Braucht keinen Plan B, um zu überzeugen: AMSL

Vogel des Jahres

Die DJ Amelie Liebst aka AMSL beherrscht alles zwischen Hörfunk und Dancefloor

Der Vogel des Jahres 2022 war der Wiedehopf. Jedenfalls wenn man der Wahl des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) vertrauen darf. Wer sich jedoch letztes Jahr im Umfeld Kölner Clubs bewegt hat, wird diese Ergebnis kaum ­anerkennen können — Stop The Count! Denn für die Szene konnte der Sieger, vielmehr die Siegerin nur einen Namen haben: AMSL. Präsenter als die 31-jährige DJ war sonst kaum jemand.

Ob im Jaki, im Gewölbe, dem Acephale oder dem King Georg — überall traf man auf Amelie Liebst, gebürtig aus dem Oberbergischen und schon seit längerem in der Musikwelt aktiv. Die ersten Schritte machte sie gleichwohl gar nicht als Club-DJ, sondern klassisch im Radio beim Hochschul-Sender Kölncampus.

Diese erste Karriere begann im Jahr 2016 und läuft parallel zum Dancefloor bis heute weiter; immer noch kann man sie regelmäßig als Moderatorin hören, vor allen Dingen beim Format »Kleiderei Radio«, das beim deutschen Ableger von Dublab sein Zuhause hat. Hier kulminieren die verschiedenen Interessen von Amelie Liebst: Radio, Storytelling, ­Wissenschaft und Nachhaltigkeit — ­alles im Medium, das vor dem Hype um unabhängige Internet-Radios längst für »scheintot« erklärt wurde. Liebst mag das Radio: »Spannend ist, dass man beim ­Radio vornehmlich indirekte Resonanz bekommt. Da läuft meistens kein Chat, sondern erstmal gilt, was über den Sender geht.«

Angefixt von Baile Funk und Afro-Synthetischer Bass-Musik hat AMSL zu ihrem mitreißenden Stil gefunden

Nicht ohne Grund weitete sie bereits 2019 ihr Hörfunk-Portfolio aus; zusammen mit Daniel Garcia Gonzales, den sie von Kölncampus kannte. »Ecozones«, zu hören bei atem.cc, nennt sich das Format, dass sie  in neue Welten geführt hat: »Vorher war ich eher auf ­Tanzmusik gepolt. Für Ecozones ­standen aber Ambient und Natur-­Themen im Vordergrund. Die ­Sendungen hießen beispielsweise Eis, und wir haben Musik explizit für dieses Thema ausgesucht.«

Die Liebe zur Tanzmusik — die hat sich in der Zwischenzeit dennoch entwickelt. Das kann man nicht nur an ihrem gut gefüllten DJ-­Kalender ablesen. Das erste ­Auflege-Booking hatte sich im ­Übrigen über das Radio ergeben — 2018 legte Liebst im Auftrag von Kölncampus in der Mensa der Kölner Uni auf und hatte sich dafür ihre Lieblingstracks zusammengepackt: »Mein Slot war 30 Minuten, also hatte ich mir sechs Stücke auf dem USB-Stick geladen — genau eine halbe Stunde.« Heute lacht sie über diese Naivität, keinen Plan B und keine größere Auswahl als Sicherhheit gehabt zu haben. Auch das ­wilde Potpourri, das sie damals am Start hatte, sieht sie heute mit anderen Augen: »Das war sowas wie Buraka Som Sistema und Daniel Haaksman — mittags an der Mensa. Etwas drüber.«

Diese Episode sollte Amelie jedoch nicht abschrecken, sondern irgendwie auch der passende Auftakt sein für ihre DJ-Biographie, die mittlerweile viel Fahrt aufgenommen hat. Das »Gefühl hat ­gestimmt«. Danach kamen, über ein paar Warm-ups im Bumann & Sohn, schon bald die eigenen Slots und immer Anfragen. In der Zwischenzeit arbeitete sie an ­ihren Skills und noch stärker an ihrer Selection — in verschiedenen Soundcloud-Mixen erprobte sie die richtige Mischung aus Radio-Auswahl und Qualitäten, die auf dem Dancefloor gefordert sind wie Rhythmus, Tanzbarkeit, ­Dynamik und Fun.

2022 spielte Amelie an die 60 Gigs in Köln und Umgebung, auch bei einigen Festivals und schließlich im Watergate in Berlin, wo sie von der Kompakt-Crew für eine Label-Party mitgenommen ­wurde — Bar-Nächte, Clubs in klein und groß, alles dabei. AMSLs Anspruch als Performerin ist immer eine aktuelle, frische Auswahl zu bieten, die eine klare Sprache spricht: House eher als Techno, ­international und divers, Percussion- und Drums-Setting betont.

Die Liebe für außergewöhnliche Rhythmik, gerne break- und synkopen­lastig, entstammt ihrem »verlernten Talent«: Sie hat als ­Jugendliche Schlagzeug gespielt. Das hat seine Spuren, wenngleich sie heute nicht mehr selbst spielt, hinterlassen. Angefixt von Baile Funk und Afro-Synthetischer Bass-Musik, hat AMSL zu ihrem mitreißenden Stil gefunden.

Heute hegt sie dennoch eine gewisse Vorsicht gegenüber dem einst gehypeten Trend: »Ich achte mittlerweile viel mehr darauf, dass nicht einfach ein paar Europäer sich Samples aus der ganzen Welt holen und kulturell appropriieren.« Ihr seien Angaben der beteiligten Künstler*innen wichtig. Dennoch glaube sie, dass es möglich ist, ein vielfältiges DJ-Set zu spielen, das sich von süd­amerikanischen oder asiatischen Sounds beein­flusst zeigt, ohne direkt ­unter General­verdacht gestellt zu werden. Offenheit und Fairness sind für sie zwei der wichtigsten Grund­pfeiler bei Partys. Dem­ent­sprechend war auch ihr Lieblings-Gig des Jahres 2022 davon geprägt, dass Feiernde nicht nur in Schablonen denken: Beim Zugvögel-Festival hatte sie die beste Zeit des Jahres. »Die Leute auf dem Heuballern-Floor waren voll dabei. Eigentlich steht das Festival für ­einen etwas anderen elektronischen Sound, aber das Publikum war sehr offen. Ich hatte das Gefühl, ich hätte alles spielen können; Hauptsache die Stimmung hätte gestimmt. Das hat mich ­richtig euphorisiert.«

Wenn man einen Ausblick auf das Jahr 2023 wagen möchte, dann steht die Entwicklung der E.P.I.Q-Reihe weit vorne. Das FLINTA*-Kollektiv bildete sich 2021 rund um den allerersten Gig nach der Corona-Pause am Artheater mit den beiden DJs Sharlie und Savsannah. Aus diesem ­»legendären Tag« ergab sich eine Dynamik, die in einem langen Tag und einer noch längeren Nacht im und am King Georg mündete. Mit an Bord: Anna Cainelli, C:mone, Piush, Sedaction und Nikity. Was deshalb einst »Queen Georg« hieß, wurde im Sommer 2022 umgemünzt in E.P.I.Q: »Wir wollten nicht an einen Ort gebunden sein, sondern auch in anderen Clubs und Off-Spaces Partys machen. Wir haben im Herbst eine Veranstaltung im Tennisheim am ­Colonius gemacht.«

Außerdem ist davon auszu­gehen, dass auch das »Kleiderei Radio« weiter geht. Das Radioformat hat zwar vergleichsweise wenig mit Club-Sounds zu tun, wird aber von Amelie mit großer Leidenschaft verfolgt: Zusammen mit Anna Burst (aka Cainelli) gibt sie hier seit 2020 tiefe Einblicke in die hoch-problematische Fashion-­Industrie, zeigt die verheerenden Folgen von Fast-Fashion und weist auf alternative Entwicklungen zwischen Upcycling und Nachhaltigkeit hin.

Und dann stehen vor allen Dingen wieder eine ganze Reihe DJ-Gigs an — es ist nicht davon auszugehen, dass AMSL aufs Bremspedal tritt. Ganz im Gegenteil: 2023 könnte wieder das Jahr der AMSL werden.

stadtrevue präsentiert:

Party

»The Grand Piep Show«
Sa 18.2., ­Stadtgarten
mit AMSL u.v.a.