»SHIT(T)Y VOL.1« vom Analog Theater

Für alle mehr!

In der Freien Szene in Köln braut sich Ärger zusammen: Fünf Kölner Theatergruppen sind aus einem wichtigen Förderprogramm des Landes gefallen. Wie geht es für sie weiter?

 

»Es gibt in der Kölner Freien Szene gerade einige Unruhe«, schrieb kürzlich eine Kollegin in einer Mail. »Fünf etablierte Ensembles sind aus einer Förderung geflogen und beschreiben ihre Situation jetzt als existenzbedrohend.« Dann eine Liste der Namen: bekannte Gruppen, die seit vielen Jahren auf den Off-Bühnen der Stadt aktiv sind, Produktion nach Produktion liefern, teilweise ausgezeichnet sind mit wichtigen Thea­terpreisen der Region. Das Analog Theater, das A.tonal Theater, die Emanuele Soavi incompany, Silke Z., WEHR 51. Die Nachricht und die darauf folgende Stellungnahme einiger Mitglieder der Gruppen schlugen ein wie eine Bombe.

Als »Kahlschlag der Kölner Tanz- und Theaterszene« beschrei­ben die Unterzeichner*innen Jörg Fürst, Andrea Bleikamp und Rosi Ulrich die Absage der dreijährigen Förderung, als »existenzzerstörenden Akt«. Weil mit den weggebrochenen Geldern »gewachsene und in den letzten Jahren mit diesen Mitteln ausgebaute Strukturen jetzt vor dem Aus« stehen und rückgebaut werden müssen. Weil sie »gravierende Verfahrensfehler« bei der Juryvergabe sehen. Doch dazu gleich mehr.

2018 hatte die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ein neues Förderkonzept für die Freien Darstellenden Künste aufgelegt, mit einem neuen Baustein, der sogenannten »Konzeptförderung«. Sie richtet sich an Künstler*innen bzw. Ensembles und ­Initiativen, die kontinuierlich in NRW arbeiten. Wer sie bekommt, erhält aus einem Fördertopf von 1,3 Millionen Euro pro Jahr — für eine Laufzeit von drei Jahren. »Die Förderung soll für die künstlerische Entwicklung mehr Planungssicherheit und damit verbesserte Rahmenbedingungen schaffen«, heißt es in der Ausschreibung. In der ersten Runde von 2019 bis 2022 hatten die oben genannten Gruppen diese Förderung erhalten, für die nachfolgende Förderrunde ab 2023 gab es eine Absage.

»Nachhaltigkeit sieht anders aus!«, schreiben die Unterzeichner*innen in ihrer Stellungnahme. Um ihren Ärger zu verstehen, muss man auch wissen: Seit Jahren hangelt sich die Freie Szene in NRW von einer projektgebundenen Förderung zur nächsten. Finanzieren können sie damit überwiegend nur Ausgaben, die mit einer bestimmten Produktion, also einem Stück, das am Ende auf einer Bühne aufgeführt wird, verbunden sind. Geld, das in administrative Strukturen fließt, ist daher knapp bemessen — und die Konzeptionsförderung half eben dies zu finanzieren: den Auf- und Ausbau von Kooperationen mit Theaterhäusern etwa, aber auch Kosten, die mit der Buchhaltung verbunden sind.

Anruf bei Jörg Fürst vom ­A.tonal Theater. Der Ärger über die Absage ist ihm deutlich anzumerken. Wütend klingt er am Telefon, und verzweifelt. »Für uns war das ganze Verfahren wahnsinnig unschön«, sagt er. Im Frühjahr 2022 hatten alle Bewerber*innen aufwendige Evaluierungen durchlaufen müssen. Um 135.000 Euro für die kommenden drei Jahre war es für die Gruppe damals gegangen. Geld, das mit der Absage nun einfach weggebrochen ist. Jörg Fürst kritisiert, dass die Evaluierung im Vergabeprozess, also wie wirtschaft­lich eine Gruppe mit den letzten Fördergeldern gehaushaltet habe, am Ende keine Rolle gespielt habe. Dass beispielsweise auch Festivals die Förderung erhalten hätten, dabei war von ihnen in der Ausschreibung so ausdrücklich nicht die Rede gewesen — und dass es im Verlauf der Entscheidung keine Gespräche mit den von Absagen bedrohten Gruppen gegeben habe.

Geäußert hat sich das Landesministerium für Kultur und Wissenschaft, das die Vergabe leitet, zu diesen Vorwürfen bislang nicht, auch auf Anfrage der Stadtrevue gab es bis Redaktionsschluss keine Antwort. »Man kann über eine Verfeinerung des Verfahrens sprechen«, sagt aber auch Ulrike Seybold, Geschäftsführerin vom NRW Landes­büro Freie Darstellende Künste. Sie betont, dass sie in dem Vergabeverfahren keine schwerwiegenden Mängel sieht, durchaus aber die Notwendigkeit, in der Ausschreibung künftig klarer zu formulieren, wer mit der Förderung angesprochen werden soll. Dass mit dem Begriff Initiativen etwa auch Festivals gemeint gewesen seien, sei nicht allen klar gewesen. Und welche Rolle habe die Evaluie­rung im Entscheidungsprozess gespielt? Auch Ulrike Seybold will sich zu dieser Frage nicht äußern, immerhin sei das Landesbüro für die Vergabe auch gar nicht zuständig.

Für die Gruppen, die nun aus der Förderung fallen, ist diese Situation schwer auszuhalten. Wie sollen die mühsam erarbeiteten Strukturen weiter finanziert werden? Daniel Schüßler vom Analog Theater wirkt beim Videotelefonat an einem Sonntagabend immer noch ratlos. »Für uns war diese Absage wie ein Schlag in die Magengrube«, sagt er.  Seit 2004 gibt es die Gruppe in Köln. Vor zwei Jahren wurden sie für das Stück »Geister ungesehen« mit dem Kurt-Hackenberg-Preis für poli­tisches Theater ausgezeichnet, ­aktuell sind sie mit »CAMPING ­PARAÍSO**« für den Kölner Theaterpreis nominiert. Das Analog Theater ist ein etabliertes Ensemble, eines, das kurz vor seinem 20-jährigen Jubiläum steht. »Gerade sind die Empfehlungen zur Erhöhung der Honorarbeiträge vom Bundesverband Freie Darstellende Künste veröffentlicht worden, viel weiter können wir die Gagen gar nicht absenken«, sagt Schüßler. Anderer­seits: »Jetzt stehen wir eventuell vor der Situation, den Kolleg*innen sagen zu müssen, tut mir leid, wir können euch nicht besetzen und die bekommen dann plötzlich gar nichts mehr?«

Im aktuellen Koalitionsvertrag der Landesregierung heißt es, die soziale Absicherung von Künst­lerin­nen und Künstlern sei ein zentrales Anliegen. »Wir wollen, dass die Kulturszene in Nordrhein-­West­fa­len nach der Corona-Krise wieder auflebt. Die finanzielle Sicherheit, die dafür nötig ist, wollen wir durch spezielle Förderungen geben, so lange, bis die Auswirkun­gen der Pandemie abge­klungen sind.« Vereinbart wurde auch eine Erhöhung des Kulturetats bis 2027 um 50 Pro­zent, also von aktuell 315 Millionen Euro auf 450 Millionen Euro.

Wie viele andere, haben auch Jörg Fürst und Daniel Schüßler gehofft, dass ein Teil dieses Geldes in die Konzeptionsförderung fließen könnte. Dass also mehr Gruppen im kommenden Förderzeitraum aufgenommen werden könnten. Denn eine Konkurrenz innerhalb der Freien Szene wollen beide vermeiden: »Und wir brauchen dieses Geld eben auch dringend, um die erfolgreiche Arbeit und die frisch aufgebauten Strukturen nachhaltig erhalten zu können«, sagt Daniel Schüßler. Und dann fällt der programmatische Satz an diesem Abend, »Für alle mehr«, denn was jetzt ist, ist zu wenig.