Kopfdiktate, [1990] 1980, Skulpturale Rauminstallation, ©  muchaArchiv, Foto: Achim Kukulies

Skulpturale Selbstreflexionen

Die Ausstellung Der Mucha — ­Ein Anfangsverdacht in Düsseldorf

»Der Mucha. Ein Anfangsverdacht«, so salopp lautet der Titel der opulenten Ausstellung, die sich Reinhard Muchas Lebenswerk widmet und an gleich zwei Orten der Landeshauptstadt zu sehen ist. Was auch ein trefflicher Krimi-­Titel sein könnte, greift tatsächlich auf den in Österreich verbreiteten Restaurantführer Der Mucha aus den 1980er Jahren zurück. Der Untertitel »Anfangsverdacht« mag für die Besucher Herausforderung genug sein, sich auf Spurensuche in der gerne rätselhaften, mitunter anarchistischen Kunst Muchas zu begeben, die sich mit dessen Leben und künstlerischem Werdegang, mit Zeitgeschichte und Kunstgeschichte beschäftigt. Jedenfalls empfiehlt sich gleich zu Beginn, sich bloß nicht von den oft ironischen Titeln beirren zu lassen — wie etwa »BBK-SL-KNY-BNVLNYB-MLBF« (1990), der einen Massivholzrahmen mit Künstlergrafiken, vielmehr Plakaten, bezeichnet.

Gleichgültig ob im K20 am Grabbeplatz oder im K21 im Stände­haus, so mag der Parcours durch teilweise lange nicht mehr ausgestellte Werke Muchas wie ein Gang durch ein kunstgewordenes Archiv­depot erlebt werden — gefüllt mit vielen Vitrinen, mit mächtigen Schaukästen meist im Querformat, die abstrakte wie minimalistische Formationen oder auch Gegenständliches beherbergen und vor allem Anhäufungen aus vielfältigen Werkzeugen, Werkstoffen und Dokumenten. Der 1950 in Düsseldorf geborene und dort lebende Reinhard Mucha zählt nicht nur zu den prominentesten Künstlern Düsseldorfs, auch gilt er durchaus als Exzentriker unter den Künstler*innen seiner Generation.

Im K21, dem Ständehaus, bespielt Mucha das gesamte zweite Obergeschoss in 12 Räumen mit mehr als 60 Werken aus über 40 Jahren. Schließlich ist dort »Das Deutschlandgerät« seit 2002 ständig installiert, eine saalfüllende Installation, die Mucha 1990 für die 44. Biennale in Venedig kon­zipierte, wo er gemeinsam mit dem Düsseldorfer Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher den deutschen Beitrag bestritt. Dem kostenlosen Ausstellungsführer kann die Hintergrundinformation zu dem wortspielerischen Titel entnommen werden: »Das Deutschlandgerät« verweist eigentlich auf ein Produkt der zum Dortmunder Hoesch Konzern gehörenden Maschinenfabrik Deutschland AG, auf eine Spezialvorrichtung zum Wiederaufstellen entgleister Schie­nenfahrzeuge, meint hier jedoch den Deutschen Pavillon in Venedig. Wie häufiger in Muchas ­Œuvre handelt es sich bei dieser Arbeit um ein »work in progress«, einem Werk, das stetig ergänzt und erweitert wird. Für die nun dauerhafte Unterbringung im K21 reicherte der Künstler »Das Deutschlandgerät« mit videoanimierten Foto­doku­men­tationen zur Architektur des Deutschen Pavillons in den Giardini und einer Klanginstallation an.

Auch Licht als Medium spielt in zahlreichen Arbeiten Muchas eine Rolle, so in »Dokumente I–IV« (1992), was mit Leuchtstoffröhren und Abbildungen von Kandidaten einer Betriebratswahl im Guss­stahl­werk Düsseldorf-Oberkassel auf das Arbeiterlied verweisen will: »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit!«. Leitmotivisch durchziehen Fußhocker in allen Stilarten das Werk Muchas. Manche ersetzen den ­Sockel oder mischen sich unter die materialintensiven Installa­tionselemente oder stehen einfach mal so im Raum.

Am Ende des K21-Rundgangs mögen sich so manche Besu­cher*­in­nen angesichts der meist großformatigen Arbeiten an das mächtige Formenrepertoire eines Anselm Kiefer erinnert fühlen, zumal dazu noch die Farbgebung in den Skulpturen Reinhard Muchas sich wie Kiefers Kunst meist gedeckt zwischen den Spielarten von Grau- und Brauntönen bewegt. In jedem Fall scheint die

Annahme nicht falsch, hinter der Kunst Muchas eine Art Kontrapunkt zu den farbenfrohen, mitunter unpolitischen Werken vieler seiner Kollegen zu wittern, die zeitgleich mit den wichtigsten Schaffensphasen ­Muchas wirkten.


Der Parcours durch teilweise lange nicht mehr ausgestellte Werke Muchas kann wie ein Gang durch ein kunstgewordenes Archivdepot erlebt werden

Apropos Künstlerkollegen: Im K21 taucht Klaus Rinke, der Mucha an der Düsseldorfer Kunstakademie zum Meisterschüler machte, als Fotoporträt in einem der Schau­kästen auf. Nicht zu übersehen ist die Anspielung auf Joseph Beuys, dem anderen großen Künstler Düsseldorfs, in der Installation »Wie der tote Hase mit den Bildern verkehrt« (2012) — eine Skulptur mit Rollbrett, Handwagen, natürlich mit Fußbänkchen und einer Packdecke der Spedition Hasenkamp. In diesem hintersinnigen Zusammenhang spielt der Spe­di­tions­name auf den berühmt-­be­rüch­tigten Hasen in der künstlerischen Praxis von Beuys an, die Packdecke auf die nicht minder berühmte Filzdecke in dessen Kunst.

Während sich die Räume im K21 unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten im Werk Muchas widmen, geht es im Grabbesaal vom K20 um Ausstellungen in der Ausstellung, also um Reflexionen des Museumsbetriebs und im weiteren Sinne um institutionskritische Fragestellungen. Gleich im Eingang sieht sich die Betrachterin vor einer imposanten Installation, die an ein Kirmes-Riesenrad in Kleinformat denken lässt und ­dabei den durchaus kryptischen Titel trägt: »Das Figur-Grund Pro­blem in der Architektur des Barock (für dich allein bleibt nur das Grab«) (1985). Zu den vielfältigen Objekten, die in der enorm aufwändigen Installation der zweiteiligen Arbeit verwendet wurden, zählen 28 Stüh­le und 14 Aluminiumleitern — um nur einige zu nennen.

Der »Stockholmer Raum. Für Rafael Moneo« (1998), einige Schritte wei­ter, umfasst ein fünfteiliges Werkensemble. Dabei handelt es sich um einen Nachbau jenes Raumes, den der Künstler 1998 im Stockholmer Moderna Museet installiert hatte, dessen gerade eingeweihter Neubau der im Titel genannte spanische Architekt entworfen hat. Die Pointe hier dürfte sein, dass der rekonstruierte Museumsraum Bestandteile von Wänden eines anderen Museums enthält.

Der »Schnee von gestern — Auszüge aus dem großen Kalender III« (1975) heißt sodann die an den Wänden installierte umfangreiche und immer wieder über­raschende wie rätselhafte und schräge Serie aus teils gerahmten, teils in Klarsichthüllen präsen­tierten Zeichnungen, Fotografien, Schriftstücken, Originalen sowie Reproduk­tionen aus dem Archiv des Küns­tlers, womit er seine Zeit vor dem Kunststudium dokumentiert. Ob auch diese Arbeit Muchas von Fans von Fortuna Düsseldorf verstanden wird, die an den Wochenenden der kommenden fünf Heim­spiele mit ihrer Stadion- und Dauerkarte freien Eintritt hier und im K 21 erhalten, wäre wirklich interessant zu wissen.

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20 Grabbeplatz, Grabbeplatz 5 und K 21 Ständehaus, Ständehausstr. 1, beide in Düsseldorf, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa, So, Feiertag 11–18 Uhr, bis 22.1.2023