Finstere Aussichten: Viggo Mortensen als Saul, Foto: Nikos Nikolopoulos

»Während wir in Griechenland drehten, standen Teile der Region in Flammen«

Viggo Mortensen über den Gegenwartsbezug von David Cronenbergs ­Body-Horror-Thriller »Crimes of the Future«

Herr Mortensen, ihre Leinwandkollegin Kristen Stewart bekannte, beim ersten Lesen des Drehbuchs von »Crimes of the Future« nichts verstanden zu haben. Hatten Sie einen Verständnis-Vorteil als Cronenberg-Veteran, der in seinen Thrillern »Eastern Promises« und »A History of Violence« und als Sigmund Freud in »A Dangerous Method« mitwirkte?

Ich habe in dem Skript einen fast klassischen film noir erkannt. Es herrscht Düsternis, es gibt Doppelagenten und Verrat, und am Ende verlieren alle. Noch viel mehr geht es um Unterdrückung, Zensur, schließlich auch Selbstzensur.

Cronenbergs Vision von der Zu­kunft ist wenig hoffnungsvoll, den Prozess des Alterns etwa seziert er fast klinisch. Wie haben Sie das wahrgenommen?

Er sitzt gerade am Tisch im Raum nebenan und trinkt Wasser, hat wahrscheinlich acht Stunden geschlafen. Ich rauche und trinke Kaffee, habe letzte Nacht keine zwei Stunden Schlaf gekriegt. Ich tue alles andere, als Cronenbergs Beispiel zu folgen. Aber auf den Film und die Realität bezogen, bin ich mit ihm einer Meinung. Wir müssen uns Gedanken über unsere Zukunft machen, nicht nur über das Alter, sondern auch über die Folgen der Umweltverschmutzung, etwa über die Tatsache, dass wir ständig Plastik aufnehmen, das sich in unseren Körpern ablagert — durch die Nahrung, das Trinkwasser. Daran lässt sich mittelfristig wenig ändern, und es ist immer besser, sich mit Schwierigkeiten anzufreunden und auseinanderzusetzen. Das ist meine Lebensphilosophie, beruflich und privat. Adaptieren und bewältigen.

Sie spielen den Performancekünst­ler Saul, der mit seiner Partnerin auftritt, die ihm vor Publikum Organe entnimmt. Müssen Sie eine solche Figur mögen, um sie überzeugend darzustellen?

Nicht notwendigerweise. Aber ich mag Saul. Er ist sensibel, verletzlich und liebevoll — aber auch alles andere als perfekt, ungeduldig und schnell reizbar, weil er unter ständigen Schmerzen leidet. Als Künstler ist er oft unsicher. Er beobachtet eifersüchtig, was Kolleginnen und Kollegen machen. Mit all dem konnte ich mich ein Stück weit identifizieren.

Inwiefern hat sich Ihre Arbeit als Schauspieler durch die Erfahrung verändert, beim Vater-Sohn-Drama »Falling« selbst Regie geführt zu haben?

Ich interessiere mich schon immer für alle Gewerke, die zum Film beitragen. Der Unterschied bei »Falling« war, dass ich nicht Fragen stellte, sondern sehr viele beantworten musste, auch wenn ich keine Antwort hatte. Manche Regisseure verwenden sehr viel Zeit und Energie darauf, immer für alles eine Antwort parat zu haben. Ich probiere lieber aus. Auch David ist offen für Vorschläge und kann zuhören. Das ist viel wert.

David Cronenberg schrieb das Drehbuch zu »Crimes oft the Future« vor 24 Jahren. Was sagt es über unsere Gegenwart?

Er hat früh erkannt, wie unser Umgang mit der Umwelt uns beeinflusst, unter anderem, weil wir permanent kleinste Plastikpartikel in uns aufnehmen, so gesund wir uns auch sonst ernähren. Das ist heute vielen bewusst. Allein, dass wir im Hochsommer bei 45 Grad in Griechenland drehten, während Teile der Region in Flammen standen, ließ seine Dystopie nicht mehr so weit weg erscheinen. Ich glaube, dass es durch den Siegeszug neuer Medien und Technologien der vergangenen zwei Jahrzehnte zugleich einen Wunsch nach Fortschritt und eine Angst vor dessen Konsequenzen gibt. Aber Wandel ist unvermeidbar, wir verändern uns alle, ständig. Auch unsere Wahrnehmung, unsere Erinnerungen. All das liegt mittlerweile mehr in der Luft als damals. David war seiner Zeit voraus. Hätte er »Crimes of the Future« vor 24 Jahren gemacht, wäre er sicher sehr viel umstrittener und verstörender gewesen.

Wie passen Sie sich persönlich den von ihnen genannten Herausforderungen an?

Ich versuche meinen Teil im Kleinen beizutragen, vermeide Müll, kaufe keine Lebensmittel, die in Plastik eingeschweißt sind, kaufe regionale Produkte soweit es geht. Ich nehme mir Zeit, mich auch außerhalb meiner Blase zu informieren und unterschiedliche politische Meinungen zu hören, auch solche, mit denen ich nicht übereinstimme. Es kostet mehr Mühe, nachhaltig zu konsumieren und sich in den Medien ausgewogen zu informieren, aber es lohnt sich. Das ist meine Form des Widerstands.

CDN/GR / F / GB 2022, R: David Cronenberg, D: Viggo Mortensen, Kristen Stewart, Léa Seydoux, 107 Min