Keine Grenzenlosigkeit über den Wolken: Dummy-Ticket aus »Terminal, Terminal«; Foto: Selma Gültoprak

Batman fliegt nicht, er segelt

Selma Gültoprak widmet sich in der Kunst­station St. Peter dem ­inter­natio­nalen Flug­verkehr

Zum Thema »Terminal« sagt der Duden: Halle auf einem Flughafen, in der die Fluggäste abgefertigt werden. Abgefertigt passt natürlich sehr gut — ist der internationale Flugverkehr heute vor allen Dingen eine Milliarden-Euro-Industrie. Dennoch: Eine Ausstellung rund um das Fliegen — welch’ ein Randthema, mag man denken; neben den Fotos von Wolfgang Tillmans zur Concord und den »800 Views of Airports« von Peter Fischli und David Weiss, gibt es erstaun­licherweise gar nicht so viele berühmte Werke zum Flugverkehr.

In Zeiten von Flugscham (ein Neologismus aus dem Jahr 2017) gilt die Flug­reise immer als verdächtig, als Luxus und Prasserei, als vermeidbar oder Umweltsünde. Die noch bis zum 12.2. laufende Ausstellung »Terminal, Terminal« in der Kunststation St. Peter nimmt sich des Themas mit viel Ironie, Witz und Lakonie an.

Die in Köln und L.A. tätige Künstlerin Selma Gültoprak widmete sich in den letzten Jahren vermehrt gesellschaftlichen Themen. Ihre Interventionen im öffentlichen Raum sind diskursiv, meist als soziale Skulpturen ausgefertigt, immer an der Grenze zur Metapher. Das Kirchenschiff, mit seiner Höhe und seiner Spannweite, mit der Galerie und der Empore, verlockt zu installa­tiven Eingriffen. Statt Höhenflug gibt es bei »Terminal, Terminal« aber vor allen Dingen Bodenständiges: Auf dem Kirchenboden liegt — in einem Lichtkegel gebettet — eine Decke aus Tickets; Hunderte, wenn nicht Tausende. Auf den ersten oberflächlichen Blick könnte man meinen, wer hat denn da achtlos etwas auf den Boden geworfen? Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch, dass es offenbar Boarding-Pässe von Flügen sind. Alle tragen Namen, sehen echt aus — detailgetreu nachgebildet von der Künst­lerin. Doch Gültoprak benutzt hier die Flugdaten und Namen von bekannten Flügen aus der Geschichte: Concorde, der verschwundene Flug MH370, die Flüge von 9/11.

Nach langer Recherche hatte sie die Opferlisten; für unbekannte Flug­reisende gibt es den ein oder anderen fiktiven Namen als Platzhalter. Im Falle der »Zwischenfälle mit Personenschaden«, wie es bürokratisch heißt, nimmt »terminal« eine ganz andere Bedeutung ein: endlich, manch­mal auch tödlich.

Die Form der Ticketdecke ist derweil erst nach einem Treppenaufstieg aus der Galerie zu entdecken. Die Tickets ergeben das Signet des Comic-Helden Batman aka Bruce Wayne, dem Milliardär, der die Stadt Gotham als Unter­nehmer ausbluten lässt und sich nachts zum vigilantem Retter der Metropole aufschwingt. Profan und sakral, gut und böse, echt und fake, sozial und asozial — »Terminal, Terminal« ist nicht die erste Arbeit Gülto­praks, die zwischen den Gegensätzen Platz nimmt. Auch bei »St. Open«, einem vierteiligen Ausstellungsprojekt, das plagiierte Bus­halte­stellen im öffentlichen Raum installierte, untersuchte sie die Funktion solcher Unterstände im Bewusstsein der Stadt: Von der echten Haltestelle, über dem Abhängspot für junge Menschen, zum thera­peu­tischen Szenario für demente Senioren.

Mit Sinn für den Raum platziert Gültoprak in St. Peter freistehende, originale Container-Trolleys als gelebte Objekte im Nebenschiff. Ihrer Funktion enthoben — kennt man sie sonst als zweckmäßige Ausstattung eines Flugzeugs —, wirken sie in ihrer ziellosen Geparktheit wie auf der Durch­reise, wie bereits vergessen. Fertige Produkte als schön platzierte Übergänge, versehen mit alltäglichen Instruktionen.

Etwas versteckter hängen eine Reihe von Decken verschiedener Flug­gesell­schaften — die dereinst schick wirkende, inzwischen Konkurs gegangene Pan-Am, dazu Emirates oder Turkish Airlines —, die wie Abreißzettel am Schwarzen Brett bedruckt wurden. Wie Suchmeldungen nach verschwundenen Flugzeugen — der Bezugsrahmen hier ist ein illustrer Haufen an imaginären Flügen aus Funk und Fernsehen — hängen die Decken nun an der Kirchenwand: Melde sich, wer Informationen zum Mystery-Thriller »Der Schrecken der Medusa« aus dem Jahr 1978 hat!

Anspielungsreich und recherchelastig erschafft Gültoprak einen Raum, der über die Möglichkeiten, aber auch die Probleme des internationalen Flug­verkehrs nachden­ken lässt. Statt als Moralpredigt ist »Terminal, Terminal« als lustvolle, mitunter komische Ausstellung entworfen.

Selma Gültoprak, »Terminal, Terminal«. Kunststation St. Peter (Eingang: ­Leonhard-Tietz-Str. 6), bis 12.2., Mi–So 12–18 Uhr