Suchen nach der Bühnenwahrheit: das A.TONAL.THEATER; Foto: Jürgen Brinkmann

Paradoxien der Kunst

Regisseur Jörg Fürst zeigt mit »Hypocrites« ein Solostück für einen Schauspieler und einen Chor

Schweigend wuseln auf der dunklen Bühne der Alten Feuerwache fünfzehn schwarz gekleidete Gestalten herum, hinten scheinen fahl ein paar Neon­röhren. Mal zeitlupenhaft langsam, dann rasend schnell laufen sie aneinander vorbei, weichen sich nur knapp aus, ein organischer Schwarm, der direkt ins Publikum blickt, uns stumm auszulachen scheint. Seltsam verrenken sie sich, marschieren bedrohlich, nur manchmal bricht einer aus. Langsam setzen Perkussion und Bläser ein, bedächtig treibt sie die Marschmusik von Max Wehner und Peter Eisold an, die sich immer mehr in ein Seufzen, Schleifen, Zerren auflöst.

Um das Verhältnis von Lüge und Wahrheit, Natur und Künstlichkeit auf einer Theaterbühne geht es in »Hypocrites« des A.TONAL.THEATERS von Jörg Fürst — nichts hat sich in seinen Dimensionen wohl so verändert im letzten digitalen Jahrzehnt. Textfetzen werden chorisch gerufen und wirken wie eine oft lustige und ironische Theater-Selbstbespiegelung: »Dies hier ist ein einfacher Abend — wir sollten bereit sein, seine Beschränkungen zu akzeptieren.« Oder: »Weg mit Menschen, die eine systematische Beziehung zu einer ersonnenen Figur darstellen.«

Bald löst sich der professionelle Schauspieler Valentin Stroh heraus, mal mit Maske, mal ohne, spricht von seiner Wahrheitssuche auf der Bühne. Aber ist der wuselnde Laienchor aus Köln und Mülheim / Ruhr aus ver­schiedenen Generationen und Milieus nicht viel »wahrhaftiger« als der Schauspieler, der von Bürgerbühnen und Bühnenbürgern, betrügenden Fußballstars und Marionetten-Wahrhaftigkeit spricht? Der eine erzählt, wie er als Teenager seine Eltern belog, eine Frau von Familiengeheimnissen, der syrische Schauspieler Mohammad Kharouf, wie er mit Assads Propaganda­lügen lebte. Auf einmal scheint der zwar meisterhaft gestaltete, aber auch abstrakte Abend uns nahe zu gehen. Liegt Bühnenwahrheit eben doch im Dokumentar-Theater?

Doch da fährt auch Valentin Stroh zur Hochform auf, spricht von seinem Kampf um Bedeutung im Theater, in das er privat eigentlich gar nicht mehr gehen würde. »Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich nur leben, um sichtbar zu sein für andere.« Aber geht uns das nicht allen so auf der Suche nach Sinn und Wahrhaftigkeit? Zusammen schmiegt sich das Ensemble am Ende um ein kaltes Neonlichtfeuer — ein schönes Schlussbild für einen philosophisch klugen Abend über die Paradoxien der Kunst.

»Hypocrites«
Alte Feuerwache
9.–11.2., 20 Uhr
12.2., 18 Uhr