»RWE darf niemandem mehr seinen Acker wegnehmen«: Tagebau Garzweiler bei Lützerath

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende

Lützerath ist der letzte Ort im Rheinland, der dem Kohleabbau weichen muss. Aber sind die anderen Dörfer tatsächlich gerettet?

»Um mich herum werden Bäume gerodet, Baumhäuser gefällt, Höfe abgerissen«, sagt Kathrin Henneberger, Bundestagsabgeordnete der Grünen für den Wahlkreis Mönchengladbach am 13. Januar. Im Hintergrund schrillen Sägen und dröhnen Baggermotoren. Lützerath wird abgerissen. Zwei Tage später erklärt die Polizei die Räumung für beendet. Die Kölnerin Kathrin Henneberger, früher Sprecherin des Klimabündnisses »Ende Gelände«, ist als parlamentarische Beobachterin vor Ort.

Henneberger sieht sich als Vertreterin der Klimabewegung im Bundestag, und als solche setzt sie sich für eine Novellierung des Bergrechts ein. Es soll nach ihrem Willen um eine Klimaverträglichkeitsprüfung ergänzt werden. »Klimaschutz ist im Interesse der Allgemeinheit, Enteignungen für Braunkohle nicht.« Bislang räumt das Gesetz der Sicherstellung der Versorgung mit Rohstoffen einen Vorrang gegenüber anderen Interessen des Gemeinwohls ein und ermöglicht so, Menschen zu enteignen und ihre Häuser abzureißen. »Das Bergrecht ist völlig veraltet und kennt die Klimakrise nicht.« Auf Hennebergers Betreiben haben die Grünen ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben, das voraussichtlich Ende März vorliegen soll. In ihrer Partei sei man sich über die Notwendigkeit einer Reform einig, doch das Vorhaben sei auch heikel: »Ich fürchte, dass die FDP nach Fracking ruft, sobald wir das Bergrecht anfassen.«

Lützerath ist das letzte Dorf in der Geschichte des Rheinischen Reviers, das der Braunkohle weichen muss. Nach den Plänen des Energiekonzerns RWE wird es in den nächsten Monaten in einem Loch verschwinden, so wie mehr als hundert rheinische Dörfer und Ortschaften vor ihm. Rund 40.000 Menschen haben im Rheinland wegen der Braunkohle ihre Heimat verloren, wertvolle landwirtschaftliche Böden wurden vernichtet, Wälder abgeholzt, Jahrhunderte alte Häuser, Höfe und Burgen zerstört. Und ganz zu Ende ist diese Geschichte noch immer nicht.


Rund 40.000 Menschen haben im Rheinland ihre Heimat verloren, wertvolle landwirtschaftliche Böden ­wurden vernichtet, Wälder abgeholzt

Nur wenige hundert Meter von Lützerath entfernt liegen Äcker und Felder, die RWE abbaggern will. Sie befinden sich im ­Bereich des derzeit genehmigten Betriebsplans — doch mehrere Eigen­tümer wollen nicht verkaufen. So berichtet es Antje Grothus, Landtagsabgeordnete der Grünen. »Die Zeiten, in denen Menschen für den Kohleabbau enteignet werden, müssen ein für alle Mal beendet werden«, sagt Grothus. Der Tagebau müsse so umgeplant werden, dass »RWE niemandem mehr seinen Acker wegnimmt.«

Auch David Dresen, Einwohner des benachbarten Dorfes Kuckum und Aktivist von »Alle Dörfer bleiben«, kennt Grundstückseigentümer, die nicht an RWE verkaufen wollen. Aus Angst vor RWE wollten sie anonym bleiben. Kuckum ist eines der fünf Dörfer am Tagebau Garzweiler, die seit dem Deal der Landesregierung zum Kohleausstieg 2030 als »gerettet« gelten. Doch als die Entscheidung fiel, war die Umsiedlung schon weit fortgeschritten. Heute leben in den Dörfern nach Angaben von Dresen von einst 1500 Einwohnern nur noch rund 250, dazu knapp 300 Geflüchtete aus der Ukraine und rund fünfzig Menschen aus dem Ahrtal. Immer noch verkaufen Dorfbewohner ihre Häuser an RWE. »Vom früheren Dorfleben ist ja nicht mehr viel übrig«, sagt Dresen.

Und nur gut 200 Meter vom Dorf Keyenberg entfernt klafft das Loch, Tag und Nacht hell ausgeleuchtet, und macht Lärm und Dreck. Friseur, Metzger, Tante-Emma-Laden sind fort, der Bäcker in Keyenberg schließt Mitte des Jahres. Die verlassenen Häuser verfallen, Kirchen sind entwidmet, der Versammlungssaal geschlossen. »Wir haben keinen Ort, an dem wir uns treffen können«, sagt Dresen. Trotzdem haben sich die verbliebenen Einwohner zur »Dörfergemeinschaft Kultur Energie« zusammengeschlossen und Ideen entwickelt, wie es mit den Orten weitergehen soll. Die Rede ist von Dorfläden, die in Koope­ration mit Bauern aus der Umgebung betrieben werden, Carsharing oder der Umnutzung der ­Kirche als Kulturcafé und der Wohnhäuser und Scheunen als Ateliers, oder gar der Einrichtung eines »Demenzdorfs«. Vor allem aber fordert die Gemeinschaft, über ihre Zukunft selbst bestimmen zu können. Von der Landesregierung werde sie dabei unterstützt, so Dresen. Die Stadt Er­kelenz jedoch, zu der die Dörfer gehören, hat bereits ein Planungsbüro mit Entwürfen beauftragt, die Anfang Februar vorgestellt werden sollen. Erst im Anschluss sollen sich die Bürger beteiligen dürfen.