Ohne Umweg ins Klassenzimmer

Viele Kinder sind eingeschult worden, ohne auf Förderbedarf untersucht worden zu sein. Sollten die Tests nachgeholt werden?

Auf einer Linie vorwärts und rückwärts gehen, den eigenen Namen schreiben, ein Bild nach einer Vorlage malen — und  bei der Bewältigung dieser Aufgaben etwas Vorfreude und Aufgeregtheit. Das ist die verpflichtende »Reihenuntersuchung zur Einschulung« von ­angehenden Schulkindern durch eine  Schulärztin oder einen Schul­arzt, bestellt von der Gesundheitsbehörde. Ist das Kind reif für die Einschulung? Gibt es Verzögerungen in der Entwicklung? Sind bis Beginn des Schuljahrs womöglich Fördermaßnahmen nötig?

Allerdings sind laut NRW-Landesregierung während der Corona-­Pandemie diese Untersuchungen massenweise ausgeblieben. Laut Stadt Köln wurden im Schuljahr 2021/2022 bloß 27 Prozent der vorgeschrieben Tests durchgeführt — und für das laufende Schuljahr sieht es nicht besser aus. Als Grund dafür gilt Personalmangel in den Gesundheitsbehörden während der Pandemie. Aber sollte das nun nicht behoben sein, zumal die Nachverfolgung von Kontakt­personen nicht mehr stattfindet?

Das zumindest findet die FDP und hat bereits Ende Oktober einen entsprechenden Antrag im NRW-Landtag gestellt. Darin fordert sie die Landesregierung auch auf, die Untersuchungen nachzuholen. Viele Kinder sind in die Schule gekommen, ohne zuvor auf Förderbedarf untersucht worden zu sein, was gerade nach zwei Jahren Pandemie, in denen Familien auf sich allein gestellt waren, wichtig gewesen wäre.

Dass die Corona-Pandemie noch immer als Begründung für ausfallende Schuleingangsuntersuchungen herangezogen wird, kritisiert auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Bereits im Mai 2022 sendete der Deutschlandfunk ein Interview mit dem Kinderarzt Jakob Maske, Spre­cher des Verbands. Die Schulunter­suchung sei auch unter ande­ren Gesichtspunkten wichtig, so Maske, etwa weil sie einen Überblick vermittle, welche Impfungen Kinder bereits erhalten hätten. Gerade im Hinblick auf Impfprogram­me, wie die Masernimpfung, seien diese Informationen über fast einen ganzen Geburtenjahrgang von Bedeutung, um absehen zu können, wie gut diese Programme anschlagen würden.

Aber ist die Schuluntersuchung nicht immer auch nur eine Moment­aufnahme? Dieser Meinung sind zumindest die Kritiker*innen, die sagen: Die Untersuchung zeige den Entwicklungsstand von Kindern gerade in eben jener Situation, in der sie mehr oder weniger lustvoll mit der Bewältigung der an sie gestellten Aufgaben beschäftigt sind. Zudem machen Kitas bereits wichtige Beobachtungen über motorische oder kognitive Fähigkeiten der Kinder, die dann bei den klassischen U-Untersuchungen bei den Kinderärzt*innen zur Sprache kommen können.

Spätestens seit Veröffentlichung des IQB-Bildungstrend 2021, der ernüchternde Befunde über die Leistungen von Grundschulkindern offenbarte, dürfte nun aber deutlich werden, dass im Bereich der Bildung nach den Jahren der Pandemie einiges im Argen liegt: Die Studie zeigt, dass sich der Anteil der Kinder, der den Mindeststandard beim Lesen, Zuhören und Rechnen sowie in der Rechtschreibung nicht erreicht, signifikant steigt. Beim Lesen trifft das mittlerweile auf 42 Prozent der Kinder zu. Ein gutes Fünftel erreicht nicht einmal die Mindeststandards. »Grundschulen brauchen jetzt Unterstützung, um soziale Ungleichheit abzubauen«, findet Anja Bensinger-Stolze, ­Vorstandsmitglied Schule der ­Gewerkschaft Erziehung und ­Wissenschaft (GEW). Klar ist: Die ­Bildung von Kindern muss jetzt wieder mehr auf die politische Agenda gesetzt werden, um aufzufangen, was während der Pandemie versäumt wurde.

In dieser Ausgabe startet unsere Serie ­»Die Kölner Schulmisere«, Folge 1: Lehrermangel