Ostberliner Nostalgie am Berghain: Marcel Dettmann

Von Gespenstern und Omen

Was es bedeutet, wenn das Berghain nicht mehr das Berghain ist, fragt sich Lars Fleischmann

 

Ein Gespenst geht um in Berlin und es heißt: Das Ende des Berghains.

Was als Zeitungsente des Faze Mag begann und schließlich im Spiegel und der Bild landete, erlebt weiterhin einen ghul-haften Aufstieg als böses Omen einer Szene im Umbruch. Zwar stehen eine geplante Schließung oder ein Verkauf des Clubs nicht zur Debatte, was aber stimmt: das zum Club gehörende Label Ostgut Ton hat seine Aktivitäten eingestellt und auch die hauseigene Booking-Agentur, die stets Aushängeschild des Berg­hain Sounds war, wird Ende des Jahres das letzte Mal Rechnungen für Booking-Fees versenden.

Was uns als Kölner*innen gelassen egal sein könnte — sollte es jedoch nicht sein, denn das Berghain hat auch die hiesige Szene inspiriert und beeinflusst. Wo »Berghain« oder »Ostgut Ton« draufstand,  war Techno Berliner Leb- und Wirkart garantiert; Marcel Dettmann (dazu gleich mehr), Ben Klock oder Len Faki brachten nicht nur ihren Ostberliner Dancefloor-Sound mit, sondern direkt ein ­Lebensgefühl: Fantasien von brutalistischer Architektur, polytoxikomanem Vergnügen und Sex. Das wird wohl über kurz oder lang ein Ende nehmen.

Die Residents sind mittlerweile überall erlebbar oder haben sich wie Len Faki schon vor Jahren verabschiedet; die 24 oder 36 Stunden Raves gibt es nicht nur dort, sondern eben auch regelmäßig im Gewölbe und weiteren Clubs; neue Anlagengenerationen haben auch anderswo legendäre Sounderlebnisse ermöglicht: Überall kleine und große Berghain-Klone.

Umgekehrt singt das Berghain immer häufiger in früher undenkbaren Tönen: Selbst sowas wie Rein de Sauvage Nolting aka RDS, der dieser Tage auf Kalahari seine Platte »Suite« veröffentlicht, läuft mittlerweile am Ostbahnhof. Das ist nämlich gar nicht mehr so Berlin, sondern ein trancey, Sci-Fi-Sound. Forsch und sehr Detroit, dann wieder mit Progressive Sounds spielt sich der Amsterdamer auf die Zettel der Clubbetreiber*innen. Denn heute ist gar nicht mehr so wichtig was läuft, sondern nur wie: Schnell, trancey und vielleicht sogar kitschig. Das reicht schon, um in der Panorama Bar überm Berghain auflegen zu dürfen. Wo die BPM-Zahl aber ausschlaggebendes Argument wird, da kann man schlecht argumentieren; geschweige denn einen unique Sound ableiten.

So wird beim tschechischen Label YUKU um Käufer*innen der neuen White-Label-Platte von Kliptown geworben. Da setzt der Bass dann keinen Schimmel an, sondern wobblet ins Mark als käme er direkt aus Bristol, Jahrgang 2010. Selbst bei Hessle Audio wäre man vorsichtig bei so viel Basswand. Unschön ist das aber nicht, hat es seine Wurzeln eben in der englischen Bass-Szene gefunden und führt deren Muster gekonnt aus. Inklusive high-pitched Vocalsamples. Das reicht immerhin für ein paar gut-gegroovte Minuten auf der Funktion-One Anlage im Club deines Vertrauens.

Apropos: Natürlich hat diese ganze Berghain-Nummer auch Konsequenzen, die sich selbst in Kölner Zimmern und Clubs abzeichnen. Jedenfalls finden jene, die Marcel Dettmanns Album »Fear Of Programming« im Plattenregal suchen, die Platte nicht bei Ostgut Ton, sondern beim Amsterdamer Label Dekmantel. Trotz weltweitem Erfolg glaubt man dieser Platte jede Kickdrum, jede minimal-angedubbte Line, ­jedes startende Düsentriebwerk — hier gibt es kein Realness-Problem. DAS ist halt schon noch der Sound eines Techno-Berlin. Wobei: Die kühle Kälte, die ehedem die kargen Betonwände umwehte, ist hier längst einem angetörnten Sound gewichen. Heute wird die Leere der Friedrichshainer Straßen, ca. 1991, nur noch angedeutet. Auf der Brache des Ostguts bricht man sich halt auch nicht mehr die Haxen, sondern geht heute in der Mercedes Benz-Arena irgendwelche Stars und Sternchen gucken. Zeiten ändern sich.

Deswegen klingt »Fear Of Programming« zwar echt, aber noch lange nicht besonders oder sogar gut. Es gibt handelsübliche Ware, die niemand vom Hocker haut.

Der Club Berghain, der lebt noch. Aber viele der Strukturen, die ehedem den Mythos mitgeprägt haben, bröckeln und gehen verloren.

RDS, »Suite« (Kalahari Oyster Cult / One Eye Witness)
Kliptown, »Untitled« (YUKU)
Marcel Dettmann, »Fear Of
Pro­gramming« (Dekmantel)