Will nicht jeden Tag Brote schmieren: Aktivistin Natalie Dedreux

»Wir wollen auch ein cooles Leben!«

Aktivistin Natalie Dedreux über ihr erstes Buch, die Gefahr durch die AfD und mangelnde Inklusion an Kölner Schulen

Vor fünf Jahren wurde sie bekannt, als sie die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in der TV-Sendung »Wahlarena« zur Spätabtreibung behinderter Kinder befragte. Seitdem kämpft die 23-jährige Kölnerin, die das Downsyndrom hat, für mehr Inklusion. Sie schreibt für das Magazin »Ohrenkuss«, das von Menschen mit Downsyndrom produziert wird. Sie geht gerne auf Demos, auf Instagram folgen ihr mehr als 12.000 Menschen, und im Oktober ist ihr erstes Buch mit Kurz-Essays erschienen. Wir treffen sie in ihrem Arbeitszimmer in Mülheim, an der Pinnwand hängt eine Grußkarte von Frank-Walter Steinmeier neben einer Eintrittskarte für ein Kasalla-Konzert und einer »Summerjam«-Tragetasche.

Frau Dedreux, Ihr Buch »Mein Leben ist doch cool!« ist gerade erschienen. Warum haben Sie es geschrieben?

Ich habe etwas zu sagen und möchte nicht, dass nur andere für oder über mich sprechen. Wir Menschen mit Downsyndrom müssen auch gesehen werden, wir gehören dazu. Die Menschen sollen merken, dass sie keine Angst vor uns haben müssen. Wir wollen auch ein cooles Leben!

Sie schreiben sowohl über persönliche als auch politische Themen. Welches Kapitel ist Ihnen am wichtigsten?

Ein Text über das Dritte Reich. Wir wurden früher sehr schlecht behandelt. Gerade jetzt muss man das ernst nehmen. Man muss etwas tun, damit nicht noch­mal so etwas gestartet wird. Ich finde die AfD gefährlich. Die Rechten wollen uns los werden, weil wir anders sind. Man sollte alle Rechten auf den Mond schießen.

Haben Politiker Menschen wie Sie ausreichend im Blick?

Ich finde nicht. Mich hat noch keiner gefragt, was für uns gut wäre in Deutschland oder in Köln. Wir werden oft vergessen. Deswegen habe ich auch das Buch geschrieben. Immer­hin gibt es die Linkspolitik. Die denken ein bisschen an uns.

In Ihrem Buch prangern Sie an, dass Sie nicht mal den Mindestlohn verdienen.

Ich möchte auch Geld bekommen für meine Arbeit. Ich habe auch eine Miete zu bezah­len, und meine Arbeit ist etwas wert. Früher habe ich in einer Werkstatt der Caritas ge­ar­beitet. Ich möchte aber nicht jeden Tag Brote schmieren und die Spülmaschine ein- und ausräumen. Ich will mir auch meine Arbeit aussuchen und die Möglichkeit haben, etwas auszuprobieren. Mitmachen ist ein Menschenrecht.

Sie möchten Journalistin werden. Warum?

Ich möchte etwas verändern. Wir haben auch ein Recht, uns zu informieren und zu lesen. Auch wir interessieren uns für Politik. Wir dürfen jetzt auch wählen. Aber Nachrichten und Wahlprogramme müssen in Leichter Sprache sein. Ich möchte noch mehr von uns für Politik begeistern und für meine Themen.

Sie sind Aktivistin. Wofür kämpfen Sie noch?

Ich habe eine Petition gegen den pränatalen Bluttest auf Downsyndrom ge­startet. Jetzt ist er Kassenleistung geworden. Ich kämpfe dafür, dass das rückgängig gemacht wird. Ich habe Angst, dass es bald nicht mehr so viele Menschen wie mich gibt. Ich will nicht alleine sein. Und ich möchte ein Vorbild sein. Es ist wichtig, dass auch wir auf den Tisch hauen. Es soll etwas in Bewegung kommen.


Mich hat noch keiner gefragt, was für uns gut wäre in Deutschland oder in Köln

Was muss sich noch ändern?

Es soll mehr Inklusion geben, vor allem bei der Arbeit und in der Schule. Und mehr Assistenten für uns. Wir brauchen einfach mehr Zeit und Unterstützung, dann schaffen wir vieles. Bei der Recherche brauche ich manchmal Hilfe. Meine Assistentin übersetzt für mich Texte von schwerer in leichte Sprache. Ich lese immer »Nachrichten leicht« im Deutschlandfunk. Andere Medien benutzen keine leichte Sprache. Und es sollte mehr Wohngemeinschaften für uns geben!

Sie wohnen jetzt in einer inklusiven WG.

Ja, mit meiner Freundin Carola, die hat auch das Downsyndrom, und zwei Studentinnen. Das ist so cool! Wir können selbstständig sein! Aber es gibt nicht viele Plätze in Köln. Wir haben uns das selbst organisiert.

Haben Sie noch mehr Wünsche an die Politik?

Ja! Viele! Mehr Barrierefreiheit in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Gebäuden. Für Rollstuhlfahrer ist es in Köln sehr schwierig. Und die Durchsagen an den Bahnstationen sollen langsamer und in Leichter Sprache sein. Und natürlich mehr Inklusion in den Schulen und weniger Förderschulen! Dass die Schule einfach gemischt ist, wie an der Gesamtschule Holweide, wo ich war. Das war cool dort. So lernen wir alle voneinander.

Natalie Dedreux: »Mein Leben ist doch cool!«, Knaur, 16,99 Euro