So geht’s besser

Sie wollen mehr Grün in ihrer Straße, weniger Autoverkehr, mehr Aufenthalts­qualität: In Köln gründen sich immer mehr Initiativen, die sich für ein besseres Leben in ihrem Veedel einsetzen. Doch ihre Ideen stoßen vor Ort oft auf heftigen Widerstand — und auf einen Verwaltungsapparat, der mit der Tatkraft der Engagierten nicht Schritt halten kann. Wir haben Initiativen in Deutz, Kalk und in der Südstadt besucht und nach Problemen und Erfolgsrezepten gefragt.

Grüne Oase im Beton

In Kalk gibt es kaum Natur. »Mehr Grün in Kalk« will das ändern. Aber die Stadt will lieber Industriebrachen bebauen als Freiflächen erhalten

Anfang November wachsen an der Neuerburger Straße in Kalk Rosenkohl, Fenchel, Endivien. Doch im Gemeinschaftsgarten Pflanzstelle sind Pflanzkübel nötig, weil unklar ist, ob der Boden der Industriebrache noch kontaminiert ist. Früher produzierte hier Klöckner-Humboldt-Deutz. »Dieser Ort ist die letzte Chance, um eine Freifläche in Kalk zu erhalten«, sagt Julia Elixmann von der Bürgerinitiative »Mehr Grün in Kalk«. Sie lebt seit sieben Jahren im Viertel und arbeitet als Juristin im öffentlichen Dienst. Mit ihrer Mitstreiterin Silvia Marchais-Raytchevska, die Sozialarbeiterin ist, steht sie vor einem Dickicht aus Bäumen und Büschen, es blühen sogar noch ein paar Wildblumen. Seit zehn Jahren nutzen unterschiedliche Gruppen die Brache an der Neuerburger Straße. Heute hat sich eine Schulklasse angekündigt, die in der selbst gebauten Bibliothek mit den gemütlichen Sesseln eine Lesestunde macht. Im Bauwagen wird schon gekocht, nachmittags treffen sich Musiker zum Essen. »Eine grüne Oase in all dem Beton«, sagt Silvia Marchais-Raytchevska, die sich sowohl bei »Mehr Grün in Kalk« als auch in der Pflanzstelle engagiert.

Vor drei Jahren haben sich Menschen aus Kalk, Humboldt-Gremberg und Höhenberg zusammengetan, um sich für Klimaschutz und ein grüneres, lebenswertes Viertel einzusetzen. Anlass war die Diskussion um die Hallen Kalk. Ursprünglich sollte die ein Hektar große Industriebrache zwischen Dillenburger und Neuerburger Straße komplett bebaut werden, auch die Pflanzstelle hätte weichen müssen. Nach Protesten wurden die Pläne geändert, die Pflanzstelle bleibt erhalten, muss aber innerhalb der Brache umziehen. Auf dem umliegenden Gelände sollen Büro- und Wohnhäuser errichtet werden, bis zu acht Stockwerke hoch. Doch Mehr Grün in Kalk will nicht nur die Pflanzstelle, sondern die gesamte Brache  als Freifläche und »Naturerfahrungsraum« erhalten. »Pflanzen und Bäume sollen wild wachsen, Kinder dort klettern, toben und spielen können«, so Elixmann.

»Wir brauchen Grün und nicht noch mehr Beton«, findet Marchais-Raytchevska. Denn Kalk hat bereits einen der niedrigsten Grünflächen-Anteile in ganz Köln. Der ehemalige Industriestandort ist zu 92 Prozent versiegelt. Während es stadtweit im Schnitt 45 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner gibt, sind es in Kalk gerade einmal acht. Zudem gehört Kalk zu den Kölner Stadtteilen mit der höchsten Einwohnerdichte und Geburtenrate, dennoch herrscht in Kalk der größte Mangel an Spielplätzen. Deswegen empfiehlt der städtische Lebenslagenbericht mehr und vor allem gesunde Angebote für Kinder und Jugendliche. »Die Stadtverwaltung selbst hat in Studien festgestellt, dass Kalk mehr Grün und Aufenthaltsorte braucht«, sagt Marchais-Raytchevska. »Aber sie hält sich nicht an ihre eigenen Empfehlungen und will stattdessen das Gelände höchstpreisig verkaufen, um Büros und Wohnungen zu bauen.« In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden bis auf die Pflanzstelle alle ehemaligen Brachen in Kalk bebaut. »Ich verstehe, dass Wohnraum gebraucht wird«, sagt Elixmann. »Aber Kalk hat bereits —einen überproportional großen Beitrag dafür geleistet. Und die Grünflächen wurden vergessen.« Marchais-Raytchevska spricht gar von »strukturellem Umwelt-Rassismus«: »Sozioökonomisch benachteiligte Gebiete wie Kalk sind immer die Leidtragenden, was Versiegelung, Überhitzung oder Luftbelastung anbelangt. Das ist ungerecht. Vor allem für die vielen Kinder hier.«
Die Grünflächen, die es gibt, sind klein und zerstückelt — und werden oft als Hundewiese genutzt wie im Breuer-Park oder haben wenig Aufenthaltsqualität, weil sie wie der Spielplatz im Bürgerpark keinen Schatten bieten. Neben dem Naturerfahrungsraum setzt sich die Bürgerinitiative auch für mehr grüne Verbindungswege für Fußgänger und Radfahrer ein. »Es gibt einige solcher kleiner Wege, die die Stadt aber wegen Drogenproblemen zum Teil  schließen möchte«, so Elixmann. »Da müsste die Stadt doch mit aufsuchender Arbeit und Sozialpolitik reagieren«, findet Silvia Marchais-Raytchevska.

»Viele Menschen im Veedel haben nicht nur keinen Garten, sondern auch keine Möglichkeit, etwa mit der S-Bahn einen Ausflug zu machen — selbst das ist zu teuer«, sagt Marchais-Raytchevska. Sie kenne viele Kinder, die noch nie im Königsforst waren. Eine marokkanische Mutter habe ihr neulich erzählt, dass ihre vier Kinder alle in den Herbstferien Bronchitis hatten. Der Arzt habe frische Luft empfohlen. »Da sind sie auf der verkehrsumtosten Kalker Hauptstraße spazieren gegangen.«

Mehr Grün in Kalk kämpft auch für diese Menschen. Noch gehört die Brache zwischen Dillenburger und Neuerburger Straße der Stadt. »Jetzt ist die letzte Chance, einen Ort für alle zu schaffen!«, sagt Julia Elixmann. »In der Südstadt soll der Grüngürtel erweitert werden und die Stadt kauft für mehrere Millionen Euro Grundstücke an. In Kalk wollen sie das letzte Stück Grün nicht erhalten.« Dabei brauche es solche Orte, damit demokratischer Gemeinsinn entstehe.

»In Kalk haben viele Menschen existenzielle Sorgen, Grünflächen sind oft ein Luxusproblem«, so Julia Elixmann. Neuntausend Unterschriften bekomme man nicht zusammen, wie es die Initiativen zum Erhalt der Gleueler Wiese geschafft haben, um eine Bebauung durch den 1.FC Köln dort zu verhindern, sagt sie. »Aber sind unsere Interessen  deswegen weniger wert?«

 

 

 

Plattgemacht

Am Eifelwall entstand vergangenes Jahr ohne große Planung ein Treffpunkt mit Musik und Partys. Doch die Stadt sah nur Ordnungswidrigkeiten und ließ räumen

Es sind nur 130 Meter Straße. Aber für Matthias Deventer und Dirk Frölich hätte hier der Weg in eine Zukunft beginnen können, in der Menschen den öffentlichen Raum zu einem Ort machen, an dem man sich gern aufhält. Die Passage zwischen Gabelsberger und Eifelstraße ist eine breite Fahrbahn mit einem schmalen Gehweg links und rechts. Stein und Asphalt, etwas Gestrüpp hinter den Mauern, vier Eisenbahnbrücken überspannen sie. Der Ort hat Menschen nichts zu bieten, außer dass er für Autos mit Pollern abgesperrt ist. Doch während der Corona-Beschränkungen im Frühjahr 2021 trafen sich immer mehr Menschen hier. Sie brachten selbstgezimmerte Sitzmöbel und Pflanzen mit, ein Chor probte, Frauen trainierten Kickboxen, Kinder bemalten den Asphalt und spielten. Es gab Street Art, Konzerte, Partys. Von einer Bahnbrücke hingen ein Lametta-Vorhang und eine Schaukel.

Matthias Deventer hat alles auf Fotos dokumentiert, schwärmt von der friedlichen Atmosphäre, von Aufbruchsstimmung. Mit Dirk Frölich sitzt er an einem schönen Novembernachmittag dort, wo vor anderthalb Jahren alles begann. Sie haben Holzbänke, einen Campingstuhl, Tee und Streuselkuchen mitgebracht. So ähnlich wie damals, als alles begann. Aber jetzt sitzen die beiden hier, um zu erzählen, wie alles scheiterte, weil das Ordnungsamt bloß eine »unzulässige Sondernutzung« sah und alles wegräumen ließ. Es gab einen Aufschrei in den sozialen Medien, auch Politiker und ein Pfarrer empörten sich — Stadt und Ordnungsamt, überrumpelt vom Protest, sprachen von fehlendem Brandschutz, Lärmbelästigung, Vermüllung, versperrten Rettungswegen. Die Kreativität und Phantasie der Menschen wird zermalmt von einem bürokratischen Apparat — so geht die Geschichte von »United Eifelwall« in einem Satz.

Deventer und Frölich zeigen Pläne, wie der Eifelwall aussehen könnte, sie haben ein Dossier verfasst, Thesen notiert, zu dem, was sie erlebt haben und wie es besser werden könnte mit dem öffentlichen Raum und der Bürgerbeteiligung in Köln. Matthias Deventer hat Stadtplanung studiert, ein Start-Up gegründet und in Köln einige Ideen umgesetzt: ein Sitzpodest am Aachener Weiher oder eine Boulebahn in der Südstadt. Während er ein paar Straßen weiter wohnt, kommt Frölich aus Ehrenfeld, wo er sich für eine Verbesserung des öffentlichen Raums und eine Verkehrswende engagiert.

Eine junge Radfahrerin hält an: »Entschuldigt, aber darf ich euch mal fotografieren? Das sieht so schön aus, wie ihr da sitzt.« — »Klar«, sagt Deventer. Und schon ist man im Gespräch. So ungewöhnlich ist es also, in Köln einfach auf der Straße zu sitzen und Tee zu trinken. Wie fantasielos Politik und Verwaltung seien, zeige sich auch in eigentlich guten Maßnahmen, sagt Frölich. So sehr er sich freue, dass viele Parkplätze jetzt zu Café-Terrassen geworden seien, brauche es doch Orte, an denen man sich treffen könne, ohne Geld ausgeben zu müssen. »Die Straße wird immer noch bloß als Verkehrsfläche betrachtet«, so Deventer, »und nicht als Ort der Begegnung, an dem man sich gern aufhält.«

Anwohner berichten aber auch, dass am Morgen nach Partys Müll und Scherben auf der Straße gelegen hätten. Aufgehängte Abfalltüten und ein selbstgezimmertes Pfandflaschenregal hätten nicht viel geändert. Man habe sich auch gefragt, wer hinter den Aktionen stecke. Flugblätter oder Plakate mit Hinweisen habe es keine gegeben. Tatsächlich sei der Ort auch ab und an von Partytouristen in Beschlag genommen worden, sagt jemand anderes, der auch seinen Namen nicht nennen will. Es scheint, dass sich die Nachbarn einen Dialog mit den Initiatoren gewünscht hätten — so wie diese einen Dialog mit Politik und Stadtverwaltung. Frölich und Deventer berichten aber, dass sie von Anwohnern auch viel Zuspruch erhalten hätten. Und als das Ordnungsamt hier räumte, seien alle dagegen gewesen.

Nach der Aufregung um die Räumung beschloss die Bezirksvertretung Innenstadt im Oktober 2021, »die formalen Voraussetzungen für eine kreative Nutzung des Eifelwalls zu schaffen«. Bedingung sollte sein, dass es einen Verein als Ansprechpartner gebe. Dann könne es eine »Ideenwerkstatt« geben. »Die hatten wir hier doch, aber die wurde platt gemacht«, sagt Deventer. »Spannend und kreativ am Eifelwall war ja gerade die Dynamik, die sich selbstbestimmt und unabhängig von fester Struktur und Vorgabe entwickelt hatte«, ergänzt Frölich. »Es gab das Bedürfnis nach Austausch und Begegnung. Zu genau dieser Zeit, an genau diesem öffentlichen Ort und zu genau den damaligen Bedingungen in der Pandemie. Darauf kann eine Vereinsgründung keine Antwort bieten.«

Seitdem ist nichts mehr passiert. Und nun? »Na, ja, wenn man ein Pflänzchen dreimal platttritt« — Deventer klopft mit dem Fuß auf den Asphalt — »dann kommt da irgendwann nichts mehr.« United Eifelwall ist vorbei. Ordnungsdienst und AWB haben den ursprünglichen Zustand auf den tristen 130 Metern Asphalt wieder hergestellt. Es fehle die Wertschätzung, sagen Frölich und Deventer. Bei der Stadt begreife man das Engagement der Menschen nicht als Potenzial, sondern als Bedrohung — entsprechend fielen dann die Reaktionen auf: Drohungen, Strafen, Räumung. Die Bänke und den Campingstuhl transportieren Frölich und Deventer dann wieder weg. Die unzulässige Sondernutzung ist für heute beendet. 

 

 

»Die Interessen prallen hart aufeinander«

Frauke Burgdorff, Baudezernentin von Aachen, über laute Initiativen, langsame Verwaltungen und den Pflanzkübel als Hindernis

Frau Burgdorff, in Köln gibt es viele Initiativen, die sich für ein besseres Leben in ihrem Viertel engagieren. Sie klagen aber auch viel über Widerstände. Ist das nur ein Kölner Phänomen?

Wenn ich mir den Erfolg der Essbaren Stadt in Köln ansehe, den Tag des guten Lebens oder die temporäre Aktion auf dem Ebertplatz, muss ich sagen: Wow, da passiert unglaublich viel! Wir als Städte kommen oft als kompliziert und verhindernd rüber. Das liegt daran, dass wir die gerechte Verteilung des öffentlichen Raums organisieren müssen. Wir sind dem allgemeinen Wohl verpflichtet. Wenn jemand ein Festival veranstalten will und dazu den öffentlichen Raum in Anspruch nimmt, müssen wir dafür sorgen, dass ein Blinder oder ein Mensch mit Rollator sein Ziel immer noch erreichen kann, und dass die Menschen an den meisten Tagen im Jahr ab 22 Uhr in Ruhe schlafen können. Und auch, dass Pflanzkübel, die zur Verschönerung und zum Klimaschutz aufgestellt werden, nicht der Feuerwehr im Weg stehen. So bilden sich leider manchmal Fronten zwischen denen, die ihrer Meinung nach etwas sehr Positives wollen, und denen, die genau sein müssen und auf die Sicherheit achten.

Dank der Initiative Deutz Autofrei ist die Deutzer Freiheit nun für ein Jahr eine Fußgängerzone. Doch nun schimpfen viele Senioren, dass sie ihren Bäcker oder Friseur nicht mehr erreichen können. Wie sehr kann man ihnen entgegenkommen, wenn Köln gleichzeitig bei der Verkehrswende vorankommen will?

Ich kenne die konkrete Lage nicht. Aber die Erreichbarkeit von Ärzten und Nahversorgung durch Menschen, die gehandicapt sind, ist absolut notwendig. Den Menschen in Deutz würde ich sagen: Was brauchen Sie jenseits des Autos, damit wir das erreichen können? Kann mit ÖPNV-Angeboten nachgesteuert werden? Wir haben dem Auto in den letzten sechzig Jahren unfair viel Raum zugestanden. Breite Streifen für Autos, damit der motorisierte Verkehr fließen kann, und den Rest für Fußgänger und Radfahrer. Jetzt muss man andersrum denken. Wie kann man komfortabel zu Fuß gehen und sicher Radfahren, und was bleibt dann übrig für den notwendigen KFZ-Verkehr wie Müllabfuhr und Feuerwehr?

Muss sich die Deutzer Initiative um all das kümmern?

Die Initiative kann die Mobilitätswende einfordern, aber sie kann das Umdenken nicht organisieren, das müssen Politik und Verwaltung tun. Initiativen setzen sich für einen Belang ein, sie haben nicht den Auftrag, das allgemeine Wohl im Blick zu haben. Sie sind nicht die Repräsentanten ihres Stadtteils, diese Verantwortung sollte die Politik gemeinsam mit der Verwaltung übernehmen.

Es gibt in Köln Leitlinien für die Bürgerbeteiligung, doch diese Projekte geraten immer wieder ins Stocken.

In Nettersheim in der Eifel oder in Arnsberg gibt es gute Modelle, bürgerschaftliches Engagement strukturell in das Verwaltungshandeln einzubinden. In großen Städten ist das schwerer, weil die Interessen aufeinanderprallen. Vielleicht macht sich eine Initiative laut für etwas stark, aber repräsentiert nur zehn Prozent, und merkt das gar nicht. Irgendjemand muss diesen Check aber machen. Ich will die Initiativen nicht bremsen, sondern nur um Verständnis werben, dass ­dieses scheinbar langsame Verwaltungshandeln — das manchmal wirklich zu langsam ist — immer den Grund hat, dass sie alle Belange einbinden muss. Wir als Städte müssen da ­besser werden und Tools entwickeln, damit schneller klar ist, was geht und was nicht.