Faszinosum Führerfigur

Feridun Zaimoglu scheitert in seinem Roman »Bewältigung« erfolgreich daran, Hitler zu verstehen

»Der Autor, der ein Buch über Hitler schreiben will, steht an der Grabplatte und empfindet nichts«, heißt es über die Hauptfigur von Feridun Zaimoglus neuem Roman »Bewältigung«. Dieser besucht das Grab von Richard Wagner auf der Suche nach Emotionen, die Hitler hier empfunden haben könnte, am Grab des »größten Deutschen, der je gelebt hat«, wie der Autor in seinem Notizbuch Hitler zitiert. Diese Emotionen sucht der namen­lose Autor nicht nur in Bayreuth, sondern ebenso in München, am Obersalzberg wie auch in der Gedenkstätte Dachau. Über diese Emotionen will er sich als Hitler in einem Roman verewigen, will eins mit ihm werden, in Gedanken verschmelzen: »Mutter. Bitte den Himmel darum, dass er mich schützt«, lässt er Hitler mit seiner Mutter in Dialog treten, »dass mich kein Jude mit seinem giftigen Blick lähmt.« Hier bereits deutet sich das Scheitern des literarischen Experiments an, das für den Pro­tagonisten im Wahn endet.

Nicht gescheitert ist jedoch das ­literarische Experiment von ­Feridun Zaimoglu, ein Buch des Scheiterns am eigenen Stoff zu verfassen. »Der Ausgangspunkt des fiktiven Autors war ein ganz persönlicher: »Er will begreifen« lautet der erste Satz des Romans. Schnell stellt sich dieser Anspruch als Phrase heraus, das »Begreifen«, das »Bewältigen« weicht einer Faszination für die Wirkung der Person Hitler wie auch für dessen Denken, als Gegenmittel schreibt er sich eine KZ-Nummer auf den Unterarm. »Er muss sich markieren. Er muss selber sehen, wo er hingehört. Er wird bewohnt von dem Menschenschwein, doch er ist bei den Vernichteten.«

»Der Nationalsozialismus und die Shoah sind für mich täglich gegenwärtig in der Leere, in den Lücken«, erklärt Zaimoğlu in einem Gespräch seine Intention, sich in »Bewältigung« dieser Zeit anzunähern. »Dafür habe ich als Schriftsteller zunächst keine ­Worte gefunden.« Und so sucht Zaimoğlu, statt die Vergangenheit zu bewältigen, nach Worten, die im Gegenteil die Gegenwart als überwältigt von der Vergangenheit zeigen. Daher redet Zaimoglu auch nicht dem Abschließen der Vergangenheit das Wort, vielmehr ist der Roman ein kritischer Kommentar zu einer SchlussstrichMentalität. »Bewältigung« ist der »Bewältigungsversuch eines Überwältigten«, wie Jean Améry einst seine Autobiografie untertitelt hat: Es stellt Fragen anstatt statt zu eindeutigen Antworten zu kommen. 

Roman

Feridun Zaimoglu: »Bewältigung«
KiWi, 272 Seiten, 24 Euro

stadtrevue präsentiert:

Lesung

Do 1.12, Maternus Buchhandel, 20 Uhr