Vielfalt in Tüten: Saatgut-Expertin Birgit Scherer bei der Vorbereitung auf das Saatgutfestival

»Saatgut ist Kulturgut«

Birgit Scherer vom Saatgutfestival über alte Sorten im Garten, die neue Bedeutung des Geschmacks und den »Ruhm vom Vorgebirge«

Frau Scherer, am 11. Februar findet das Saatgutfestival statt, das Sie mit dem »Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt« (VEN) mitorganisieren. Man bekommt Saatgut in Gartencentern, Drogerien und sogar beim Discounter. Wozu ein Festival?

Weil man dort Saatgut von kleinen Produzenten und besondere Sorten bekommt, außerdem ausschließlich samenfeste Sorten. Man kann also aus den Samen einer bestimmten Sorte im nächsten Jahr exakt dieselbe Sorte ziehen. Das geht mit sogenanntem Hybridsaatgut der großen Pro­duzenten nicht. Man bekommt damit zwar leistungsfähige Pflanzen, die aber entweder steril sind oder deren Samen beim ­Vermehren nicht dieselbe Sorte ergeben. Man muss Hybridsaatgut also jedes Jahr neu kaufen. Früher war Saatgut immer samenfest, man musste damit ja das Saatgut fürs nächste Jahr selbst herstellen.

Aber Hybridsaat verspricht eine große Ernte. Das freut doch jeden Gärtner.

Es ist nicht per se schlecht. Aber ältere Sorten und auch samenfeste Neuzüchtungen haben Vorteile. Saatgut wird vom Bundessortenamt auf Grundlage von nationalem und EU-Recht zugelassen. Die Kriterien zielen auf eine Massenproduktion. Die Früchte sollen zum Beispiel gleichförmig sein. Bei Sorten, die industriell geerntet werden, sollen auch alle Pflanzen gemeinsam abreifen — Eigenschaften, die im Hausgarten nicht interessieren. Ein anderes Kriterium ist Lager- und Transportfähigkeit, was oft auf Kosten des Geschmacks geht. Heute wird dem Geschmack bei der Züchtung immerhin wieder mehr Bedeutung beigemessen, weil Kunden nicht Wasser kaufen wollen, das aussieht wie eine Tomate.

Saatgut selbst gewinnen — das sollte jede Gärtnerin, jeder Gärtner ausprobieren Birgit Scherer

Hybridsaatgut ist also nicht ausgerichtet auf die Bedürfnisse des kleinen Gemüsebeets.

Es geht in erster Linie um maximalen Ertrag. Über den freut sich jeder Gärtner, aber auch da kann man im Hausgarten ja Abstriche machen, wenn einem etwa Geschmack wichtiger ist. Man kann keine Sorte züchten, die alle Eigenschaften vereint. Mit den alten Sorten hat man eine größere Palette, um individuelle Ideen für seinen Garten zu realisieren.

Sind alte Sorten auch resilienter gegen Klimafolgen?

Es gibt alte Sorten, die etwa besser mit Trockenheit klarkommen. Wichtig ist aber auch: Alte Sorten sind die Grundlage für Neuzüchtungen. Man sollte alte Sorten nicht nur erhalten, weil man sie heute anbauen will, sondern auch, um in Zukunft neue Sorten züchten zu können, die unter veränderten klimatischen Bedingungen funktionieren. Es gibt auch sehr gute neue Sorten, die samenfest sind. Die kann jeder vermehren.

Der Gegensatz ist also nicht »alte gegen neue Samen«.

Nein, Open-Source-Seeds-Initiativen machen sich dafür stark, Sorten zu züchten, die allen zur Verfügung stehen. Die Saatgut-Bewegung wendet sich gegen die Privatisierung von Gütern, die in 10.000 Jahren Agrargeschichte von der Menschheit erschaffen worden sind. ­Saatgut ist Kulturgut. Das darf man nicht privatisieren. Das ist Allgemeingut!

Und am Ende steht immer die Empfehlung, selbst Saatgut herzustellen.

Genau! Saatgut selbst gewinnen — das sollte jede Gärtnerin, jeder Gärtner ausprobieren.

Neben alten Sorten kann man beim Saatgutfestival regionale Sorten kaufen und tauschen. Was macht die interessant?

Wir haben im VEN etwa den Feldsalat »Kölner Palm« bei einer Kooperative aus Bio-Saatgutproduzenten entdeckt und vermehrt. Die Sorte wurde in dieser Region gezüchtet und angebaut. Sie ist an die hiesigen klimatischen Verhältnisse und Böden angepasst. Der Salat würde im Allgäu vielleicht nicht so gut wachsen. Wenn man Saatgut unter bestimmten Bedingungen wie Klima, Bodenbeschaffenheit oder Höhenlage produziert, finden sich diese Informationen im Saatgut wieder. Aber in erster Linie geht bei der Regionalität um die Sorte, nicht um das Saatgut. Beim Saatgutfestival sind das ­Sorten, die Bezug zur rheinischen Tiefebene haben. Es gibt die Bohne »Ruhm vom Vorgebirge« und den Kopfsalat »Rheingold«. Oder eine Erbse, die heißt »Kölner Wunder«. Der Name ist ja eine Aufforderung, sie hier zu pflanzen.

Saatgutfestival 2023

Sa 11.2., 10–17 Uhr, VHS-Studienhaus am ­Neumarkt
Eintritt: 2 Euro