Surrealer Witz

Was man von hier aus sehen kann

Aron Lehmann adaptiert Mariana Lekys Bestseller 

Bestsellerverfilmungen kranken oft daran, dass Drehbuch und Regie in kleingärtnerischer Akkuratesse am Roman entlangjäten, anstatt seinen Kern und seinen Tonfall ins Filmische zu übersetzen. »Was man von hier aus sehen kann« nach dem 2017 erschienenen Roman von Mariana Leky ist eine Ausnahme. Lekys Panoptikum eines fiktiven Dorfs im Westerwald mit seiner umeinander besorgten Einwohnerschaft entfaltet auch als Kinoversion den Charme eines Arrangements seltsam vertrauter menschlicher Gewächse. Dabei greift Drehbuchautor und Regisseur Aron Lehmann beherzt und mit Feingefühl in die Romanstruktur ein, steigert den surrealen Witz und immt ihn bei Bedarf herunter. Vor allem arbeitet er an den Figuren. Was hätte das, in anderen Händen, für ein Bauerntheater werden können!

Der Roman erzählt in drei Zeitebenen die Geschichte von Luise, die als Kind ihren besten Freund verliert und deren Großmutter hin und wieder von einem Okapi träumt, einer Waldgiraffe, woraufhin im Dorf binnen 24 Stunden ein Mensch stirbt. Lehmann beschränkt sich auf zwei Zeitebenen und verwebt sie ineinander: Luises Kindheit, niedlich und lebensecht dargestellt von Ava Petsch, und Luise als 22-jährige Buchhändlergehilfin. Luna Wedler, die schon die Titelrolle in Lehmanns »Das schönste Mädchen der Welt« spielte, verleiht ihrer Luise eine nerdige Mischung aus Selbstbewusstsein, Melancholie und Verstocktheit.

Die andere zentrale Figur, Luises Großmutter, verkörpert eine langhaarige Corinna Harfouch mit nur leicht angewärmter Herbheit. Zusammen mit dem heimlich in sie verliebten Optiker (Karl Markovics) dürfte dieses nüchtern einander zugetane Paar als eines der herzergreifendsten in die jüngere deutsche Filmgeschichte eingehen. Lekys Einfälle erwachen bis in die Nebenrollen zum angeschmodderten Leben, etwa wenn Rosalie Thomass als »traurige Marlies« den Fleisch gewordenen Lebensüberdruss gibt, im Gegensatz zum Buddhisten Frederik, gespielt von dem aus »Futur Drei« (2020) bekannten Benjamin Radjaipour.

Lehmann beweist wie schon in der Netflix-Serie »Das letzte Wort«, dass er ungeschönt und schwerelos von Tod und Liebe zu erzählen weiß. Lekys Dialoge zwischen unsentimentaler Trauer und vergnügter Putzigkeit spielen ihm in die Hände. So destilliert der Film aus dem Alltäglichen das große Welttheater vom Menschen, der sein Dorf genauso braucht wie das Dorf ihn.

D 2022, R: Aron Lehmann; D: Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, 109 Min.