Total fertig: In knapp zwei Jahren Bauzeit hat ein Totalunternehmen das Gymnasium Zusestraße in Lövenich errichtet

Eine einzige Baustelle

In Köln gibt es nicht genug Schulplätze — weil der Schulbau jahrzehntelang ­vernachlässigt wurde. Nun investiert Köln Milliarden Euro und beauftragt Totalunternehmer, damit der Bau endlich vorangeht. Wie wird diese neue Schulbauwelle die Stadt prägen? Und reicht das, damit jedes Kind den passenden Schulplatz bekommt? Teil 2 unserer Serie zur Schulmisere in Köln

Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist zurzeit viel auf Schulbaustellen unterwegs. Mal verlegt sie den Grundstein für ein Berufskolleg in Nippes, mal lässt sie sich mit Spaten am Rhein-Gymnasium in Mülheim fotografieren oder feiert Richtfest an einer Gesamtschule in Roden­kirchen. Damit will Reker zeigen: Es geht voran mit dem Schulbau! Knapp zweieinhalb Milliarden Euro steckt die Politik nun in den Bau und die Sanierung von Schulen, so viel bekommt kein anderes städtisches Großbauprojekt.

Die Bauwelle ist nötig, weil Köln sich im Schulnotstand befindet. Seit etwa fünfzehn Jahren reichen die Schulplätze in Köln nicht aus. Tausend Kinder wurden im vergangenen Jahr allein an Gesamtschulen abgelehnt. Auch an den Gymnasien ist die Not groß: Kinder müssen weite Wege teils bis ins Umland zurücklegen, weil sie in ihrem Viertel keinen Platz bekommen. Schon 2016 rief die damalige Bildungsdezernentin Agnes Klein (SPD) den Schulnotstand aus. Im aktuellen Schulentwicklungsplan geht die Verwaltung davon aus, dass Köln bis 2030 mindestens 54 weitere Schulen braucht. Gleichzeitig warten Dutzende Schulen seit vielen Jahren auf die Sanierung. Nicht in allen sind die Zustände so schlimm wie im Gymnasium Kreuzgasse, das mit offen liegenden Stromleitungen und defekten Fenstern von sich reden machte. All das, verspricht Reker, werde sich bald bessern. Sie habe den Schulbau endlich angepackt.

»Ja, der Schulbau hat mehr Dampf bekommen, weil die Not wirklich groß ist«, sagt Stefanie Ruffen. Die FDP-Politikerin, Vorsitzende des Bauausschusses und Mitglied im Schulausschuss, hat zum Gespräch in ihr Architekturbüro im Pantaleonsviertel gebeten. Gleich nebenan liegt das Humboldtgymnasium, das sie einst selbst besucht — und nie ohne Holzbaracken oder Container auf dem Hof gesehen hat. Seit kurzem ist der Neubau samt Kammermusiksaal ­fertig, topmodern und in Passivhaus-Bauweise, weshalb der Sonnenschutz öfter mal in un­passenden Situationen hoch- oder runterfährt oder die Lehrkräfte »schock­gekühlt« werden, weil ihre Schüler ­zuvor mit vereinten Kräften ins CO2-Messgerät gepustet haben. Ruffen kann über all diese Anekdoten lachen, denn trotz allem, sagt sie, sei beim Schulbau in Köln ­»vieles besser ge­worden«.

Dies liege vor allem daran, so Ruffen, dass die eigentlich zuständige Gebäudewirtschaft, eine »eigenbetriebsähnliche Einrichtung« der Stadt, den Schulbau zu großen Teilen in die Hände von General- und Totalunternehmern (GU/TU) gelegt habe. Diese übernehmen die komplette Bauausführung, Totalunternehmer zudem auch die Planung. Es gibt weltweit nur wenige Unter­nehmen in diesem Segment. Sie sollen aufholen, was die Stadt über Jahrzehnte vernachlässigt hat und innerhalb weniger Jahre mehr als 70 Schulbaumaßnahmen — Neubauten, Erweiterungen und Sanierungen — an mehr als 30 Standorten fertigstellen. Fast zweieinhalb Milliarden Euro hat der Rat dafür bereitgestellt.  

Warum muss das sein? Warum schafft die Gebäudewirtschaft es nicht selbst? »Man hat die städtischen Strukturen nicht vernünftig aufgestellt, sondern im Gegen­teil personell geschwächt«, sagt Stefanie Ruffen. Andere sagen: kaputtgespart. So gönnte der frühere Stadtdirektor Guido Kahlen (SPD) der CDU-geführten Gebäude­wirtschaft lange Zeit kein gutes Personal — ­heute versucht die Gebäudewirtschaft mühsam, es ­wieder aufzu­bauen. Doch um den Schulbau in Gänze stemmen zu können, bräuchte es noch viel mehr, glaubt Ruffen: »Eine echte, eigenständige Schulbau­gesellschaft, die ihre Mitarbeiter besser bezahlen kann, wie etwa die Stadtentwässerungsbetriebe als Kommunalunter­nehmen.« Nun hat der Kölner Rat zwar gerade den Aufbau einer Schulbaugesellschaft beschlossen. Sie soll den Schulbau in Neubaugebieten wie Kreuzfeld oder Parkstadt-Süd verantworten und im kommenden Jahr den Betrieb aufnehmen. Doch sie soll nur mit sieben Mitarbeitern aus­ge­stattet werden. »Was soll das bringen — ­außer einem gut dotierten Posten für den künftigen Geschäfts­führer?«, so Ruffen.

Was soll diese Schulbaugesellschaft bringen — außer einem gut dotierten Posten für den ­künftigen Geschäftsführer?
Stefanie Ruffen, FDP

»Die GU/TU-Projekte laufen gut«, sagt auch Gerd Brust von den Grünen. »Mehr schafft die Bauwirtschaft zurzeit gar nicht.« Die Linke stimmt als einzige Partei stets gegen die Projekte, weil sie gegen private Bau­träger ist. Sonst ist man sich in Bau- und Schulausschuss einig. Brust kann verstehen, dass nun alle auf die Stadt schimpfen, die ihre Schulen nicht instand gehalten und versäumt hat, neue zu bauen. Aber er bestreitet, dass dies allein an parteipolitischen Scharmützeln oder kölschen Absurditäten liege - auch wenn es heißt, dass der frühere Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) nach ­einem Ratsbeschluss, künftig alle Schulen in Passivhausbauweise zu errichten, mehrere Projekte blockierte — ­allein wegen seiner persönlichen Abneigung gegen Passiv­häuser. Doch Brust nennt auch nachvollziehbare Gründe. Als die Gebäudewirtschaft 1997 gegründet ­wurde, hatte sich bei den Schulen bereits ein Sanierungs­stau von annähernd einer Milliarde Euro angehäuft. Dann wurde der offene Ganz­tags­betrieb eingeführt, der Bund setzte Förderprogramme für den Bau von Mensen und Räumen für die Über­mittagsbetreuung auf. Köln zog diese Projekte vor, um die Fördermittel nicht auslaufen zu lassen — erst ­waren die Grundschulen dran, eini­ge Jahre später die weiter­führenden Schulen. »Das hat uns weit zurückgeworfen«, so Brust. Doch nun ­mache man gewaltige Fortschritte. »Was uns jetzt noch zurückwirft, sind die Änderungs­wünsche.« Etwa von Umweltschützern — oder von Eltern.

Jan Hopmann sitzt auf den großen Treppenstufen im Eingangsbereich des Hölderlin-Gymnasiums in Mülheim. Es ist Mittag, die Schüler schwärmen aus den Klassen, schlagartig wird es eng und laut. Elternvertreter Hopmann, der früher selbst hier zur Schule gegangen ist, redet tapfer gegen den Lärm an. »Die Raumnot ist groß«, sagt er. Vor allem Fachräume fehlten. Im Jahr 2007 beschloss der Rat, dass der Altbau saniert und erweitert werden sollte. Doch 2018, kurz bevor es endlich losgehen sollte, zog die Schul­verwaltung die Pläne zurück: Eine Sanierung lohne nicht. Ein Neubau sollte her — die Schule wurde in ein GU/TU-Paket mit aufgenommen. Die Verwaltung lud die Schulgemeinde zu einem Workshop ein, bei dem Skizzen für ein neues Gebäude mit »Clustern« entstanden, wie sie im modernen Schulbau üblich sind. Dann beschied die Stadtverwaltung: Das Raumprogramm passe nicht auf den bisherigen Standort. Das Hölderlin-Gymnasium müsse zweigeteilt werden. Dagegen wehrte sich die Schule erfolgreich. Die Politik beauftragte die Verwaltung, zu untersuchen, ob der angestammte Standort nicht doch groß genug sei. Diese wiederum präsentierte im Novem­ber plötzlich Pläne, das Hölderlin-Gymnasium an der Holweider ­Straße neu zu bauen, und an seiner jetzigen Stelle eine Grundschule. Die ­Politik lehnte wiederum ab. Nun warten alle auf das Ergeb­nis einer »Bauvoran­frage« der Stadt für den ­jetzigen Standort.

»Die Eltern wollen nicht glauben, dass das Raum­programm dort nicht unterzubringen ist«, sagt Gerd Brust (Grüne). Eine Stadtsprecherin verweist darauf, dass man großen Wert darauf lege, ein »zukunftsfähiges« Schul­gebäude zu schaffen. Nur mit einem Neubau sei es zudem möglich, maximal klimaschonend in Passivhausbauweise zu bauen. Jan Hopmann sieht das völlig anders: Der Mehrbedarf sei nicht so groß, wie von der Stadt behauptet. Der Auftrag im Workshop habe gelautet, Schule zu »träumen.« Von den Ergebnissen habe sich die Schule inzwischen distanziert. »Die Stadt plant viel zu voluminöse Schulen, die wir bei dem vorherrschenden Lehrermangel gar nicht bespielen können, und die die kommenden Generationen mit ihrem Energieverbrauch belasten«, sagt Hopmann. Er plädiert dafür, den Altbau zu sanieren und zu erweitern — allein schon aus Gründen des Klimaschutzes.

Selbst in den 50er Jahren, als die Not viel größer war, hat man in Köln bundes­weit anerkannte Schulen gebaut. Warum soll das jetzt nicht ­möglich sein?Reinhard Angelis, Architekt

»Wenn man allein die CO2-Emissionen betrachtet, ist eine Sanierung nach heutigem Kenntnisstand immer vorzuziehen, auch wenn beim Neubau ein Plusenergiehaus entsteht«, sagt Reinhard Angelis, Vorsitzender des Bundes deutscher Architekten (BDA) Köln. Es sei durchaus möglich, ein altes Gebäude zu einer modernen Schule samt Clustern und Lernlandschaften umzu­bauen. »Das ist eine Frage der planerischen Intelligenz.« Solch komplexen Baufragen aber gingen Totalunter­nehmer lieber aus dem Weg. »Die greifen lieber auf eta­blierte Standards zurück. Da bekommt man in der Regel Stangenware.« Vor allem mit den TU-Projekten, so sieht man es beim BDA, werde eine große Chance vertan: Gute Schul-Architektur von morgen für die nächsten Generationen zu schaffen. »Selbst in den 50er Jahren, als die Not in der Kommune viel größer war, hat man in Köln bundesweit anerkannte Schulen gebaut. Warum soll das jetzt nicht möglich sein«, fragt Angelis.

Ja, sagt auch Gerd Brust von den Grünen, die Politik verzichte bei den Schulbaupaketen darauf, auf die ­Gestaltung Einfluss zu nehmen. Das sei zurzeit nicht zu ändern. Jedoch: »Da sind erfahrene Architekten am Werk, die sich ja auch an unsere städtischen Bauqualitäts- und Ausstattungsstandards ­halten müssen.« Auch Stefanie Ruffen gibt zu, dass die archi­tektonische Qualität in den Ausschüssen kaum eine Rolle spiele. »Da geht es einzig um die Zahl der Schul­plätze.« Ruffen will nun versuchen, der architektonischen Qualität der Schulen mithilfe des städtischen Gestaltungs­beirats eine größere Rolle bei der Vergabe zu verschaffen.

Die Schulbauwelle rollt nun, doch für viele Kinder kommt sie zu spät. Im November stellten die Kölner Dezer­nenten für Schule und Bauen, Robert Voigts­berger (SPD) und Markus Greitemann (CDU), vor, wie sie kurzfristig zusätzliche Schulplätze schaffen wollen. An sechs Gymnasien sollen Container aufgestellt und ­Räume in der Umgebung angemietet werden. Auf diese Weise ­sollen sechzig zusätzliche Klassen- und Fach­räume entstehen. Erstmals hatte die Verwaltung alle Schulstandorte systematisch auf diese Möglichkeiten hin untersucht, nachdem die Bezirks­regierung angekündigt ­hatte, keine weiteren Mehrklassen mehr zu genehmi­gen, wie es lange Jahre ­üblich gewesen war. Erst auf dieses Machtwort hin hatte sich eine Schulbau-Task­force gebildet, die nun wöchent­lich tagt. Doch trotz allem wird es nach den Plänen der Stadt erst in zweieinhalb Jahren ­genug Gymnasialplätze geben. An den ­Gesamtschulen, wo der Mangel mit Abstand am größten ist, wird es noch mehr als sechs ­Jahre dauern, bis die ­Plätze für alle reichen — im günstigsten Fall.