Erzählen weibliche Familiengeschichten: waltraud900 im FWT; Foto: Melanie Zanin

Eine Kette aus Erfahrungen

Das Theaterkollektiv waltraud900 zeigt in seinem Stück »Grandmothers of the Future« die transgenerationale Aufarbeitung weiblicher Familiengeschichte.

»Meine Großmutter hat immer gesagt, es gibt keinen besseren Anfang als: Mein Großmutter hat gesagt...« Und auch am Anfang dieses Stückes steht er, der programmatische Satz, der gleich zu Beginn deutlich macht, worum es der Künstlerinnengruppe waltraud900 in ihrem Stück »Grandmothers of the Future« geht: um eine transgenerationale Aufarbeitung der weiblichen Familiengeschichte. Welche Erfahrungen der Großmütter haben die eigene Biografie geprägt? Wie haben die Narrative, mit denen sich die Frauen in der Familie von ihrem Leben erzählen, das eigene Leben beeinflusst? Wie sind sie, die Performerinnen, zu den Menschen geworden, zu deren bloßer Existenz ihre Großmütter auch beigetragen haben?

Ende November hatte das Stück im Freien Werkstatt Theater Premiere, in einer Online-on-Demand-Version ist es nun im Netz zugänglich. Ein rund 60-minütiger Film, die Kamera schwenkt locker über die Bühne, zoomt mal hier hin, mal dort hin. Das ist kein starres Abfilmen eines Theaterstücks, obgleich sich die Intensität auf dem Bildschirm natürlich nicht übertragen lässt.

Die fünf Performerinnen erzählen, gekleidet in weißen Weltraumanzügen, von ihren deutschen, griechischen, iranischen und palästinensischen Großmüttern. Von der Decke hängen an ­neonfarbenen Gummischnüren transparente Plastikkugeln, darin ein kleines Loch, durch die der Sand auf den Boden rinnt, während sie sich durch die Biografien und ein ganzes Jahrhundert erzählen. Überhaupt ist die Performance symbolisch aufgeladen: Netzwerke werden gespannt, aus farbigen Wollfäden, einmal kreuz und quer über die Bühne. In Gymnastiksessions rackern sich die Schauspielerinnen ab, so wie es schon ihre Großmütter in der Fabrik, bei der Versorgung der Kinder, beim Zusammenhalten ihrer Familien taten. Immer scheint auch das Unsichtbare durch — und das Unsagbare. Etwa wenn es in den Nacherzählungen um Schwangerschaftsabbrüche mit dem Kleiderbügel geht — oder Vergewaltigungen, aus denen die eigene Mutter entstanden ist.

Ein bisschen zerfasert wirkt das Stück an der einen oder an­deren Stelle, wenn es versucht, pluralistische Erfahrungen zusammenzubringen und dann noch auf das eigene Ich zu beziehen. Doch als Anreiz zur Selbstbeschauung eignet es sich. Wir alle — in einer Kette von Ereignissen, die unser Selbst prägen, manchmal ohne dass es uns bewusst ist.

Im Netz unter fwt-koeln.de