Artemisia Gentileschi, Susanna und die Ältesten, 1622, 161,5 × 123 cm, Öl auf Leinwand, The Burghley House Collection, Stamford

MeToo im Barock?

Das Wallraf-Richartz-Museum geht dem Susanna-Motiv nach und landet unweigerlich in der Gegenwart

Die biblische Episode der »Susanna und die Ältesten« aus dem Buch Daniel, die man auch als »Susanna im Bade« kennt, ist eines der beliebteren Motive der Kunsthistorie. Sie erzählt die Geschichte der Susanna, die von zwei Ältesten (also Amtsträgern) beim Bad im heimischen Garten angesprochen, bedroht und erpresst wird. Sie wird vor die Wahl gestellt: Entweder habe sie Sex mit den beiden oder man werde ihr ein außereheliches Verhältnis nachsagen. Susanna verweigert sich den Männern, trotz der Gefahrenlage: Ehebruch bedeutete die Todesstrafe.

Die Ältesten klagen Susanna folglich an, woraufhin sie abgeholt und von der Bevölkerung zum Tode verurteilt wird. Nur der jugendliche Prophet Daniel kann die Männer der Lüge überführen, woraufhin Susanna freigelassen und rehabiliert wird. Die Ältesten werden indes gesteinigt.

Wer sich bei dieser Thematik an namhafte Schlagzeilen über Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und mediale Vorverurteilungen erinnert fühlt, der liegt nicht ganz falsch: Im Wallraf-Richartz-Museum findet dieser Tage nicht nur die weltweit erste Schau statt, die sich ausschließlich dieser Geschichte und seiner Verwendung als Topos, Motiv und Bildinventar in der Kunstgeschichte widmet, sondern zudem eine hochaktuelle. Mittelalter und MeToo treffen schon im Untertitel aufeinander. Wohlfeil begegnen die Kurator*innen Roland Krischel und Anja K. Sevcikman dem Themenkomplex nicht, ganz im Gegenteil: Behutsam und mit Obacht räumt man den Eindruck der zeitgeistigen Verwertung eines aktuellen Diskurses aus dem Weg.

Vorneweg stellt das Wallraf-­Richartz-Museum eine sogenannte »trigger warning«: Die Besucher*in­nen werden ob des teilweise eindeutig sexuellen und gewalttätigen Inhalts der Bilder hingewiesen. Das geschieht nicht aus Prüderie, man möchte vielmehr Opfer sexueller Gewalt vorwarnen. Hinsichtlich der expliziten Darstellung von sexuellem Missbrauch — auch wenn man bereits im Vorfeld unmissverständlich pornografische Inhalte ausgeschlossen hat — vielleicht nicht die schlechteste Idee.

Scheint eine solche »trigger warning« häufig übertrieben, drängt sich gerade im Zusammenhang mit dem Susanna-Motiv und den hier gezeigten 80 Exponaten ein gewisses Fingerspitzengefühl auf. Allzu oft geht es um die entblößte Susanna und geifende sowie übergriffige, haltende, überwältigende Männer, die nicht nur auf Tuchfühlung, sondern oft ­darüber hinaus gehen. Zwar lassen sich in der Schau auch Gemälde finden, die sich anderer Aspekte der Geschichte annehmen, ­wie etwa die Verhaftung der Ältesten — das Bademotiv bleibt dennoch das mit Abstand prominenteste.

Darüber hinaus umschifft man jegliche generalisierende Antworten und gibt sich unterdessen ­am­bivalent. Die Motivationen für das Susanna-Motiv sind nunmal wechselhaft. Mal steht sie für ­Tugend, dann wiederum muss sie als Sinnbild für laszive Verführung herhalten.

Die Ausstellung forscht diesen oft im Widerspruch stehenden Veranlassungen in acht Kapiteln nach und bietet die Möglichkeit zum Bildvergleich: Das Kapitel »Artistik« schaut sich den Topos als künstlerische Herausforderung an, in der man — gerade in Zeiten, in denen die Darstellung von Nacktheit sonst verpönt war — durch technisch-exzellente Ausarbeitung des unbekleideten Körpers und der krassen Emotionen zwischen Wut, Angst und Geilheit als Maler*in brillieren konnte. Hier findet man Gemälde von Cornelis Cornelisz oder Jacob Jordaens. Gerade das 1653 entstandene ­Tafelbild des aus Antwerpen stammenden Jordaens zeigt vortrefflich wie solcherlei Gründe auch vorgeschoben sein konnten. Das Gemälde beinhaltet das bekannte Inventar: Die fast unbekleidete Susanna; eine Bademöglichkeit, die hier zur Fußwanne geschrumpft ist und natürlich die beiden Ältesten.

Doch überwiegt hier nicht ­malerische Brillanz, sondern persiflierte Züge, die neben einer ­Verhöhnung der Susanna, die gleichgesetzt wird, mit überaus rundlichen Gefäßen, auch klassische antisemitische Züge in den Männern erkennen lassen. Mit großer, krummer Nase, fleischigen Lippen und verzerrtem Lächeln schließt Jordaens an zeit-typische, antijüdische Karikaturen an. Zur Krönung bekommt Susanna sogar einen Tritt in den »Allerwertesten«, was sie mit einem befremdlichen Lächeln notiert. Alles ist überzeichnet und unangenehm; es ist eine fehlgeleitete Satire, die in ­ihren Affekten zwischen debilem Vergnügen und geistloser Geilheit changiert.

Dem gibt die Ausstellung dann im Kapitel »Gegenwehr« mit den Werken der italienischen Malerin Artemisia Gentileschi kontra. Die 1593 in Rom geborene Malerin ist eine Ikone der feministischen Kunstgeschichtsforschung. Sie gilt nicht nur als eine der ersten selbstbewussten Künstlerinnen, sondern hat sich als Wunderkind und frühe Meisterin einen hervorragenden Ruf erarbeitet, der ihr erlaubte, später im Leben als allein­erziehende Mutter am gesellschaft­lichen Leben teilzunehmen. Arte­misia Gentileschi hat sich gleich mehrfach des Susanna-Motivs angenommen — ein persönlicher Bezug auf Grund einer selbst erlebten Vergewaltigung wird in der Forschung diskutiert. In ihrer Darstellung aus dem Jahr 1622 ist Susanna Opfer der lüsternen Männer, die sie belästigen, sie weigert sich jedoch förmlich, zum bloßen Objekt degradiert zu werden. Sie verdeckt zwar ihre Blöße, aber versucht möglichst unbeeindruckt von den Ältesten zu bleiben. Ihr Blick geht gen Himmel, mit ein wenig Fantasie meint man ein »Per carità!« zu vernehmen: Um Gottes Willen.

Doch was soll uns das sagen? Das Museum möchte sich nicht festlegen, sondern versucht, zwischen verschiedenen Deutungen, historischen Schulen und kritischen Paradigmen zu vermitteln. So kollidieren immer wieder der Anspruch der feministischen Kunstgeschichte und konservativen Deutungen — bis hin zum Eingeständnis, dass es feministische Stimmen gebe, die eine Darstellung des Susanna-Motivs per se problematisch finden. Dieser stets der Ambivalenz einen Platz einräumende Ansatz könnte als Wankelmut missverstanden werden; mit dieser Kritik muss man aber nicht d’accord gehen. Die Neu-Einordnung des eigenen Bestands unter aktuellen Gesichtspunkten ist eine der wichtigsten Aufgaben für Museen, die auf Alte Meister spezialisiert sind — das Wallraf-­Richartz-Museum setzt dies mit »Susanna — Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo« höchst interessant um. Die gebotenen Blickwinkel und historischen Einordnungen hinterlassen einen wirklich positiven Eindruck; trotz der bisweilen sehr bitteren Thematik.

Susanna — Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Obenmarspforten/Am Kölner Rathaus bis 26. Februar 2023; Di–So 10–18 Uhr, 1. & 3. Do 10–22 Uhr