Gewaltige Eselsbrücke: »Eo« von Jerzy Skolimowski

Kompass für die Bilderflut

Beim diesjährigen Film Festival Cologne gibt es nicht nur im Kino viel zu sehen und zu hören. Ein Wegweiser

Das Film Festival Cologne findet in diesem Jahr vom 20. bis 27. Oktober statt. Doch auch vorher und nachher versorgt es die Stadt traditionell mit Programm. Von Juli bis September werden jeweils die besten Filme des Vorjahres im Rahmen des Festival-Sommers im Odonien gezeigt. Einmal im Monat sind zudem im Filmhaus unter dem Label Wild at Heart internationale Produktionen zu sehen, die dort ihre Deutschlandpremieren feiern — wie just die russisch-französisch-estnische Ko-Produktion »Captain Volkonogov escaped« von Natasha Merkulova. »Wir zeigen großes Weltkino, Festivalfa­voriten, Kritikerlieblinge und zukünftige Kultfilme«, umschreiben die Macher*innen das Angebot der Reihe.

Die Festivalwoche, früher als Cologne Conference bekannt, bleibt das Leuchtturmprojekt des FFCGN, wie die Mixtur aus Festival und Drumherum inzwischen abgekürzt wird. Man sieht sich als Allround-Dienstleister für Publikum mit audiovisuellem Orientierungsbedarf: »Wir entdecken für dich die besten Filme und Serien, Memes, GIFs und Reels, Clips und Stories«, wird der eigene Anspruch auf der Homepage formuliert. »FFCGN ist dein verlässlicher Companion in der digitalen Welt und dein Guide für den gesellschaftlichen Diskurs. Wir kura­tieren und ordnen die Bilderflut für dich ein.«

Dieser Anspruch spiegelt sich in der Auswahl der Filme fürs Festival wider. Die Bilderwelten von David Lynch einzuordnen — darum bemüht sich Alexandre O. Philippe. In »Lynch/Oz« montiert der gebürtige Schweizer Sequenzen aus Lynchs Filmen und Szenen aus »Wizard of Oz«, dem knallbunten, musikalischen Fantasy-Abenteuer von 1939. So sehen wir im Split Screen immer wieder links wie rechts rote Frauenschuhe oder bizarre Traumweltgestalten, was den Schluss nahelegt, dass Lynch mehr als nur rudimentär durch dieses uramerikanische Märchen beeinflusst sei. Weil Philippe im weiteren Verlauf aber nahezu das komplette Hollywood-Kino von »E.T. — Der Außerirdische« bis »Apocalypse Now« in die Tradition des Metro-Goldwyn-Mayer-Klassikers stellt, nimmt er der gewollten Engführung von Lynch und Oz einiges an Wirkung. Trotzdem ein sehenswerter Film.

Einen kurzen Weg zum Festival hat die Kölner Doku »Can und Me«. Der Film des Kulturveranstal­ters und Filmemachers Michael P. Aust ist eine Huldigung  an Irmin Schmidt, das letzte noch lebende Gründungsmitglied von Can. Und auch an dessen Frau Hildegard, die sich als eine Art Colonel Parker der Kölner Avantgarde-Band zu erkennen gibt, ohne deren organisatorisches und ökonomisches Geschick Can früh vor die Wand gefahren wäre. Irmin Schmidts eigenes Wirken nimmt im Film zurecht viel Raum ein. Der heute in der Provence lebende 85-Jährige war nach seinem Kompositionsstudium bei Karlheinz Stockhausen Dirigent, gründete das Dortmunder Ensemble für Neue Musik und war Kapellmeister am Stadttheater Aachen, erst dann kam Can. Seit deren Auflösung schreibt er Opern und Filmmusik, wie zuletzt für »Die Getriebenen«. Dieses enorme Spektrum deckt Austs Doku mit zum Teil raren Aufnahmen ab.

Das Film Festival Cologne selbst kann ebenfalls auf ein breites Spektrum verweisen, schließlich zeigte man bereits vor gut 30 Jahren TV-Serien im Kino und hat das längst boomende Genre immer im Blick behalten, um regelmäßig herausragende Produktionen zu präsentieren.


Am Global Day ­verschreibt sich das Festival dem Thema Storytelling als entwicklungspolitisches Instrument

Der Sechsteiler »Des gens bien« des Autoren-Trios Stéphane Bergmans, Benjamin d’Aoust und Matthieu Donck spielt in einem waldigen Niemandsland zwischen Belgien und Frankreich, das ein Schild als »Herz Europas« ausweist. Serien, die an Grenzen spielen, sind seit einiger Zeit im Trend. In »Die Brücke — Transit in den Tod« stand die Öresund-Brücke, die Dänemark mit Schweden verbindet, im Zentrum der Handlung. Die Sky-Eigenproduktion »Der Pass« spielte im deutsch-österreichischen Grenzgebiet. Ein solches Setting bietet viele Möglichkeiten, mit Mentalitäten und kulturellen Eigenheiten zu spielen — und mit Klischees. »Des gens bien« verbindet außerdem guten Humor, eine spannende Story und präzise Milieuzeichnungen. Als dem französischen Chef der lokalen Gendarmerie, der wenig Interesse an der Aufklärung von Verbrechen hat, die Anschaffung eines Lügendetektors für die Ermittlungsarbeit empfohlen wird, weil die belgischen Kolleg:innen damit bereits seit zwanzig Jahren sehr erfolgreich arbeiten würden, weist er das brüsk zurück mit der Begründung, es seien eben bloß Belgier.

Asiatisches Kino darf nicht fehlen und ist unter anderem mit »Decision to Leave«, »Manchrian Tiger« oder »Broker« von Hirokazu Koreeda vertreten. »Broker« wurde im Mai auf dem Festival in Cannes uraufgeführt. Das Drama erzählt die Geschichte einer Mutter, die ihr Neugeborenes in einer Babyklappe abgibt, um sich wenig später auf die Suche nach dem Kind zu begeben.

Neben neuen Spielfilmen bereits etablierter Regisseur*innen wie David Cronenberg, Mia Hansen-Løve, Park Chan Wook oder Lars von Trier, dessen TV-Serie »The Kingdom Exodus« zu sehen ist, gibt es auch Abseitiges. In der ­Reihe Look zeigt das FFCGN erneut Produktionen, die vorsätzlich unter der Vorgabe »Schräges Zeug« kuratiert wurden. Zum Bei­spiel »Eo« mit Isabelle Huppert und einem Esel als Titelhelden, »Final Cut« mit Zombies, die die Dreharbeiten zu einem Zombie-Film behindern, oder »Love is a Dog from Hell« mit Lilith Stan­genberg, die als Orphea in Manila nach Eurydike sucht. Weniger schräg als politisch ambitioniert sind die Filme der Kategorie »Stories for Change«, die an den Global Day ­geknüpft sind. An diesem Tag ­verschreibt sich das Festival dem Thema Storytelling als entwicklungspolitisches Instrument. Höhe­punkt wird die Vergabe des NRW-Medienpreises für entwicklungspolitisches Engagement sein.

Wie schon 2021 erweitert das Festival sein Spektrum buchstäblich, sucht den Weg aus dem Kino ins Internet und in die Stadt. In der Kölner Innenstadt wird ein GIF-Parcour angelegt, im vergangenen Jahr präsentierten 30 Geschäfte zwischen Filmpalast und Brüsseler Platz mehr als 60 kuratierte GIFs in ihren Schaufenstern. Eine gute Gelegenheit, sich dem Graphic Interchange Formal einmal jenseits des eigenen Smartphones zu nähern, zumal auch in diesem Jahr renommierte Künstler*innen ihre digitalen Kleinkunstwerke in Köln vorstellen werden. Da kann man sich gemütlich durch die Bilderflut treiben lassen. 

stadtrevue präsentiert:
Film Festival Cologne, Do 20.10–Do 27.10, Mehr zum Programm unter filmfestival.cologne