Weiß, was vorne drauf steht: Denis Stockhausen

»Die Dunkelheit loslassen und den Raum erleuchten«

Denis Stockhausen feiert mit seiner Party »My Dear« Jubiläum. Anlass genug für einen Rückblick

Die Feierlichkeiten kommen mit etwas Verspätung: Statt zehn Jahre feiern wir also elf Jahre »My Dear«, die Party-Reihe, die von Denis Stock­hausen ins Leben gerufen wurde, um alte und neue Freunde zu treffen, zu featuren, zu bewundern. Die Elf, als urkölsche Zahl, passt derweil vortrefflich zu Kompakt, wo Stockhausen seit etlichen Jahren im Vertrieb arbeitet. Dennoch kommt seine Dreifach-Vinyl-Compilation zum Jubiläum nicht beim Arbeitgeber, sondern auf ­seinem eigenen Label raus: Vollgepackt mit lauter Gästen und Freund*innen aus mehr als einer Dekade Party-Hosting.

Denis, wie war die letzte »My Dear«-Party vergangene Woche mit Nthng?

Ich hatte im Vorfeld etwas Sorge aufgrund des schlechten Wetters. Aber die Stadt war voller Menschen — und auch das Gewölbe. Und das bei einem Liebhaberbooking wie Nthng. Er hat das Energielevel über dreieinhalb Stunden auf sehr hohem Niveau gehalten, ich habe so ausgiebig getanzt, dass ich am nächsten Tag kaum das Bett verlassen konnte.

Es liegen zwei Jahre Pandemie hinter uns. Gehst du selbst denn so viel aus wie vor der Pandemie?

Nee, aber das liegt an anderen Dingen: Ich bin Papa geworden. Früher war ich schon drei bis viermal im Monat im Gewölbe. Das  Ausgehen kommt jetzt nur noch in Ausnahmefällen wie Michaels Geburtstag vor [zeigt hinter sich, wo Michael Mayer im Kompakt-Plattenladen steht]. Wenn ich tanzen gehe, kriege ich nicht so leicht die Reißleine gezogen — und ich möchte ja morgens um acht für meine Tochter fit sein.

Bei dem aktuell in den Clubs bevor­zugten Tempo von 140bpm aufwärts muss man ja auch echt fit sein.

In der Tat: Das Tempo war auch bei Nthng sehr hoch. Aber die Musik war zu keinem Zeitpunkt belanglos oder stumpf. DJs wie er oder Ryan James Ford, den ich im Oktober zu Gast hatte, fahren zwar die aktuelle schnelle Schiene, aber mit ei­nem modernen Sound, der auch deep ist.

Wenn du all die jun­gen Leute im Club und die aktuellen Trends siehst, wirst du da etwas nostalgisch mit deinen 42 Jahren?

Meine Jugend und die heutige Zeit sind zwei unterschiedliche Epochen … Damals war die Technoszene re­­lax­ter. Ich will nicht behaupten, damals war alles besser. Aber heutzutage stehen die jungen Menschen so stark unter dem Druck mitzuhalten, gehört und gesehen zu werden, dass die Musik zu sehr in den Hintergrund rückt.

Wann hast du angefangen aufzulegen?

1997 war ich das erste Mal auf der Love Parade,  ein Jahr später hat mich ein DJ-Set von Miss Kittin im Radio sehr begeistert. Beim Hören wurde mir klar, dass elektronische Musik nicht nur eintö­niger Techno ist, sondern durch die Verbindung unterschied­licher Genres sehr spielerisch sein kann, auch Brüche zulässt. Eine Woche später kaufte ich mir zwei Plattenspieler und einen Mixer und war fortan Stammkunde in den Ber­liner Plattenläden.

Wann hast du bei Kompakt angefangen?

Das war im Dezember 2006. Kompakt und das Label-Umfeld spielen eine große Rolle für meine musikalische und auch persönliche Entwicklung. Im Vertrieb für ein legendäres Schallplattenlabel zu arbeiten ist für mich ein Traumjob, und dass meine Kolleg:innen und Chefs eine zweite Familie für mich sind, verstehe ich als Glück.

Nicht jeder hat einen Arbeitgeber, der Nebenjobs toleriert, aber in deinem Fall war das sicherlich kein Problem.

Das ist bei Kompakt entspannter, aber ich muss Montagmorgen auf der Matte stehen: Wer feiern kann, kann auch arbeiten.

Und Kompakt profitier­te von deiner Umtriebigkeit?

Be­stimmt. Einige meiner Lieblings­gäste kommen aus dem Kompakt-Kosmos. Künstler wie Robag Wruhme, Super­pitcher und Sascha Funke hatte ich regelmäßig zu Gast — und buche sie heute noch, wo niemand mehr die »alten weißen Männer« einladen möchte. lacht

Wobei du ja viele Frauen einlädst. Miss Kittin oder auch Ellen Allien sind »My Dear«-Stammgäste.

Kittin und Ellen gehören zu meinen größten DJ-Vorbildern. Generell spielen bei der Auswahl meiner Gäste und auch grundsätzlich Geschlechteridentitäten keine Rolle. Ich habe eine bestimmte Anzahl an Nächten, die ich im Gewölbe hosten darf, und eine lange Liste an Lieblings-DJs und Live-Acts. Da stellt sich schon die Frage: Wie funktioniert das, ohne dabei den Blick auf neue Talente zu verlieren? Ich denke, dass mir die Mischung aus Stammgästen und Newcomern gut gelingt.

Gab es in den elf Jahren einen Moment, an dem du alles in Frage gestellt hast?

Klar gab es mal diesen Punkt. Der hatte aber nichts mit dem Älterwerden zu tun, auch nicht mit der Pandemie, sondern mit meiner veränderten Sicht auf das Techno-Business. Die Kom­mer­zialisierung und zunehmende Poli­tisierung nehmen mir hin und wie­der zu viel Raum ein. Ich versuche mir meine Naivität und ­Leidenschaft für die Musik zu bewahren. Ich hab noch Bock, das war jetzt die 73igste Veran­staltung — bis 100 mach ich auf jeden Fall weiter.

Für die Platte zum Jubiläum hast du auf eine traditionelle Künstler:innen-Auswahl gesetzt. Unter anderem DJ Koze, Wolfgang Voigt und Jürgen Paape.

Ja, die meisten meiner »Favourite Artists« sind schon lange im Geschäft. Das Konzept der Platte ist, dass ich mir von meinen Lieb­lingskünstler:innen tanzbare Tracks gewünscht habe, die den Morgen im Club widerspiegeln. Keine High-Energy-Peak-Time-Sause, und auch kein Warm-up. Stattdessen Romantik, Deep­ness, gerne auch Euphorie, alles mit Stil. Die Dunkelheit loslassen und den Raum erleuchten.

Die Platte ist ja durchaus auch krude.

Sie ist nicht gefällig, aber auch nicht zu fordernd; krude ist sie für mich nicht. Die Stücke er­­ge­ben für mich zusammen eine schöne Reise und klingen in meinen Ohren zeitlos. Da sprechen wir in zehn Jahren noch mal drüber. lacht

Waren denn alle Künstler:innen auf der Compilation schon mal zu Gast bei »My Dear«?

Ja, bis auf Pom Pom und Jürgen Paape —  Pom Pom kommt jetzt zur Release-Party, die am 11. März stattfindet. Außerdem dabei sind Ada, Fantastic Twins, Rising Sun und Superpitcher. Damit es genug Spielzeit für die vielen Künstler:innen gibt, beginnt die Veranstaltung ausnahmsweise schon um 21 Uhr.

Denis, zum Schluss: Wer steht denn ganz oben auf der Wunschliste als Gast?

Zur 100. Ausgabe würde ich gerne Björk einladen, meine absolute Lieblingskünstlerin. lacht

stadtrevue präsentiert: My Dear Favourite Artist, Sa 11.3., 21 Uhr, Gewölbe