Waffe in der Hand: Danielle Brathwaite-Shirley, SHE KEEPS ME DAMN ALIVE, 2021; Foto: Alwin Lay

Schöne alte Welt

»Worldbuilding« in der Julia Stoschek Collection will mit Videospielkunst zukunftsweisend sein — verstrickt sich aber in der Vergangenheit

REMOVE ALL TRACES OF WHITE SUPREMACY — Zerstört alle Spuren Weißer Vorherrschaft. Diese Worte springen den Besucher:innen in großen Buchstaben von einer Leinwand entgegen. Sie ist Teil einer Installation von Danielle Brathwaite-Shirley und formuliert das beachtliche Ziel der großräumigen Arbeit. In ihrem Zentrum stehen die Projektion des Videospiels »She keeps me damn alive« und eine pinkfarbene Waffe auf einem schwarzen Podest. Ergreift man die Waffe, lassen sich mit deren Fadenkreuz die Pixelfiguren in der Spielwelt anvisieren und abschießen. Figuren, die mit Aufnahmen realer Personen von »Black Trans Lives Matter«-Demonstrationen und rechten Gegendemonstrationen texturiert sind.

Ob die Spieler:innen tatsächlich die Spuren weißer Vorherrschaft auslöschen und die Schwarzen trans Leben in den Spielumgebungen schützen können und wollen, liegt nun buchstäblich in ihrer Hand. Hier zeigt sich eindringlich das Potenzial von Videospielen, die bei der Ausstellung »Worldbuilding« im Mittelpunkt stehen sollen. Über die medienspezifische Interaktion und die Manipulation des Bewegtbildes richten sie an uns Fragen nach Entscheidung, Einflussnahme und Macht.

Fragen, die sich auch in Hinsicht auf das Personal hinter der Ausstellung aufdrängen: Es ist die Unternehmerin und Kunstsammlerin Julia Stoschek, die in den Räumen ihres Düsseldorfer Ausstellungshauses mit »Worldbuilding« das 15-jährige Jubiläum der Julia Stoschek Collection feiert, einer der weltweit größten Privatsammlungen für zeitbasierte Medienkunst. Über die Beschäftigung mit der Schnittstelle Gaming/Kunst soll die Ausstellung Ausblick und Rückblick zugleich sein, so steht es im Vorwort des Programmhefts.

Gleichzeitig wird die Auseinandersetzung Stoscheks mit ihrer eigenen Vergangenheit als problematisch angesehen. So wurde in den letzten Jahren gleich mehrfach beim Spiegel oder im ZDF berichtet, dass die Grundlage ihres Milliardenvermögens im Zweiten Weltkrieg gelegt wurde. Es gebe Anzeichen, wird in den Berichten geäußert, dass ihr Großvater Max Brose sowohl in Zwangsarbeit als auch in die Zulieferung von Ausrüstung an die Wehrmacht involviert gewesen sei. Stoschek hält dies bis heute — trotz belastender Indizien — für unrichtig.

So mag man dem politischen Anspruch der Jubiläumsausstellung, sich aktuellen Themen der Zeit zu stellen (wie ein weiterer Blick ins Programmheft verrät), skeptisch gegenüberstehen. Auch die unterkühlten Räume des Ausstellungsgebäudes, von Stoschek mit dem Kosenamen »Burg« versehen, scheinen der Bildervielfalt der über 30 Exponate nicht ganz zu trauen. Sind doch bereits im Untertitel der Ausstellung — »Gaming and Art in the Digital Age« — das Spielen und die Kunst voneinander getrennt.

Als wären sie sich auch untereinander fremd, wirken die Ausstellungsstücke nach einem nicht einsehbaren Prinzip durcheinander gewürfelt, was Inhalte und Herangehensweisen der Künstler:innen betrifft. So findet sich in einem Flur die Videodokumentation einer Arbeit Angela Washkos, die als Intervention im populären Onlinespiel »World of Warcraft« einen Safe Space für Marginalisierte schuf. Volatil in direkter Nähe: mehrere kurze Animationsfilme, die einen Fuchs, den selbst kreierten Avatar des Künstlers Ed Fornieles, in comicartig zugespitzten Situationen zeigen.

Kuratiert wurde die Jubiläumssammlung von Hans Ulrich Obrist, einem Star unter den Ausstellungsmacher:innen und langjährigen Freund Stoscheks. Beziehungspflege und Bekanntheitsgrad sind womöglich die primären Gründe für seine Wahl gewesen, denn eine Expertise hinsichtlich des Mediums Videospiel brachte der Kurator zunächst nicht mit. Er habe in den letzten Jahren viel Zeit mit Spielen verbracht, äußert Obrist in Interviews. Gerade in »Elden Ring« — ein anspruchsvolles Action-Rollenspiel — habe er viel Zeit investiert. Doch dass er nie erwähnt, was gerade an diesem Spiel für ihn das Besondere ist, erweckt den Eindruck, es gehe ihm nicht wirklich um ein tieferes Verständnis für die Möglichkeiten des vergleichsweise jungen Mediums.

Das würde jedenfalls erklären, warum die interaktiven Exponate oft auf einer ästhetischen Ebene überzeugen, nicht aber in Bezug auf die Spielmechaniken. Dabei ist gerade das Interessante an Videospielen, wie sie es über ausgefeilte Spielsysteme schaffen, intuitiv erlern- und steuerbar zu sein und dabei komplexe Themen und Motive zu transportieren. So sind die bedeutsamen Botschaften des  Strategiespiels »The Jirry Tribe Stop« von Basmah Felembans, mit seinen vielschichtigen Verweisen auf islamische Kultur, aufgrund der schwer durchschaubaren und unpräzisen Steuerung verbaut.


Als wären sie sich untereinander fremd, wirken die Ausstellungsstücke nach einem nicht einsehbaren Prinzip durch­einander gewürfelt

Während er nicht auf die spezifischen Besonderheiten von Videospielen eingeht, wird der studierte Ökonom Obrist in Interviews nicht müde zu betonen, wie stark der Gaming-Markt gewachsen sei, dass mittlerweile ein Drittel der Weltbevölkerung regelmäßig spiele und hier ein ganz neues Publikum auch für Ausstellungen gewonnen werden könne. Mit dieser Aussage verstärkt sich das Gefühl, das einen beim Schlendern durch die »Burg« befällt: Hier wurde das Potenzial gewittert, sich in eine in der Aufwärtsentwicklung befindende Kunstform im großen Stil einzukaufen.

Stoschek und Obrist geht es nicht eigentlich um das Medium Videospiele. Es scheint für sie künstlerisches Neuland zu sein, auf das sie die Altlast der Ökonomisierung des Kunstmarktes ausdehnen und mit ihren Vorstellungen von künstlerischer Auseinandersetzung überziehen. Geprägt ist der Versuch der Aneignung gleichzeitig von der Sehnsucht nach dem Vergangenen und dem Klammern an Vertrautem. Nicht umsonst hebt Obrist das Kunstwerk »Permanent Sunset« von LaTurbo Avedon am häufigsten in öffentlichen Konversationen hervor: Als Kurzfilm zeigt es eine Zusammenstellung von Abenddämmerungen in Videospielen, eine Anlehnung an die nostalgische Ästhetik der Romantik, die auch vom Geist der Kolonialzeit durchzogen ist. »Worldbuilding« erhält unter diesen Gesichtspunkten eine völlig andere Bedeutung.

Von der Ausstellung bleibt vor allem der Raum mit der pinken Waffe im Gedächtnis: »She keeps me damn alive« von Danielle Brathwaite-Shirley funktioniert deswegen so gut, weil sich die Installation die nostalgische Aura eines Arcade-Shooters, mit seinem simplen Spielprinzip und der polygon-armen 90er-Jahre-Grafik, gegen uns wendet. Sie zwingt uns in die Verantwortung. REMOVE ALL TRACES OF WHITE SUPREMACY — Entscheidung, Einflussnahme, Macht.

Vielleicht muss, wer eine Welt errichten will, zunächst eine Welt zerstören.

Julia Stoschek Collection, »Worldbuilding — Videospiele und Kunst im digitalen Zeitalter«, bis 10.12.2023, Schanzenstr. 54, Düsseldorf, Sonntag 11–18 Uhr, Eintritt frei