Romanze im Zwielicht: Kann Liebe Sünde sein?

Die Frau im Nebel

Park Chan-wook befreit die Figur der Femme Fatale von den Fesseln des klassischen Film noir

Im Bett findet Kommissar Jang (Park Hae-il) keinen Schlaf. Doch wenn er als Wochenendpendler vom Dienstort Busan ins provinzielle Ipo heimfährt, muss er sich vom Kollegen Soo-wan (Go Kyung-pyo) per Handy-Frei­sprech­anlage unterhalten lassen, damit ihn am Steuer nicht Müdigkeit übermannt. Soo-wan macht nächtliches Observieren für die Insomnie von Jang ver­ant­wort­lich. Der deutet es umgekehrt: wegen der Schlafstörung beobachte er gern Verdächtige. Umso bezeichnender ist, dass er auf seinem Obser­va­tions­posten in ungewohnten, erholsamen Schlummer fällt, sobald Seo-rae (Tang Wei) vor seinen Augen einschläft. Die Altenpflegerin steht, seit ihr Ehemann nach einer Klettertour tot aufgefunden worden ist, unter Mordverdacht — auch wenn der Kommissar belastende Indizien klein­zu­reden versucht.

Zumindest vordergründig variiert »Die Frau im Nebel« eine vertraute Konstellation, die einen obsessiven Ermittler in den Bann einer Femme fatale geraten lässt. Allerdings erweist sich diese souverän-verspielte Thriller-Romanze in vielfacher Hinsicht als unkonventionell.

Inspirationsquellen sind Kommissar Beck und eine alte koreanische Schnulze

Bevor das Publikum die wichtigste weibliche Figur zu sehen bekommt, zeichnet sich im Gesicht des Protagonisten bereits ein zartes Ergriffensein von ihrem Anblick ab. Umso mehr fällt auf, wie diskret Regisseur Park Chan-wook die junge Frau bei dieser ersten polizeilichen Befragung ins Bild rückt. Ohne jede Glamourisierung oder Fetischisierung. Verschattet oder gespiegelt. Kostümbild, Kamera und Schnitt verzichten auch danach auf praktisch alle Mittel, mit denen im Kino gewöhnlich jene Attraktivität unterstrichen wird, die Soo-wan beiläufig an Seo-rae bemerkt. Wenn die Kamera durch ein Fernglas blickt, wird der Voyeurismus indes durch die Kürze der Einstellungen ebenso relativiert wie durch die Alltäglichkeit des Beobachteten und durch allerlei Sichtbehinderungen. Und wenn Park, der mit seinem regelmäßigen Ko-Autor Chung Seo-kyung auch das Drehbuch verfasst hat, uns in Jangs Vorstellung hineinversetzt, mit der Observierten im selben Raum zu sein, endet das bezeichnenderweise mit dem Eindruck peinlichen Ertapptwerdens. Noch bevor Seo-rae den Spieß umdreht und dem Kommissar bei seinem Einsatz in einem anderen Mordfall heimlich folgt.

Diese Verschiebungen der gewohnten Erzählperspektive mögen nicht weit genug gehen, um als feministische Revision alter Film-noir-Stereotype zu gelten. Aber das Bemühen, die klassische Femme fatale von den abge­schmack­testen Aspekten zu befreien, lässt die Hingerissenheit des Protago­nisten entwaffnend lapidar wirken. Jangs verschämte Heim­lich­tuerei gewinnt leise an Tragik, weil er bis dahin ebenso wie Gattin Jung-an (Lee Jung-hyun) bemüht war, auch nach knapp 17 Ehejahren die Liebe in einer Wochenendbeziehung zu bewahren.

Dass Seo-rae sich früh als Chinesin entpuppt, die einst illegal nach Südkorea eingereist und deshalb den Misshandlungen ihres bei der Ein­wanderungs­behörde arbeitenden Ehemannes ausgeliefert war, schafft einen weiteren Bezug zur Wirklichkeit. Die Story wirkt zugleich als Gegen­gewicht zu Genre­topoi, an denen Park festhält. So nennt er als Inspirationsquellen zu seinem zwölften Spielfilm die klassische Krimifigur des von Maj Sjöwall und Per Wahlöö erfundenen Kommissars Beck sowie eine alte koreanische Schnulze. Das mehrfach angespielte Lied setzt einen entsprechend melo­drama­tischen Ton — von dem der 59-jährige koreanische Filme­macher, der mit Filmen wie »Joint Security Area« oder »Oldboy« berühmt wurde, sich aber nicht in seinem launigen Ein­falls­reich­tum beschränken lässt.

Zwar wird der Stoff nicht durch jeden extravaganten Kamerawinkel bereichert, aber Parks Dramaturgie ist immer wieder meisterlich. Beispiel­haft sind zwei virtuose Sequenzen, in denen seine ständige Verschränkung der Erzählebenen gipfelt: Sie bieten in diesem für Parks Verhältnisse dezenten Film nicht nur die meiste Action, sondern treiben zugleich bei­läufig die zentrale Handlung voran, während sie vordergründig bloß einen kriminalistischen Subplot abhaken. Dabei lässt uns die extreme Erzähl­öko­nomie vielleicht nicht alle Details auf Anhieb erfassen. Aber »Die Frau im Nebel« kann man gern mehrfach sehen.

Die Frau im Nebel
(Heojil Kyolshim/Decision to Leave) KOR 2022
R: Park Chan-wook
D: Tang Wei, Park Hae-il, Go Kyung-Pyo
138 Min., Start: 2.2.