Nazi-Geburtstage im Kalender: Johanniter-Wache in Mülheim

Spezieller Charakter

Der Johanniter-Rettungsdienst in Mülheim sieht sich Rassismusvorwü­rfen ausgesetzt

»Morbus bosporus« — mit diesem pseudo-medizinischen Ausdruck wird vermeintlich türkischstämmigen Menschen unterstellt, Beschwerden nur vorzutäuschen oder zu übertreiben. Sein Gebrauch zeigt ein verbreitetes Pro­blem: Rassismus unter Rettungssanitätern. Auch in Köln, einer Stadt, deren Führung stolz mit Vielfalt wirbt, scheint ihr Weltbild mitunter problematisch.

Die Berliner Tageszeitung taz recherchierte monatelang zu rechtsextremen Rettungsdienst-Mitarbeitern in deutschen Städten. Im September veröffentlichte sie die Ergebnisse. Der Kölner ­Guido Schäpe schildert in dem ­Bericht die Zustände auf einer ­Wache in Mülheim, die von den Jo­hannitern im Auftrag der Stadt ­betrieben wird und an die Wache der Berufsfeuerwehr angegliedert ist. Rechtsextreme Flyer, Einträge im Kalender mit den Geburts­tagen von Nazi-Größen und fremdenfeindliche Sprüche, die un­widersprochen hingenommen worden seien: Schäpe hatte versucht, Vorgesetzte auf die Missstände aufmerksam zu ­machen. »Die Leitwerte [der] ­Johanniter und der Humanismus werden hier mit Füßen getreten«, schrieb er ­ihnen 2020. Die bemühten sich um Aufklärung, führten Gespräche. Konsequenzen gab es aber zunächst nur für Schäpe. ­Seine Kollegen wandten sich ­gegen ihn. Er ließ sich krankschreiben. Die Johanniter kündigten dem 52-Jährigen im Juni 2021. Vor Gericht erstritt er eine Ab­findung.

Schäpe sieht strukturelle Probleme als Ursache, Führungsversagen und »jahrelanges Schweigen«. Noch ist nicht abzusehen, ob sein offensives Auftreten daran ­etwas ändern wird. »An mir wurde ein Exempel statuiert«, sagt Schäpe der Stadtrevue.  

»Rechte Retter sind keine Ausnahme«, so das Fazit der taz. Die Arbeitsbedingungen mögen eine Rolle spielen. Rettungsdienste ­seien vielerorts knapp besetzt, der Druck auf die Mitarbeiter groß. Schäpe sagt, insbesondere in Brenn­punktvierteln seien er und seine Kollegen oft auf sich alleine gestellt gewesen. Kulturelle Barrieren, aber auch Bedrohungen und tätliche Angriffe würden manchmal dazu gehören. Nicht jeder könne das alleine reflektieren. Supervisionen oder Workshops, die helfen, das Erlebte einzuordnen, gebe es zu wenig.

Patrick Fels von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsex­tre­mis­mus (MBR) stand Schäpe zur Seite. Feuerwehr und Rettungs­dienste führen ihre Leitbilder an, die ihre Mitarbeiter eigentlich auf humanistische Werte verpflichten sollen. »Man kann sich aber nicht darauf zurückziehen«, sagt Patrick Fels. »Sollten die Vorwürfe zutreffen, dann gibt es Handlungsbedarf«. Das Hauptproblem seien nicht die Vorfälle an sich, sondern die fehlende Reaktion darauf.

Die Johanniter äußern sich auf Anfrage nicht, weisen aber eine pauschale Verurteilung ihrer Mitarbeiter zurück. Eine Sprecherin verweist auf laufende Unter­su­chun­gen, die offenbar nach der jüngsten Berichterstattung wieder  Fahrt aufgenommen haben.


Feuerwehr und Rettungs­dienste ziehen Leute an, die Bock auf Action haben
Patrick Fels Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus

Die Verantwortung für die Feuerwehr und externe »Leistungs­erbringer« wie die Johanniter liegt bei Stadtdirektorin Andrea Blome. In ihrem Namen antwortete die Verwaltung auf eine Anfrage von Grünen und Volt im Gesundheitsausschuss des Rates. Demnach seien Feuerwehr und Stadtverwal­tung erst nach dem taz-Bericht informiert worden. Die Mitarbeiter der Johanniter in Mülheim seien in einem eigenen Container auf dem Gelände der Feuerwache unter­gebracht gewesen und unter­ständen disziplinarisch ­ihrem Arbeitgeber.

Blome verweist auf Ansprechstellen innerhalb der Feuerwehr und der Stadtverwaltung, die auch externen Mitarbeitern offen stünden. Guido Schäpe sagt, ihm seien sie nicht bekannt gewesen. Patrick Fels von der MBR mahnt, Organisa­tionen wie Feuerwehr und Ret­tungs­dienste »ziehen Leute an, die Bock auf Action haben.«. Das sei richtig so, die Aufgaben erforderten spezielle charakterliche Voraussetzungen. Mit ihren klaren Hierarchien und Uniformen seien sie aber auch für Menschen attraktiv, die offen für autoritäres Gedan­ken­gut seien. Dagegen müsse fortlaufend und schon bei der Einstellung gearbeitet werden. In vielen Feuer­wehrverbänden habe sich diese Einsicht durchgesetzt, gerade auch im Jugendbereich. Inwieweit das für die Johanniter in Köln zutrifft, muss sich wohl noch erweisen. Es scheint aber, als wäre da noch Luft nach oben.