Reif für die Insel: Ende einer Klassenfahrt, Foto: Fredrik Wenzel

Triangle of Sadness

Ruben Östlund lässt den Kapitalismus in der Nussschale auf große Kreisfahrt gehen

Um die Wertschöpfungsketten der Gegenwart auf den Punkt zu bringen, setze man einen Dünger-Fabrikanten und ein Influencer-Pärchen auf einer Luxusjacht an einen Tisch. Man lasse den Oligarchen erklären, dass er »Scheiße« verkaufe, und die hübschen jungen Leute entgegnen, dass sie sich durch Social-Media-Posts Gefälligkeiten wie diese Kreuzfahrt verdienten, wobei sie fürs Foto gerade das Essen mit einer Gabel Spaghetti simulieren. Aha, eure Schönheit hat diese Reise bezahlt, denkt der Alte und nickt wissend, während seine Gattin Schampus kippt. Wir sehen: Ob Schönheit oder Scheiße, beides sind Rohstoffe und Endprodukte des Markts, nur die Vertriebswege sind unterschiedlich lang.

Das ist die Linie, die Ruben Östlunds »Triangle of Sadness« in drei Kapiteln nachzeichnet — von der Vermarktung jugendlicher Attraktivität über die Macht der Superreichen bis zur Selbstermächtigung jener unten im Schiffsrumpf, ohne die der ganze Laden längst untergegangen wäre. Zusammengehalten wird das barocke Welttheater-Triptychon von der zur Werbefloskel verkommenen Losung, alle Menschen seien gleich. Es stimmt hier immerhin im kreatürlichen Sinne, denn sie alle essen und verdauen und wollen ein Stück vom Kuchen.  

Im ersten Teil des Films, »Carl und Yaya«, scheint es noch so, als stünden die Oberflächlichkeit der Modebranche und die psychologischen Verwerfungen im Leben des erwähnten jungen Paars im Fokus. Da darf sich der 25-jährige Carl (Harris Dickinson) beim Casting anhören, er solle die Region seiner Zornesfalten (»Triangle of Sadness«) entweder entspannen oder botoxen. Das männliche Model verdient weniger als seine Freundin Yaya (Charlbi Dean Kriek), weshalb im teuren Restaurant ein Streit über Geschlechterrollen und Geld eskaliert. Statt den Charakter der Individuen durchdringen zu wollen, wendet sich Regisseur Östlund aber lieber deren Positionen im ökonomischen Gefüge zu und studiert das neue Verhalten, sobald ihre Lage sich ändert. So etwas funktioniert am besten in Laborsituationen wie im zweiten Teil »Die Yacht«.

Die Kotz- und Durchfallorgie auf dem originalen Aristoteles-Onassis-Schiff beim Kapitänsdinner wird man in ihrer rabelaisschen Verve nicht so schnell vergessen. Hier nimmt der Film beinahe Kurs auf eine Tragikomödie über einen verkannten Intellektuellen. Denn der marxistisch geschulte Kapitän (Woody Harrelson) betrinkt sich lieber, als den Reichen einen schönen Abend zu bereiten, und verliest bei tosendem Sturm über die Bordlautsprecher sozialkritische Texte. Für Feingeistiges fehlt den Austernschlürfenden freilich gerade die Muße. Sunnyi Melles als Oligarchen-Gattin, Iris Berben als Gelähmte, die nach einem Schlaganfall nur noch »In den Wolken« sagen kann, spielen sich die Seelen aus dem Leib — und auch alles andere. Fredrik Wenzels Kamera behält nonchalant die Gediegenheit bei, die einem Kapitänsdinner angemessen ist.

Kaum ein Cannes-Gewinner der letzten Jahren hat die Kritik so gespalten und im Dreieck springen lassen wie »Triangle of Sadness«. Platt, hohl, nicht subtil genug, so lauten die Vorwürfe. Es falle schwer, nicht zu lachen. Ruben Östlund komme nach »The Square«, seiner 2017 mit der Goldenen Palme bedachten Satire über die pseudomoralische Kunstszene, nicht mehr über die Erkenntnis hinaus, dass Geld die Welt regiere und die Reichen schlechte Menschen seien.


Die Kotz- und Durchfallorgie beim Kapitänsdinner wird man in ihrer rabelaisschen Verve nicht so schnell vergessen

»Triangle of Sadness« kann aber mehr als Provokation. Die konsequent simple Farce über menschliche Verworfenheit liest sich vielmehr als angemessener Kommentar zu ziemlich allem, was seit erstaunlich langer Zeit schiefläuft. Pulverisiert wird insbesondere die Relevanz jener Kategorien, die den Identitätsdebatten als Existenzgrundlage dienen. Mann und Frau, alt und jung, arm und reich, globaler Norden und globaler Süden. Sie werden erst auf ein Schiff, schließlich auf eine Insel verbannt. Eine einzige Person weiß, wie man Fische fängt und Feuer macht, die einstige Klofrau Abigail (Dolly De Leon). Ein neues Regime entsteht, kein besseres, auch kein Matriarchat mit Migrationshintergrund, bloß weil die neue Machthaberin Filipina ist und Frau. Solange nur die Rollen getauscht werden, ist jeder Fortschritt ein Straucheln im Kreis.

S/D/F/GB 2022, R: Ruben Östlund, D: Harris Dickinson, Charlbi Dean Kriek, Dolly de Leon, 149 Min., Start: 13.10.