»Musik braucht den persönlichen Kontakt«: Charly Klauser

Eine permanente Liebeserklärung

Fast alle haben schon Musik von Charly Klauser gehört — schreibt sie doch Songs für Peter Maffay oder Sasha. In die erste Reihe möchte sie sich dennoch nicht drängeln. Eine Begegnung

Draußen ist es mittlerweile dunkel, die Straßenbahn der Linie 9 rauscht stoisch die Zülpe entlang, drinnen im Stiefel muss man die Augen zukneifen, um den ein oder anderen der unzähligen Band-Aufkleber an der Eingangstür zu erkennen. »Don’t Speak« von No Doubt läuft. Song, Band, die Zeit damals. Alles geil irgendwie. Es ist viel Platz an der Bar. Tanzen allerdings, das wäre jetzt übertrieben. Etwas jedenfalls. Das denkt sich wahrscheinlich auch Charly Klauser. Dennoch: Ein schüchternes Auf- und Abwippen kann sie sich nicht verkneifen.

Glücklich wirkt sie. Sie lacht. Keine Liebeserklärung, eine Feststellung ist das. Eine Liebeserklärung liefert Charly heute Abend selbst ab. Permanent. Und es wäre zu banal zu behaupten, allein Musik sei die Liebe ihres Lebens. Denn gesagt hat sie das so nicht direkt, als wir uns zuvor fast zwei Stunden im Café Feynsinn gegenüber gesessen und miteinander gesprochen haben. Zum Beispiel über den blanken Wert ihrer Profession. Ehrlich müssen wir konstatieren: Das war kein Selbstläufer für Charly in den letzten zehn Jahren. Dass sie mit Anfang dreißig schon so einiges im äußerst schwierigen Musikgeschäft habe erleben können, erleben dürfen, das empfinde sie nicht als selbstverständlich. Vielmehr als Privileg. Und ja: Peter Maffay habe von Beginn ihrer Zusammenarbeit an stets an sie geglaubt. Und ja: Das sei ein großes Glück gewesen, gibt Charly unverhohlen zu. Trotzdem: »Das Leben als erfolgreiche Musikerin ist nicht immer so, wie es sich die meisten Menschen vorstellen«, fährt sie fort. Dabei bestellt sie ein Glas Wasser und einen Latte Macchiato. Selbstverwirklichung, Scheinwerferlicht und geile Projekte hin oder her. Am Ende trage doch jeder sein eigenes Päckchen mit sich. Fast musik-philosophisch wird das jetzt. Apropos: Musik-Philosophie, die habe Charly mal studieren wollen. Oder so etwas Ähnliches. Jedenfalls etwas mit Musik. An der Popakademie in Mannheim. Zumindest kurzzeitig sei ihr mal danach gewesen, sagt sie so nebenbei. Ihre Stimme hört sich dabei das erste Mal heute Abend etwas gefasster an. Denn: In Charlys Narrativ, in beinahe jedem Satz, den sie sagt, schwingt ihre Leidenschaft zur Musik mit. Direkt oder indirekt. Einer von ihnen lautet: »Musik braucht den persönlichen Kontakt.« Nur so könne sie ein Gefühl zu dem Job, um den es gehe, entwickeln und eine verantwortbare Entscheidung für sich und die Musik treffen. Beeindruckend, wenn jemand so etwas sagen kann.

Und zu erzählen hat Charly viel. Über ihre Kindheit zum ­Beispiel könne sie sich nicht beschweren. Im Gegenteil. Voller Liebe sei die gewesen — schon wieder dieses Wort mit L. Ihre Eltern, selbst Musiker, hätten sie zu nichts getrieben. Sanftmütig sei es daheim zugegangen. Das zu sagen liegt Charly am Herzen. Genau wie auch ihre Schwester Johanna. Schon sehr früh musizierten die beiden zusammen: zuerst im Kinderzimmer, dann in der Schule, schließlich auf den kleineren und größeren Bühnen der Republik. Music-Dream-Team Klauser deluxe sozusagen, oder: The Black Sheep.

Johanna und Charly starteten so richtig durch, erhielten 2008 einen Plattenvertrag bei Roadrunner Records und spielten im Vorprogramm von Bands wie In Extremo, Social Distortion oder Life of Agony. Diese Anekdoten an der Stiefel-Bar zu hören: besser kaum vorstellbar. Versinken möchte man in Charlys Geschichten. Erst letzte Nacht sei sie aus Spanien zurückgekommen, verrät sie. Zwei Wochen lang war sie da auf Tour. Mit Alvaro Soler. Barcelona. Madrid. Sevilla und so weiter. Ein Träumchen: die Konzert-Locations, die spanischen Fans, das Wetter dort. — Charly friert. Ein bisschen. Zu kalt sei es hier in Köln, witzelt sie. — Eine Herausforderung: die spanischen Texte innerhalb weniger Wochen zu lernen. Aber das sei dann schon gegangen, irgendwie. So wie eigentlich immer, sprudelt es aus ihr heraus. Sich in relativ kurzer Zeit ein neues Instrument anzueignen, sei ihr tatsächlich noch nie schwer gefallen. Ob sie sich denn als eine Art Chamäleon der Musik-Szene betrachte, hake ich ein. Charlys Antwort, fast pragmatisch: »Geschadet hat mir meine instrumentale Vielfältigkeit jedenfalls bisher nicht.« Aber als hätte ihr Pragmatismus gerade in die­ser Sekunde Urlaub eingereicht, kommt ihr noch dies über die Lippen: »Das Bedürfnis, an einem Instrument eine richtige Spezialistin zu werden, hatte ich schon in den letzten Jahren verstärkt und das habe ich nach wie vor.«


Selbstverwirklichung, Scheinwerferlicht und geile Projekte hin oder her. Am Ende trägt doch jeder sein eigenes Päckchen mit sich

Ihr Blick schweift ab in Richtung Wasserspielplatz. Nur noch ein paar Kinder matschen da herum. Das Thema »Beruflicher Selbstwert« hat sich unbemerkt ins Café hineingeschlichen. Und mit ihm die Frage, ob es für ein Mehr an Selbstwert tatsächlich zwingend ist, Spezialistin zu sein. Ziemlich lange schaut Charly wieder herüber zu den matschenden Kindern. Im Moment fehle ihr einfach die Zeit, um sich vertieft mit nur einem Instrument auseinanderzusetzen, sagt sie schließlich. Und: Glücklich sei sie trotzdem. — Charly lacht. Wieder. Oder noch immer. Man weiß es nicht so recht. — Die spanischen Kollegen jedenfalls seien von ihrem Sprachtalent positiv überrascht gewesen. Dabei habe sie die meiste Zeit über eigentlich nur streng nach Gehör gesungen. So wie früher als Kind. Die Spice Girls, die hätten sie damals, Ende der 90er Jahre, ganz schön in den Bann gezogen. Deren Texte allerdings habe sie einfach nur mitgeträllert und intoniert, eben so, wie sie sie gehört habe. »Welche Sechsjährige kann schon Englisch?«, fragt Charly. Rhetorisch, versteht sich. Und um das Thema »Singen nach Gehör« final abzuschließen, passiert das: Frau Klauser beginnt zu singen: »If you wanna be my lover, you gotta get with my friends«. Die beiden anderen Damen im Feynsinn schauen etwas irritiert herüber. Kurz. Dann setzen sie ihr Gespräch fort.

Wir verabschieden uns höflich. Die abgeranzte rote Holztür eines Altbaus ein paar Meter weiter auf der Heinsbergstraße, die wäre doch was für ein paar Fotos. Gesagt. Getan. In Charly steckt eine Menge Mut, sie passt in dieses Veedel, wie die Verse in ihre Songs. »Du fühlst dich wie im Nimmerland, kannst fliegen, nur du hast verlernt nach vorn zu geh’n« heißt einer von denen im Song »Tür auf, Tür zu«. Überhaupt Mut — also das Ding mit dem Nach-Vorne-Gehen, das Ding mit der geschlossenen und geöffneten Tür — ist ein ausfüllendes Thema für Charly. Verständlicherweise. Musste sie als junge Musikerin doch schon oft wichtige Entscheidungen treffen; Projekte, die ihr eigentlich wichtig waren, beenden, um neue beginnen zu können. Eins davon war definitiv ihre »Doktorarbeit«. So nennt Charly ihr erstes eigenes Album »Mehr«. Während sie so über die Entstehung ihrer Arbeit spricht und sinniert, wieviel von ihrem eigenen Ich in dem Album stecke, ist da wieder diese Zufriedenheit, die Charly ausstrahlt.

Dass wir noch gar nicht über geschlechtliche Gleichberechtigung in der Musikbranche gesprochen haben, fällt ihr plötzlich noch ein. Sie müsse aber jetzt wirklich gleich los. Ungern, weil es wirklich schön gewesen sei. Aber einen Kommentar dazu will Charly dann doch loswerden: »Am geilsten fände ich es, wir müssten überhaupt nicht über dieses Thema sprechen, weil es einfach kein Thema wäre.« »Don’t Speak« von No Doubt läuft. Charly verschwindet. Ihre türkisfarbenen Haare erkennt man nur noch schwach irgendwo zwischen Oma Kleinmann und Umbruch. Nein, es wäre wirklich zu banal zu behaupten, die Musik sei die Liebe ihres Lebens. Vielmehr ist es Charlys Bewusstsein darüber, mit ihrem musikalischen Schaffen sich selbst und andere berühren zu können. Musik: zu verstehen als eine Art Transport-Medium, durch das sie ein Stückchen abgibt von ihren Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen. Ein ziemlich großes Stück sogar. Beeindruckend, wenn jemand so etwas abgeben kann.

Charlotte »Charly« Klauser wurde 1990 in Bergisch-Gladbach geboren. Seit über 15 Jahren ist die Kölnerin mit ­kasachischen Wurzeln Profimusikerin. Sie ist Multiinstrumentalistin, Sängerin, Bandleader, Produzentin, Songwriter. Sie hat für Peter Maffay geschrieben und für Caroline Kebekus getrommelt. Ihr eigene Musik pflügt durch alles von Jazz bis Metal.

charlotteklauser.de