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Gemeinschaftlich wohnen in Köln

»Man braucht langen Atem«

In den Städten steigt das Interesse an gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Doch in Köln haben Politik und Stadtverwaltung den Trend lange ignoriert. Nun aber sollen neue Grundsätze in der Stadtentwicklung und ein Beratungsbüro für Baugruppen das Wohnen vielfältiger machen. Allerdings besitzt die Stadt kaum noch geeignete Grundstücke dafür.

»Wenn man so herumkommt, sieht man, was mit Kreativität alles möglich ist«, sagt Peter Heinzke. Beim Gespräch in einem Nippeser Café legt er Broschüren auf den Tisch, zum Beispiel über eine Nachbarschaftsgenossenschaft in Hamburg, die in ein ehemaliges Parkhaus zieht. »So was gilt ja eigentlich als unmöglich, aber da sind Architekten und viele andere dabei, die ehrenamtlich helfen, damit es gelingt.« Sonst, glaubt Heinzke, würden sich Spekulanten »das schnappen, abreißen und nach dem üblichen Schema irgendwas gewinnträchtig hochziehen«.

Seit Jahrzehnten engagiert sich Heinzke für Gemeinschaftliches Wohnen. 2012 hat er mit anderen das »Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen« im Haus der Architektur neu belebt. Es gibt kaum ein Projekt, das Heinzke nicht kennt. Er selbst wohnt mit einer Gruppe in Nippes im Clouth-Quartier. Das einstige Gelände der Gummifabrik war 2014 nach dem ehemaligen Kinderheimgelände in Sülz, wo die Stadt Köln 2009 erstmals Baugruppen förder­te, das zweite größere Quartier mit neuen Wohnformen. Zehn Gruppen sind dort bis 2018 eingezogen. Die Nachfrage war so groß, dass die Gruppen von einer Jury ausgewählt wurden. Zehn von ihnen be­kamen den Zuschlag, entscheidend waren dafür unter anderem deren Ideen für die Nachbarschaft im neuen Quartier und ökologische Gesichtspunkte des Konzepts.

»Wer sich darauf einlassen will, mit anderen gemeinsam zu bauen und zu wohnen, braucht einen langen Atem. Es gibt Gruppen, die schon zehn Jahre ein Grundstück suchen«, sagt Heinzke, der auch den Wohnprojekte-Stammtisch im Haus der Architektur mit ins Leben ge­rufen hat und mit anderen aus dem Netzwerk den jähr­lichen Wohnprojekte-Tag in der Volkshochschule organisiert. Zuletzt besuchten ihn mehr als tausend Menschen.

Allerdings steigt in den Innenstädten seit Jahren die Zahl der Single-Haushalte. Immer mehr Menschen gingen Bindungen nur ohne weitreichende Verpflichtungen ein, Lebensentwürfe seien auf Flexibilität ausgelegt, ist oft zu hören — aber wie passt das zu dem großen Interesse an gemeinschaftlichen Wohnprojekten? »Die meisten Menschen möchten nicht alleine leben, sondern zumindest in guter Nachbarschaft«, sagt die Architektin Almut Skriver. »Das Schöne bei einem gemeinschaftlichen Projekt ist ja auch, dass die Gruppe sich schon kennengelernt hat, bevor man einzieht. Und dass man bereits gemeinsam etwas geschafft hat, ist eine positive Erfahrung.«

Seit Mitte vergangenen Jahres ist Skriver, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema befasst und das Netzwerk mitgegründet hat, die Co-Leiterin der neuen »Mitstadtzentrale« im Haus der Architektur. Das Büro, gefördert von der Stadt Köln, berät alle, die an gemeinschaftlichem Bauen und Wohnen interessiert sind — sowohl bestehende Gruppen als auch Menschen, die sich noch nicht anderen angeschlossen haben. »In den Gesprächen mit den Gruppen geht es auch darum, zu verstehen, was sie sich vorstellen und sie in ihren Konzepten voranzubringen«, so Skriver. Zudem gebe es Veranstaltungen, um sich weiterzubilden oder auszutauschen. Ebenso ist die Mitstadtzentrale Ansprechpartnerin für das Büro für gemeinschaft­liche Wohnbauprojekte der Stadt Köln. »Wir tauschen uns regelmäßig aus«, sagt Skriver. »Denn wir haben einen Überblick über die Szene und können deren Wünsche und Ansprüche an die Stadt Köln weiterleiten.«
Die Formen gemeinschaftlichen Wohnens sind allerdings unterschiedlich, und auch die Gruppen haben immer wieder andere Schwerpunkte. »Es gibt keine vorgefertigten Modelle«, so Skriver. Am häufigsten gebe es sie bisher in Köln als Wohneigentümergemeinschaften, in der jede Partei ihre eigene Wohnung besitzt, Gemein­schafts­­­räu­me mach­ten meist nur bis zu fünf Prozent aus. »Aber der Trend geht ganz klar zu gemeinschaftlichem Eigentum in Genossenschaften oder im Mietshäusersyndikat«, so Skriver. »Das Haus gehört denen, die darin wohnen, aber eben nicht die einzelne Wohnung. Zieht jemand aus, bekommt er den eingezahlten Anteil zurück, aber die Wertsteigerung bleibt bei der Gemeinschaft.«

Doch auch wenn die Stadt jetzt umschwenkt, wird es noch lange dauern, bis in Köln »mehr smarte Wohnformen« entstehen, wie es OB Henriette Reker nennt. Denn die Stadt hat kaum noch geeignete Grundstücke. Vor allem bis in die 90er Jahre verkaufte die Stadt ihren Grund und Boden in der Regel meistbietend an Investoren. Auch deshalb seien seit der ersten Vergabe von Grundstücken an Baugruppen im Jahr 2009 bloß knapp zwanzig Projekte auf städtischen Grundstücken entstanden, berichtet Skriver. Kommunen überlegen bereits, Grundstücke zurückzukaufen. In Frank­furt zum Beispiel wurde dafür ein Fonds angelegt. In Köln hat man sich zumindest besonnen und die Stadt versucht, nicht den besten Preis zu erzielen, sondern gibt dem besten Konzept den Zuschlag. Dass das Kon­zept auch eingehalten wird, soll ein Erbpachtvertrag sichern. Das bedeutet auch, dass der Stadt das Grundstück weiterhin gehört und sie dafür einen jährlichen Erbpachtzins der Wohnprojekte erhält. Die Einnahmen der Stadt fallen dadurch deutlich geringer aus als bei einem Verkauf. Aber für die Stadtentwicklung ist es besser, als wenn man den Investoren die meist auf Gewinnmaximierung ausge­legten Planungen überlässt. Allerdings halten viele Wohn­projekte den Erbpachtzins für zu hoch. Sie reklamieren für sich, das Stadtviertel mit ihren kulturellen und sozialen Angeboten ja zu beleben.

»Natürlich sagen Baugruppen gern, sie seien wichtig fürs Quartier, weil sie Nachbarschaftsarbeit leisten: Repair-Cafés, Kulturprogramme, Seniorenfrühstück ...«, sagt Almut Skriver. »Das stimmt auch, aber es machen nicht alle so viel, und Baugruppen sind ja nicht zu Sozialarbeit verpflichtet.« Mit Blick auf das Clouth-Quartier aber stellt Skriver fest, dass der Gemeinsinn dort weit verbreitet sei und Angebote längst auch von anderen im Viertel genutzt würden. Daher setzen sowohl Almut ­Skriver als auch Peter Heinzke nun darauf, dass diese ­soziale und kulturelle Bereicherung, die von gemeinschaftlichen Wohnprojekten ausstrahle, auch bei den Planungen für die drei großen Neubauquartiere der Stadt berücksichtigt werden: Parkstadt Süd, Deutzer ­Hafen und Kreuzfeld. »Es wird immer gesagt, dass dort gemeinschaftliche Wohnprojekte und andere neue Wohnformen realisiert werden sollen«, sagt Skriver. »Aber eine Quote gibt es bisher nicht.« Immerhin aber werde die Mitstadtzentrale um Stellungnahmen gebeten. »Wenn es Entwürfe gibt, dann schauen wir uns an, auf welchen Baufeldern gemeinschaftliches Wohnen möglich gemacht werden kann.« Aber bis es so weit ist, wird es noch viele Jahre dauern. »Die Szene für gemeinschaftliche Wohnprojekte muss erst wieder aufgebaut werden, denn Gruppen bilden sich vor allem, wenn es Angebote gibt«, so Skriver. »Es ist quasi ein Teufelskreis, aus dem wir nur ausbrechen können, indem wir wieder Angebote machen.« Skriver hofft zwar, dass es noch dieses Jahr »ein, zwei kleinere Projekte« geben wird, setzt aber vor ­allem auf die drei neuen Quartiere. »Wir müssen jetzt ­dafür sorgen, dass es dort in ein paar Jahren gemeinschaftliches Wohnen gibt.« Auch Peter Heinzke sieht das Problem, dass ­alles stets lange dauert, doch für die Zukunft ist er optimistisch. »Die Mitstadtzentrale ist ein wichtiger Schritt gewesen«, sagt er. Einen langen Atem, um gemeinschaftliches Wohnen in Köln voranzutreiben, hat auch Peter Heinzke gebraucht. In Zukunft will er ­kürzer treten, an Exkursionen zu Wohnprojekten aber weiter teilnehmen. Dass zuletzt häufiger Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Verwaltung dabei waren, stimme ihn optimistisch. »Es ist das eine, Konzepte zu lesen, aber etwas ganz anderes, die Umsetzung zu erleben.« 

Bernd Wilberg

 

 

 

Auf nach Dellbrück

Eine Gruppe von zwanzig Menschen will ein denkmal­geschütztes Haus ­sanieren und gemeinsam darin wohnen

»Hier wohnt Familie Kellerhoff« steht in bunter Schrift an der Wohnungstür im ersten Stock. Doch Familie Kellerhoff ist längst fortgezogen, genau wie die anderen Bewohner des Hauses an der Bergisch Gladbacher Straße 1006. Seit rund zehn Jahren steht das denkmalgeschützte Eckhaus leer, nur im Erdgeschoss harrt der Dellbrücker Bürgertreff aus, wo Senioren Theater spielen oder Geflüchtete sich zum Kaffee treffen. Putz bröckelt von der Fassade, der Hausschwamm hat sich durch die Decken gefressen. Das Haus verfällt.

Doch im Sommer soll endlich die große Sanierung beginnen. »Es muss fast alles neu gemacht werden: Heizung, Elektrik, Außenputz«, sagt Georg Gläser. Er steht mit Philippa Schindler und deren neunjähriger Tochter Manouk in einem der schönsten Räume des Hauses, von dem aus man auf die stark befahrene Straße bis ins benachbarte Bergisch Gladbach blicken kann. Die Eckzimmer auf jeder Etage sollen später zu Gemeinschaftsräumen werden. Gläser arbeitet in der Politischen Bildung, Philippa Schindler ist Stadtrevue-Redakteurin. Beide sind Mitglied im Verein Tausendsechs, einer Gruppe von rund zwanzig Menschen zwischen Anfang zwanzig und Mitte fünfzig, benannt nach der Hausnummer des Gebäudes. Im Mai 2021 haben sie vom Rat der Stadt Köln den Zuschlag für einen Erbpachtvertrag bekommen, im Rahmen einer so genannten Konzeptvergabe: Es ging nicht um den höchsten Preis, sondern das beste soziale, ökologische oder kulturelle Konzept.

Das Konzept von Tausendsechs besteht nicht einfach darin, eine Haus-WG mit günstigen Mieten zu schaffen, sagt Georg Gläser. Man will ein »offenes Haus« sein und das kulturelle Leben im beschaulichen Dellbrück bereichern, wo das Straßenbild sonst eher von Feinkostgeschäften und gutsituierten Rentnern geprägt ist. »Ich kann mir ein Sommerkino oder Flohmärkte im Hof gut vorstellen«, sagt Philippa Schindler, und Georg Gläser spricht von Bandproben im Keller und Gruppentreffs im Dachgeschoss. Man will dabei auch mit dem Bürgertreff zusammenarbeiten, der als Mieter unbedingt im Haus bleiben soll.

Eine Einzimmerwohnung im Erdgeschoss will der Verein zudem an Menschen vergeben, die gerade aus der Haft entlassen wurden oder sich im offenen Vollzug befinden. Sie denken dabei an »marginalisierte Gefangene«, etwa Frauen mit Kindern oder Transpersonen. Alles soll barrierefrei ausgebaut werden, das Haus einen Aufzug und Balkone bekommen. »Wir wollen so viel wie möglich in Eigenleistung erbringen, zum Beispiel Böden verlegen, Wände verputzen und Bäder fliesen«, sagt Georg Gläser. Bei der Planung unterstützt sie der Architekt Bodo ­Marciniak, der bereits in Ossendorf ein Wohnprojekt mit und für Obdachlose errichtet hat und in der »Indianer­siedlung« am Kalscheurer Weg in Zollstock eine Sozialsiedlung plant; auch dort sollen künftige Bewohner beim Bau mithelfen. Gläser sagt, dennoch rechne man mit zwei Millionen Euro für die Sanierung. Um an einen Bank­kredit zu kommen, wirbt der Verein um Direktkredite von Privatpersonen. Etwa die Hälfte der Summe habe man so bereits zusammenbekommen, so Gläser.

Bevor die Gruppe den Erbpachtvertrag mit der Stadt unterschreibt, müssen noch einige Details ausgehandelt werden, etwa die Höhe des Erbpachtzinses und der Zeitpunkt, ab dem dieser fällig wird. »Die Baupreisentwicklung macht uns natürlich genauso zu schaffen wie allen anderen. Da wäre es schwierig, wenn wir die Erbpacht bereits zahlen müssen, wenn wir noch gar keine Mieteinnahmen haben«, so Schindler. Sie können auch nicht einfach die explodierenden Baukosten über höhere Mieten kompensieren, wie es herkömmliche Investoren tun. »Dann wäre es ja kein soziales Wohnprojekt mehr.« Doch sie und Gläser sind zuversichtlich, sich mit der Stadt bald einigen und in zwei bis drei Jahren endlich einziehen zu können.

Schon jetzt leben die beiden in alternativen Wohnprojekten. Georg Gläser in der »Kulturfabrik Kalk«, den Räumen der alten Maschinenfabrik und Eisengießerei in der Wippermannstraße, wo auch Konzerte veranstaltet werden. Ende des Jahres müssen die Bewohner voraussichtlich raus. Ein Investor hat das Gelände gekauft und will die Fabrik abreißen, um Wohnungen zu errichten. Auch die Haus-WG an der Palmstraße, in der Philippa Schindler mit ihrer Tochter wohnt, muss ihr Zuhause nach einer Kündigung wegen Eigenbedarfs wohl bald verlassen. Doch die Lust auf alternatives Wohnen ist den beiden dadurch nicht vergangen, im Gegenteil: »Jetzt erst recht«, sagt Philippa Schindler. »Ich will mich nicht durch die Lage auf dem Wohnungsmarkt in eine Wohnsituation zwingen lassen, die ich gar nicht will.« Für sie sei es ein großes Glück, dass sie mit ihrer Tochter nicht in einer kleinen Zweizimmerwohnung leben müsse. »In einer großen Gemeinschaft ist immer jemand da, der auch mal kocht oder auf meine Tochwter aufpassen kann, wenn ich abends nochmal aus dem Haus gehen will.«

»Ich halte gemeinschaftliches Wohnen für die Zukunft, auch mit Blick aufs Alter«, sagt Georg Gläser. Es gehe um mehr, als sich die Milch zu teilen. Man verwalte das Wohnen gemeinsam und entscheide basisdemokratisch. Solidarisch wohnen heißt für Gläser auch, dass alle Bewohner bereit sein sollen, die Miete anzupassen: Wer mehr verdient, soll auch mehr zahlen. In der Kulturfabrik Kalk praktiziere man das bereits seit Jahren, es habe sich bewährt. Neben Gläser wollen auch einige andere Bewohner aus Kalk nach Dellbrück ziehen, doch manchen ist der Stadtteil auch zu abgelegen, zu langweilig. Auch Georg Gläser, der in der Nähe aufgewachsen ist, haderte erst mit dem Standort, kaum fünfhundert Meter entfernt von der Stadtgrenze zu Bergisch Gladbach. »Aber ich habe einfach keine Lust, allein oder zu zweit in einer Paarbeziehung zu wohnen. In der Gemeinschaft ist es viel interessanter.«

Anne Meyer

 

 

Instandbesetzung erwünscht

Die LC36 wird ein Erbbauprojekt. Für das einstmals besetzte Haus bringt dies viele Veränderungen mit sich

Es ist ein Glücksfall für Köln, dass die Stadtautobahn entlang des Grüngürtels und der Inneren Kanalstraße nie ­gebaut wurde. Ihm verdankt die LC36 am Westbahnhof seine Existenz. Seit 1915 steht dort, in der Ludolf-Camp­hausen-Straße 36, ein großes Mietshaus. In den 70er Jah­ren wurde es von der Stadt gekauft, um es für den Bau der Stadtautobahn abzureißen. 1984 stand das Haus fast komplett leer, nur drei migrantische Familien lebten noch dort. Dann wurde es besetzt.

»Die drei Familien leben immer noch hier, und dazu etwa 30 Personen in den unterschiedlichsten Wohnverhältnissen«, erzählt Timo Glatz, der seit 2008 in der LC36 wohnt. »Im Moment leben sogar zwei junge Menschen hier, die in der LC36 aufgewachsen sind.« Seit 1992 ist die Besetzung legalisiert, die Besetzer*innen haben einen ­Verein gegründet, der einen Mietvertrag mit dem Wohnungsamt der Stadt Köln abgeschlossen hat. Das Zusammenleben im Haus wird auf einem monatlichen Plenum besprochen. »Da geht es normalerweise um den Alltag: Müll bestellen, kleinere Reparaturen«, sagt Timo Glatz. Auch die Konflikte mit der Stadt Köln als Vermieterin ­waren immer wieder ein Thema dort. »Die Stadt hat hier immer nur das Allernötigste investiert«, sagt Christian Nehls, der seit 2013 in der LC36 wohnt, wo noch mit ­Kohle geheizt wird. Trotzdem ist die LC36 zu einer Ins­titution geworden. Viele Akti­vist*in­nen finden hier ­günstigen Wohnraum, das Café im Erdgeschoss dient als Anlaufpunkt für Initiativen.

Am 8. März 2017 hätte all dies an ein Ende kommen können. An diesem Tag waren die Bewohner*innen zu einem Termin im Wohnungsamt geladen. Einziger Tagesordnungspunkt: Die LC36 und die angrenzende Brachfläche sollten an eine Investorin verkauft werden, die dort Wohnungen für Studierende bauen wollte. Die Bewohner*innen der LC hätten nach dem Bau dort in eine Sozial­wohnung einziehen können, deren Mietpreisbindung nach 30 Jahren auslaufen würde. Damit wäre das Hausprojekt Geschichte gewesen. Die Bewohner*innen wandten sich an den Liegenschaftsausschuss, und erfuhren, dass der Verkauf der LC36 noch nicht beschlossen war. »Gemeinsam mit Jörg Frank, dem ehemaligen grünen Ratsherren, haben wir dann eine Ochsentour durch die Verwaltung gemacht«, sagt Christian Nehls. Ihr Ziel: Sie wollen die LC36 als Erbbauprojekt weiterführen. Die Stadt Köln bleibt formell Eigentümerin von Haus und Grundstück, aber überlässt beides einem neugegründeter Verein für einen Erbbauzins. Im Gegenzug muss der Verein das Gebäude verwalten und instandsetzen. Der Stadtgarten ist das bekannteste Beispiel für diese Art von Grundstücksvergabe, aber im Frühjahr 2017 war das Konzept schon lange nicht mehr angewendet worden. Es sollte noch drei Jahre dauern, bis der Rat der Verwaltung endlich grünes Licht gab: Die Stadt sollte mit den Bewohner*innen über das Erbbaurecht verhandeln.

»Der Vertrag ist bis heute nicht unterzeichnet, aber in Grundzügen sind wir uns einig«, sagt Timo Glatz. Bis zum Jahr 2100 erhält die LC36 das Erbbaurecht, dafür zahlt das Projekt einen jährlichen Erbbauzins von 1,5 Prozent des Verkehrswerts. »Dazu kommt ein Sanierungsstau von ca. zwei Millionen Euro«, sagt Christian Nehls. Das bislang nur provisorisch ausgebaute Dachgeschoss wird renoviert und neu gedämmt, das gesamte Haus erhält neue Fenster und eine Zentralheizung, vermutlich auf Basis von Holzpellets. Finanziert wird dies zum größten Teil durch ein Darlehen der NRW-Bank, das über die zukünf­tigen Mieteinnahmen zurückgezahlt wird. Im Frühjahr 2023 werden jedoch Grundsteuer und Planungskosten fällig. Die LC36 hat dafür Direktkredite gesammelt, bis zum Redaktionsschluss Mitte Januar waren bereits 190.000 Euro zusammengekommen. »Wir sind beeindruckt, wieviel Solidarität wir erfahren«, sagt Timo Glatz. Die Höhe und Form der künftigen Mieten haben die Bewohner*innen selbst festgelegt — anstatt über den Müll diskutierte das Hausplenum, welche Mietzahlung gerecht sei, berichtet Glatz: »Wir haben uns verpflichtet, eine Miete unter oder gleich des Sozialsatzes anzubieten.« Aktuell sind dies ca. 6,50 Euro pro Quadratmeter — es dürfte fast unmöglich sein, zu diesem Preis aktuell eine Wohnung in der Kölner Innenstadt zu finden.

Der Weg dorthin war anstrengend. »Die Verhandlungen mit Wohnungs- und Liegenschaftsamt waren teilweise kafkaesk«, erinnert sich Christian Nehls. Mindestens fünf Stunden pro Woche habe er — wie viele andere — am Schreibtisch gesessen, hinzu kamen Plena und Termine mit Verwaltung und Architekturbüro. »Aber wenn wir fertig sind, haben wir sozialen Wohnraum in der Innenstadt bis ins Jahr 2100 gesichert«, sagt Nehls. »Es braucht kollek­tive Projekte wie unseres, damit sich Menschen als Teil einer gemeinsamen Sache erfahren können«, sagt Timo Glatz. 2024 soll die Sanierung der LC36 abgeschlossen sein — pünktlich zum 40-jährigen Bestehen des Wohnprojekts. Auf dem benachbarten Grundstück, wo längst ein Studierendenwohnheim gebaut werden sollte, wuchert weiter das Gras. 

Christian Werthschulte

Die Direktkreditkampagne der LC36 kann hier unterstützt werden: lc36.org/direktkredite

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Der diesjährige Wohnprojekte-Tag ist für den 10. Juni in der ­Volkshochschule angekündigt