Absurde und gepeinigte Gestalten: Ausstellungsansicht »A Change in Weather«; Foto: Cedric Mussano

Die Handschrift der Maschine

Matthias Groebels Maschinenmalerei erzählt von anderen medialen Zeiten — jetzt ist sie erstmals in einer institutionellen Einzelschau zu sehen

Es ist ein seltsames Gefühl, das einen befällt, wenn man vor den Bildern des Kölner Malers Matthias Groebel steht. Vielleicht trifft es der Begriff »Befremden« ganz gut. Die Figuren, die aus den 95 × 95 cm großen Leinwänden rausschauen, wirken abwechselnd skurril, gespenstisch, gemartert oder bedroh­lich. In seinen besten Arbeiten kommen diese Qualitäten alle zusammen. Dann etwa, wenn eine Frau, vermutlich in ihren Zwanzigern, scheinbar verängstigt an den Betrachter*innen vorbei blickt. Sie wirkt zugleich unmenschlich, wie ein Klon oder eine ähnliche In­stanz, eine Fantasie — eine Fantasie des Fernsehens, um genau zu sein. Das verbindet sie mit allen Bildinhalten der Ausstellung, die derzeit im Düsseldorfer Kunstverein unter dem Namen »A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001)« zu sehen ist. Diese ist unterdessen Groebels erste institutionelle Einzelschau.

Dabei begann der 1958 in Aachen geborene Groebel bereits in den 80er Jahren mit der Kunst, die er neben seinem Studium als Pharmazeut betrieb. Als Autodidakt wandte er sich erst Collagen, dann vor allen Dingen der abstrakten Malerei zu. Nach dem Hochschulabschluss sollte er fortan im Hauptberuf Künstler sein, finanziert durch eine Arbeit als Pharma­zeut — ein Brotjob. »Der Vorteil an der Pharmazie ist «, so Groebel heute, »dass man sie im Prinzip zeitlich ungebunden praktizieren kann. Das gab mir genug Raum, um an meiner Kunst zu arbeiten.« Groebels damalige Bilder zielten mit ihrer Abstraktion an damals zeitgenössischen Diskursen vorbei, setzten die sich doch gerade in den Jahren der Neuen Wilden mit Figuration auseinander. Diese deutliche Differenz war dennoch bloß ein nachgeordneter Grund dafür, nach dem Pharmazie-Stu­dium nicht noch ein Kunststudium anzuhängen: »Die Entscheidung gegen die Akademie bereue ich nicht!«, sagt Groebel im Gespräch. »Sie beruhte auf der Ablehnung, der sehr hierarchischen Strukturen, die mit dem Konzept des Meisterschülers damals noch sehr ausgeprägt waren.«

So wenig er ihn bereut, so sehr hat der Beschluss gegen eine klassische künstlerische Laufbahn auch den Rest seiner Karriere beeinflusst. Netzwerke um Galerist*innen, Künstler*innen und Kritiker*innen konnte Groebel nur gedrosselt aufbauen, der Nachteil des alternativen Wegs zeigte sich hier am deutlichsten. Als Groebel in den 90ern nach Köln kam, landete er in einer an Bedeutung verlierenden Kunstmetropole, die aber noch durch (männliche) Stars und Sternchen der Szene geprägt war. Ein Umstand, auf den er mit wenig Sentiment zurückschaut: »Ich finde die Kunstszene in Köln heute viel attraktiver und angenehmer. Sie ist diverser und gleich­berechtigter, interessanter, nicht ganz so Testosteron-gesteuert. Das halte ich für einen großen Fortschritt.«

Ob diese breiter aufgestellte Szene der Grund ist, für die allmähliche (Wieder)Entdeckung seines Werks, die vor zwei Jahren begann und nun in der Ausstellung im Düsseldorfer Kunstverein gipfelt, das sei dahingestellt. Ganz sicher ist: Nach ersten erfolgreichen Schritten in den 90er und frühen 00er Jahren, verschwand Groebel von der Bild­fläche und ­arbeitete abseits des Marktes weiter. Vermutlich konservierte jener Abstand zum Spotlight des meist auch schnelllebigen Kunstbetriebs sein Werk: Groebels Kunst wirkt 2023 so frisch, aktuell und dringlich, dass die jahrelange Ignoranz des Betriebs kaum mehr nachvollziehbar ist.

Besonders aufregend ist sein einzigartiger technischer Ansatz: Die maschinengestützte Malerei. Ein aus Technik-Müll von Münsteraner Schrottplätzen ­zusammengebautes AirBrush-System, das in einem komplexen Verfahren Farbe aufträgt — die Inhalte werden über den PC eingespeist. Die Grundlage, so Groebel, sei ein Cyberpunk-Ethos gewesen: Aus den »Abfall-Produkten« der Industriegesellschaft werden neue Gerätschaften gebaut. Das erinnert nicht ganz zufällig an die australischen Filme der Mad Max-Reihe, die im gleichen Geist entstanden sind. Für Groebel waren jedoch die Science-Fiction-Autoren Philipp K. Dick und Neal Stephenson (»Snow Crash«) zentrale Einflüsse. Den Farbauftrag via Maschine könnte man derweil leicht mit den künstlerischen (Industrie-)Druckverfahren verwechseln, die Künstler*innen wie Wade Guyton einige Prominenz in den letzten Jahren verschaffen konnten; ein Trugschluss! Statt eines additiven Farbmischprozesses aus drei oder vier Grundfarben, arbeitet Groebel mit echten Farben, die nach und nach angelegt werden — dem klassischen Öl- und Acrylmalen sehr viel näher als man anfäng­lich vermutet.

Diese technische Besonderheit wäre gleichwohl nur bedingt interessant, wenn die Bildinhalte des Wahl-Ehrenfelders nicht ebenso ungewöhnlich und faszinierend wären. Groebels Porträts stellen Figuren einer Fernsehlandschaft dar, die sich Ende der 70er durch Einführung der Privaten sowie Offenen Sender rasant geändert und beizeiten wahnwitzige Bilder und Figuren produziert hat. Eingefangen als, heute würde man sagen: Screenshots, aus der ganzen Welt empfangen via Satellitensystem: Groebel eignete sich in den Jahren zwischen 1989 und 2001 die skurrilen Figuren aus der Geschichte des TVs an — per Maxime alle so marginal, dass sie nicht einmal als Fußnote noch irgendwo erscheinen — und bannte sie auf die Leinwand. Die maschinengestützte Malerei vereinfachte zeitgleich die Übersetzung der Bildröhren-Ästhe­tik des Standard Definition-Fernsehens: An den Kanten ausfransende, leicht verschwommene Gestalten bevölkern seine quadratischen Gemälde.

So faszinierend die geschichts­losen Schulter- und Bruststücke — die Darstellungsform offenbart Groebels explizit malerischen Gestus, in dem hier operiert wird — durch ihre verletzte und verletz­liche Schönheit sind, bisweilen schocken sie aber in ihrem abjekten Bildinhalten. Neben Fingernägel kauenden Frauen findet man auch (angedeuteten) Splatter und Gewalt. Diese ist dennoch nie real, sondern immer nur »Teil einer Medien-Gewalt-Fantasie«, also fake.

»A Change in Weather« ist bereits am Anfang des neuen Kunstjahres eine der wichtigsten Ausstellungen 2023. So erfolgreich, dass man sich fragt, ob es demnächst auch neues Material gibt. Die Maschine habe nach 2007 lange stillgestanden, aber »sie läuft fast wieder«. Das neuerliche Interesse weckt Begehrlichkeiten — ein großes Glück für eine Kölner Kunstfigur, die schon immer souverän unabhängig positioniert hat.

A Change in Weather (Broadcast Material 1989–2001). Kunstverein der Rheinlande und Westfalen, Grabbeplatz 4, Düsseldorf, bis 24.2.; Di–So 11–18 Uhr