Papierarbeiten am Stand der Galerie Michael Werner; Foto: Koelnmesse / ART COLOGNE

Kunst zwischen den Racing Stripes

Die Art Cologne 2022 war beeinflusst von den großen Krisen und gezielten Hieben — Eine Rückschau

Als »älteste Kunstmesse der Welt« ist die Art Cologne außer Konkurrenz, sozusagen ewiger Rekord­träger. Allerdings hat die als »Kunst­markt Köln ’67« von den Kölner Galeristen Hein Stünke und Rudolf Zwirner zur Unterstützung des deutschen Kunsthandels gegründete Messe im internationalen Vergleich schon seit Jahren an Reichweite eingebüßt. Mitten im laufenden Messebetrieb erreichte die Kritik einen vorläufigen Höhepunkt im vernichtenden Verdikt des Galeristen Michael Werner. Dieser setzte gegenüber dem ­Kölner Stadt-Anzeiger den Stellenwert von Stadt und Messe gleichermaßen herab; und zwar »von Einhundert auf Null«.

Es wäre zu einfach, dies als Bekundung polternder Frustration des legendären, 83-jährigen Akteurs abzutun, dessen Galerie seit 1968 maßgeblich zum Ruf Kölns als Zentrum für Kunst beigetragen hat und der zum Jahresende seine Räume in der Gertrudenstraße schließt. Während die letzte Galerieausstellung bis zum 19. November 2022 sich auf die reduzierte Präsentation »Zwölf Herausragender Historischer Bilder« aus dem Programm konzentrierte, versammelte der Stand über 250 Papierarbeiten in dichter, wandfüllender Reihung. Mit diesem fulminanten Auftritt feierte Werner nicht nur die »Zeichnung als Ursprung der Kunst«, wie der Titel an der Außen­wand verhieß, sondern schien zugleich seinen Abschied als großes Finale zu inszenieren. Ein schmerz­haft spürbarer — und verdienter — Hieb gegen die Kölner Selbstgefälligkeit, wurde doch durch diese offensive Vorführung seines an Rang und Namen reichen künstlerischen Programms der Verlust für die hiesige Kulturszene offensichtlich gemacht.

Die Galerie Max Hetzler hingegen ist nach längerer Abwesenheit unter die Aussteller zurückgekehrt und konstatiert eine erfolgreiche Messeteilnahme: Insbesondere das zahlreiche Erscheinen von Kurator*innen aus dem erweiterten Rheinland war positiv aufgefallen. Die neuerliche Nähe zur rheinischen Kunstszene, die Hetzler durch seine Kölner Galerie von 1983 bis 1993 maßgeblich mitbestimmte, darf mit der 2012 gegründeten Stiftung zur Förderung zeitgenössischer Kunst in Weidingen in Verbindung gebracht werden. Der Galerist, mit Hauptsitz in ­Berlin sowie Filialen in Paris und London, hat in der kleinen Eifeler ­Ortschaft ausgehend von seinem privaten Anwesen ein Zentrum für Kunst errichtet. Im Laufe der ­Jahre wurde dieses um sämtliche Gebäude und Grundstücke erweitert, unter ihnen die Bibliothek von Günther Förg. Durch die jährlichen Sommerausstellungen zieht es immer weitere Kreise.

In Zahlen verzeichnet die letzte Ausgabe der Art Cologne die Teilnahme von rund 190 Galerien und Kunsthändlern aus 26, allerdings vorwiegend europäischen, Ländern. Während zur Bewerbung seitens der Messe noch ein »starkes Rheinland« propagiert wurde, verbleibt vor allem bei den global operierenden Ausstellern der verhaltene Eindruck einer nur mehr überregional und nicht mehr international ausstrahlenden Veranstaltung; mit nur vereinzelten Gästen aus der Schweiz, Österreich, Frankreich und den Benelux Staaten.


Es verbleibt vor allem bei den global operierenden Ausstellern der verhaltene Eindruck einer nur mehr über­regional und nicht mehr international ausstrahlenden Veranstaltung

Für die Besucher vor Ort erwies sich die Aufteilung der Messebereiche auf drei Ebenen als übersichtlich, die Abfolge der Stände sogar als angenehm luftig. Dazu beigetragen haben die Bodenmarkierungen aus farbigen, mitunter als »racing stripes« bezeichneten Streifen. Allen belustigten Stimmen zum Trotz, die den Parcours mit einer Rallye-Bahn verglichen, wurde die Orientierung in den Hallen dadurch erleichtert. Leider war die oberste Ebene mit den Kunstvereinen und Anbietern von Editionen, sowie den Podiumsdiskussionen in ein wenig einladendes Halbdunkel gehüllt. Im unteren Hallenbereich waren nach wie vor die gediegenen Präsentationen der Klassischen Moderne und Nachkriegskunst vertreten.

Das Zentrum besetzte der neue, aus der Cologne Fine Art (COFA) hervorgegangene Sektor Art & Object. Mit nur 13 Standpräsentationen war das Aufgebot der ehemaligen Antiquitätenmesse zwar drastisch reduziert, trotzdem blieb eine kleine feine Selektion mit Schaustücken aus der ­Antike, Werken alter Meister, ­außereuropäischer Kunst und ­Design übrig.

Ein frischer Wind in Form von frechen Interventionen der New Positions, der vom Bundesverband Deutscher Galerien (BVDG) geförderten jungen Künstler, wehte durch die Kojen eminent exklusiver Ausstrahlung. So breitete sich etwa das Kollektiv Pegasus Project mit einer Art Paketshop in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stand der Galerie Nothelfer aus und stellte ein ausgeprägt ­chaotisches Element an die Seite der dort gezeigten Werke des Informel. Neben den New Positions trugen auch in der zeitgenössischen Abteilung der Messe die gemeinschaftlich kuratierten Stände der Collaborations zur größeren Durchlässigkeit von Gattungen und Generationen bei.  

Obwohl »die Welt brennt« — der eindringliche Appell von UN-Generalsekretär António Guterres auf der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich klang noch nach —, nahm die gezeigte Kunst nur selten direkt oder gar kritisch Bezug auf weltpolitisches Geschehen. Vielmehr reflektierte sie sich selbst im Rahmen überschaubarer medialer Ausdrucksformen: Malerei und Skulptur, sowie Fotografie dominierten durchweg, kaum kamen sperrigere Positionen, etwa der Videokunst, vor. Bloß keine Experimente wagen. Die Auswirkungen von Energiepreisen und Inflation auf das Kaufverhalten waren vor allem in der mittleren Preisklasse spürbar, während gerade im oberen Preissegment weiterhin in die Kunst als Wertanlage investiert wurde.  

Rot oder Blau? Vor einem Werk von Josef Bauer stellt sich diese Frage. Die Galerie Krobath hat aus dem Fundus des im Frühjahr mit 86 Jahren verstorbenen — noch vor zehn Jahren weithin unbekannten — österreichischen Künstlers geschöpft und zeigte ein »Zwei­farbenbild« von 1985. Es handelt sich um ein rechteckiges Quer­format in Rot. Aus dem gleichmäßig monotonen Grund ragen vier Buch­staben reliefartig hervor und ergeben das Wort »Blau«. Mit diesem offenen Widerspruch stellt Bauer pointiert die Zuordnung von Signifikat und Signifikant, Bezeichnetem und Bezeichnendem, in Frage, die der Sprache — Mittel der Kommunikation und gesellschaftlichen Konvention schlechthin — zugrunde liegt. Dieser gezielte Schlag gegen angenommene Selbstverständlichkeiten beleuchtet den Zustand der Welt, ihre gegenwärtige Zerrissenheit und Spaltung deutlicher und eindringlicher als die meisten illustrativen Darstellungen von Krieg und Krise.