriert habe. Auf dem Hollywood Boulevard findet man viel Verrücktes, Menschen und Geschichten.

Auch viele Kids in der Punkszene kamen aus schwierigen Verhältnissen.

In den 70er Jahren begann der Zerfall der amerikanischen Familie. Überall haben sich Eltern getrennt. So entstand eine Generation von geschädigten Kindern, die nach etwas anderem suchten, um ihrem Leben einen Sinn zu geben.

»1991: The Year Punk Broke« markierte den einschneidenden Moment, an dem deine Community ihre Unschuld verloren hat. Plötzlich regierten die gleichen Superstarträume und Gewinnmaximierungsstrategien wie bei allen anderen auch. Wie hast du das wahrgenommen?

Ich hatte in meiner Jugend so viele Freunde, die Kinder von Regisseuren und Filmstars waren, kannte Leute, die später Rock­stars und Filmstars wurden. Lenny Kravitz war zum Beispiel ein guter Freund von mir in der Junior High School; das Brat Pack ging auch auf meine Schule, ebenso Christopher und Sean Penn, in meinen Klassen waren zu jeder Zeit Leute wie Robert Downey Jr., Rob Lowe und Emilio Estevez. Als ich aufwuchs, fiel ich den anderen Kindern auf, weil ich immer eine Kamera dabei hatte. Zu der Zeit hat das die Leute abgeschreckt, sie haben nicht verstanden, was ich da mache: »Warum machst du Fotos? Was soll das?« Das habe ich ständig gehört. Alle Kinder sind so, auch in der Hardcore-Szene. Es war nicht so, dass es sich um eine Gruppe von aufgeklärten Individuen handelte. Es kam zu den gleichen Situationen und Problemen wie anderswo auch. Es gab die gleiche Menge an Rassismus, Sexismus und Homophobie, all die Dinge, die in der Generation, in der ich als Kind aufgewachsen bin, einfach als normal angesehen wurden.

Hast du nach dem Erfolg von »1991: The Year Punk Broke« Angebote für einen Spielfilm bekommen?

Ich war in dieser Zeit mit vielen großen Holly­wood-Leuten unterwegs — Schauspielern und Regisseuren. Plötzlich ist man irgendwie mit diesen Leuten befreundet, man ist in ihrer Welt und kommt herum. Klar, ich hätte diesen Weg verfolgen können, wenn ich mehr Lust dazu gehabt hätte, aber ich war immer nur daran interessiert, das zu tun, was ich tue — vielleicht zu meinem Nachteil. In den 90er Jahren gab es diese große Ära des unabhängigen Films — Quentin Tarantino war mal mein Nachbar —, man dachte, man könne die Dinge anders machen. Der Underground der 80er Jahre, aus dem ich stamme, hat vieles von dem, was in den 90ern zum Mainstream wurde, beeinflusst. Nirvana ist nicht aus einem Vakuum heraus entstanden. Nirvana entstand aus einer mehr als zehnjährigen Underground-Musikszene, die sich aus der Punk- und Hardcore-Szene entwickelt hat.


Die ursprüngliche Punkszene in LA bestand fast zur Hälfte aus Frauen
Dave Markey

Schaut man zurück auf die Geschich­te von Punk und Hardcore in LA, so fällt auf, dass Frauen unterrepräsentiert waren. Wie hast du das wahrgenommen?

Die ursprüngliche Punkszene in LA bestand fast zur Hälfte aus Frauen. Das änderte sich als Hardcore und Hardcore-Punk aufkamen. Anfangs war es eine tolle, inspirierende Szene mit vielen großartigen Bands und Szenen drumherum wie Minor Threat (Washington DC), Big Boys (Austin), Dead Kennedys (San Francisco), Wipers (Portland und Seattle). Es war aber ziemlich schnell vorbei, weil es zu viel Konformität gab. Mit jeder neuen Band war es wie eine Xerox-Kopie — man kopierte das Original immer und immer wieder, bis irgendwann nichts mehr zu erkennen ist. Viele der neueren Kids, die dazu kamen, hatten nicht die Mentalität, Kreativität und Reflektiertheit, die diese früheren Bands auszeichnete. Die jungen Frauen haben sich von Bands wie MDC und DRI spontan abgewendet, die waren einfach zu aggressiv, zu beängstigend. Bands wie Nirvana, Soul Asylum und The Replacements zogen später hingegen wieder mehr Frauen an. Es ist ziemlich gut dokumentiert, dass Kurt Cobain von Anfang an eine natürliche Verbindung zum weiblichen Publikum hatte.

Triffst du im Alltag noch viele Leute aus deiner An­fangszeit?

In gewisser Weise sind einige dieser Personen immer noch in meinem Leben. Viele meiner Freunde sind aber verstorben, das hat schon früh angefangen. Ich weiß nicht, was es ist: »Lebe schnell, stirb jung« trifft es ganz gut. Viele Menschen aus jenen frühen Punk Tagen waren vielleicht nicht für ein langes Leben geschaffen.

Nun, Los Angeles ist eine Stadt, die eine Menge dunkler Gassen hat und mit Versuchungen lockt.

Oft spielten Drogen eine Rolle, aber auch unglückliche Situ­ationen. Die Zahl der Menschen, die ich kenne, die wegen Depressionen Selbstmord begangen haben, ist hoch. Es ist seltsam, ich glaube, dass in meiner Generation viel mehr Menschen jung gestorben sind als in früheren Generatio­nen. In den 60er Jahren gab es die bekannten Todesfälle, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, aber im Punk fingen sie noch viel früher zu sterben an — Sid Vicious hat die Blaupause geliefert. Ich erinnere mich, dass ich, als der Song »People Who Died« von der Jim Carroll Band heraus kam, etwa 15 Jahre alt war — und ich dachte nur: »Gott, dieser Typ kannte eine Menge Leute, die gestorben sind. Wie kann das sein?« Ein paar Jahre später hatte ich eine Liste, die dreimal so lang ist. Das passierte einfach, Menschen, die bei Unfällen gestorben sind, Menschen, die durch Waffen­gewalt ermordet wurden.

Woran arbeitest du momentan?

Das passt zur vorherigen Frage: Ich arbeite an einem Dokumentarfilmprojekt über das Leben von Bill Bartel alias Pat Fear von der Band White Flag. Ein alter Freund von mir, der auch viel zu jung verstorben ist. Eigentlich mache ich Filme über größere Dinge, über Bands, oder über bestimmte Gruppierungen von Menschen. Das wird eine viel intimere Geschichte, aber sie ist vielschichtig, weil sie von einer sehr komplexen Person handelt, die ein sehr kompliziertes Leben führte.