Das war Köln 2022

Wir blicken zurück auf zwölf Monate, die Köln vor viele Aufgaben gestellt haben: Wie wollen wir in Zeiten der Energiekrise noch klima­neutral werden, die Verkehrswende schaffen und nicht ­zuletzt Menschen unterstützen, die aus der Ukraine und aus ­anderen Ländern zu uns fliehen? Aber auch die Skandale des ­Erzbischofs, der Ballermann-Karneval und Kinder, die demons­trieren, weil sie keinen passenden Schulplatz finden, haben das zurückliegende Jahr geprägt

 

10. Januar

Urteil im Bähner-Prozess

Es war ein deutliches Urteil und eine deutliche Überraschung. Im Januar wurde der ehemalige CDU-Politiker Hans-Josef Bähner zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er vor seinem Haus am Porzer Rheinufer den damals 20-jährigen Krys M. rassistisch beleidigt und mit einer illegal besessenen Pistole an der Schulter verletzt hatte. Ein Großteil des Prozesses nahm die Frage ein, ob Bähners Tat rassistisch motiviert gewesen sei. Das Opfer Krys M. und seine drei Begleiter mussten sich langen, intensiven Befragungen durch das Gericht und Bähners Anwalt unterziehen, bei denen auch ihre Social-Media-Posts zur Sprache kamen. Am Ende schenkte das Gericht ihren Worten Glauben und verwarf Bähners Darstellung, er habe in Notwehr gehandelt. Bähners Anwalt war dagegen in Revision gegangen, der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil jedoch im Dezember.

Christian Werthschulte

 

24. Februar

Angriff auf die Ukraine

Mit Konfetti-Kanonen wurde an Weiberfastnacht der Karneval wie üblich eröffnet — obwohl in Europa Krieg herrschte. Russland hatte in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die Ukraine angegriffen. Man könne den Karneval jetzt nicht mehr absagen, hieß es. Dafür hagelte es bundesweit Kritik. Am Rosenmontag zeigten sich die Kölner Jecken dann solidarischer: Das Festkomitee Kölner Karneval sagte den traditionellen Rosenmontagszug ab und rief stattdessen zu einer Friedensdemo auf, an der rund 250.000 Menschen teilnahmen. Der höchste Kölner Feiertag wurde zu einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine. Tausende Menschen flüchteten in den folgenden Monaten aus der Ukraine nach Köln. Da durch den russischen Angriff auch Energiekosten und Lebensmittelpreise explodierten, rutschten viele Kölnerinnen und Kölner in die Armut. Sämtliche Tafel-Ausgaben sind überfüllt und nehmen keine weiteren Bedürftigen mehr auf.

Anja Albert

 

28. März

Zu wenige  Schulplätze

Kinder bekommen keine Plätze an weiterführenden Schulen, weil die Stadt es nicht schafft, ihrer Pflicht nachzukommen, ausreichend Schulen zu bauen und zu sanieren. 2022 überbot noch die Vorjahre: Erneut wurden 1000 Kinder an der Gesamtschule abgelehnt, erstmalig aber erhielten auch Hunderte Viertklässler an Gymnasien zunächst keinen Platz. Ende März demonstrierten Kinder und Eltern lautstark am Alter Markt. Politik und Verwaltung sahen keine Schuld bei sich, obwohl das Chaos mit Ansage kam. Denn in diesem Jahr kommunizierte die Stadt offen, dass Eltern ihre Kinder an mehreren Schulen gleichzeitig anmelden können. Manche erhielten so gleich fünf Zusagen, während andere auch nach der dritten Anmelderunde noch keinen Platz hatten und in umliegende Kommunen ausweichen mussten. Am Ende kam es wie immer: Die Klassen wurden vollgestopft, Schulen zur Bildung von Mehrklassen gezwungen, und die Bezirksregierung rügte die Stadt, weil Fachräume zu zusätzlichen Klassenzimmern umfunktioniert wurden. Auch wenn Mehrfachanmeldungen inzwischen untersagt sind, werden im Frühjahr wieder Hunderte Kinderträume platzen: Trotz Schulnotstands wird im kommenden Jahr keine einzige neue Schule eröffnen.

Anja Albert 

 

5. Mai

Umstrittene Wahlen im Stadtrat

CDU und Grüne vereinbarten 2020 einen neuen Zuschnitt der Dezernate in der Stadtverwaltung. Da zudem Dezernate neu eingerichtet wurden und die Amtszeit einiger Leitungen auslief, standen mehrere Wahlen im Rat an, die dann mehrfach zum Eklat führten. So war es schon 2021, als der CDU-Politiker Niklas Kienitz nach der Wahl zum Dezernenten für Stadtentwicklung und Wirtschaft zurückzog — offenbar, weil durchsickerte, dass ihn die Bezirksregierung für ungeeignet hielt und die Wahl nicht anerkannt hätte. Der neue Kulturdezernent Stefan Charles und William Wolfgramm als Umwelt-Dezernent traten noch halbwegs ohne Proteste ihre Jobs an, obwohl auch hier kritisiert wurde, es habe zu wenige Informationen zu den anderen Bewerbern gegeben. Beim Versuch aber, endlich einen Ersatz für Kienitz zu wählen, gab es eine juristische Anfechtung durch die Linke im Rat. Die kritisierte ebenso wie Die Fraktion das intransparente Verfahren der Bewerberauswahl — und bekam Recht. Erst im zweiten Anlauf wurde so der CDU-Politiker Andree Haack im Mai zum Dezernenten für Wirtschaft und Stadtentwicklung ordnungsgemäß gewählt und dann auch von der Bezirksregierung bestätigt.

Bernd Wilberg

 

10. September

Proteste gegen A4-Ausbau

Während Politik und Verwaltung seit Jahren das Ziel ausgeben, dass weniger Menschen in Köln mit dem Auto fahren, wird im Süden ein gigantisches Verkehrsprojekt vorangetrieben, das noch mehr Autos in die Stadt spülen wird. Die Autobahn A4 soll von sechs auf acht Spuren ausgebaut werden, wofür wohl auch Abriss und Neubau der denkmalgeschützten Rodenkirchener Brücke notwendig wären. Dagegen demonstrierte Anfang September »A4 Minus«. Für die Initiative ist das Bauvorhaben mit Klimaschutz und Mobilitätswende unvereinbar. In der Kölner Politik spielt die Debatte um den gigantischen Autobahn-Ausbau nur eine Nebenrolle. Vor allem, weil sich CDU und Grüne, Bündnispartner im Stadtrat, in Verkehrsfragen oft uneinig sind, verloren sich viele verkehrspolitische Debatten des Jahres im Kleinklein — etwa wenn es um die auto­freien Zonen auf der Ehrenstraße, der Kitschburger Straße in Lindenthal oder der Deutzer Freiheit ging.

Jan Lüke

 

21. Oktober

Hochhaus-Streit

Die Debatte um Hochhäuser ist wieder entbrannt. Zur Erinnerung: 2004 ließ man die Pläne für ein Hochhaus-Ensemble in Deutz fallen, weil die Unesco intervenierte, denn die Türme hätten die Sicht auf den Dom verstellt. Später wollte man endlich ein Hochhaus-Konzept und klare Regeln entwickeln. Das geschah aber nie und rächt sich jetzt, da immer mehr Investoren Hochhaus-Pläne einreichen. Das zeigt auch der Streit um Pläne der DEVK-Versicherung in Riehl. Am Rheinufer will der Konzern die Zentrale auf 145 Meter aufstocken. Wie so oft sind CDU und Grüne sich uneins, die DEVK-Chefetage fühlt sich hingehalten, auch weil OB Henriette Reker Gesprächsangebote nicht wahrgenommen habe. Da konnte dann die SPD auftrumpfen — und gab in der Riehler Zentrale mit DEVK-Chef Bernd Zens eine gemeinsame Pressekonferenz. Man wetterte gegen Reker, den zuständigen Dezernenten Markus Greitemann (CDU) und gegen Schwarz-Grün im Rat. CDU und Grüne haben die Entscheidung erst einmal vertagt: Der Stadtentwicklungsausschuss hat einen Architektenwettbewerb beschlossen. Die 145 Meter bleiben möglich.

Bernd Wilberg

 

9. November

Ermittlungen gegen Kardinal Woelki

Schonungslos wolle er die sexualisierte Gewalt im Erzbistum aufklären, sagte der Kölner Erzbischof bei seinem Amtsantritt. Stattdessen lässt Rainer Maria Woelki seine Anwälte nach jeder weiteren Enthüllung durch die Medien drohen, dementieren und abwiegeln. Bislang erfolgreich: Kein noch so großer Skandal konnte Woelki etwas anhaben. Anfang November jedoch gab die Kölner Staatsanwaltschaft bekannt, nun doch gegen Woelki zu ermitteln. Anlass sind Äußerungen einer früheren Mitarbeiterin, die berichtete, dem Kardinal bereits 2015 eine Liste mit Missbrauchstätern zusammengestellt zu haben, auf der auch der Name des prominenten Klerikers Winfried Pilz stand. Woelki hatte im Sommer eidesstattlich versichert, erst im Juni 2022 mit dem Fall »befasst worden« zu sein. Seit 23. November läuft nach Äußerungen der früheren Sekretärin von Woelkis Vorgänger Joachim Meisner ein zweites Ermittlungsverfahren gegen den Kardinal, ebenfalls wegen des Verdachts der falschen eidesstattlichen Versicherung. Der Papst indessen hält sich aus dem Kölner Desaster weiter heraus.

Anne Meyer

 

11. November

Chaos zum Karnevalsauftakt

Es war ein Freitag, das Wetter prächtig: Der erste Elfte im Elften ohne Corona-Maßnahmen seit drei Jahren zog Zehntausende an. Köln war dem Ansturm insbesondere auf das Kwartier Latäng nicht gewachsen. Jecken durchbrachen Absperrungen, die den Zugang zur Zülpicher Straße regeln sollten. Eine zusätzliche Hundertschaft der Polizei musste den Ordnungsdienst unterstützen und verhinderte womöglich Schlimmeres. Vorab hatten Gastronomen Entlastungszonen für den Party-Hotspot gefordert. Zudem musste die KVB über Stunden in der Innenstadt den Verkehr einstellen, weil Feiernde in den Tunneln herumliefen. Kaum hatten die letzten Karnevalisten ihren Rausch ausgeschlafen, tagte schon wieder der Koordinierungsstab zum Elften im Elften. Er soll zügig klären, wer die Verantwortung für das lückenhafte Sicherheitskonzept trägt und wie Köln besser durch den Straßenkarneval Ende Februar kommen kann. Womöglich kann an Weiberfastnacht nur eines Köln retten: nasskaltes Wetter.

Jan Lüke