Spinnt feine Seelenfäden: Albrecht Schrader; Foto: Dorle Bahlburg

Schwermut kriecht hervor

Albrecht Schrader hat ein neues Album veröffentlicht und erforscht die sanfte Seite des Showgeschäftes

»Albrecht Schrader spielt das ­Release-Konzert seines neuen ­Albums im King Georg« — der Satz hätte locker auch 2017 fallen können. Damals schien die Welt noch in Ordnung: Der Hanseat Schrader wohnte in Köln, leitete das Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld, die Haus- und Showband von Böhmermanns Neo Magazin Royal, und überraschte Woche für Woche das Fernseh- und Youtube-Publikum mit feisten Interpretationen von House-, HipHop- und Charts-Klassikern. Damals wohnte Schrader nur unweit vom King Georg entfernt. Und der Laden am Ebertplatz begrüßte seine Gäste indes mit einem Hund an der Garderobe und einer Holzvertäfelung im ­Inneren.

Seitdem ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen, die Welt hat eine Pandemie erlebt und in der Ukraine ist der damals schon schwelende Krieg zu einem handfesten Angriffskrieg auf das ganze Land geworden. Nein, es ist nicht unbedingt besser geworden.

Dennoch merkt man davon ­wenig, als Ende Januar Schrader pünktlich um 21 Uhr die Bühne des umgestalteten und als Jazzclub neu ausgerichteten King ­Georg  betritt. Ohne Zweifel ist ­Albrecht Schrader einer der talentiertesten Alleinunterhalter der letzten Jahre — selbst wenn hinter ihm eine Band dabei behilflich ist sein neues Album »Soft« ­auf­zuführen. Und so scheint die Welt für die Länge eines Konzerts echt in Ordnung: Mit viel Witz und ­Verve ­leitet der Hamburger von links nach rechts, von vorne bis hinten, von Lied zu Lied.

Doch wer genau hinhört, der merkt schnell, dass die letzten Jahre nicht spurlos am bald 40-Jährigen vorbeigezogen sind. Zwischen den Zeilen lauert die Wahrheit, und ­zwischen char­mantem Wortspiel und kokettem Uptempo macht sich Schwermut breit.

Er hatte sich das alles anders vorgestellt: 2019 beendete er sowohl seinen 14-jährigen Aufenthalt im Schatten des Doms als auch seinen Gig beim Rundfunk Tanzorchester. Es sollte zurück nach Hamburg gehen. »Ich wusste schon länger, dass ich beim Neo Magazine Royale aufhören wollte. Ich hatte in der Zeit gar keine ­Gelegenheiten mehr für meine ­eigene Musik gehabt«, sagt er im Interview. Voll und ganz warm geworden mit den Kölner*innen war er nie  — mentalitätsmäßig sei das einfach zu weit auseinander. Die kölsche Performance von penetranter »Gute Laune!« war kein ­Zuckerschlecken für einen, der im Elb-Oberschichts-Milieu zwischen Altona und Blankenese aufgewachsen ist. Wofür man im Übrigen auch in der Hamburger Szene keine Schulterklopfer bekommt, wie er bereits auf dem Album »Diese Eine Stelle« (2020) festgestellt hat.


Wer genau hinhört, der merkt, dass die letzten Jahre nicht spurlos an Schrader vorbeigezogen sind

Auf dem Album ging es ihm um Erbwohlstand und Herkunftsscham, was er auf der feinen Linie zwischen Ironie und Nabelschau ausbalancierte — zugleich den Bewohner*innen der »Elbchaussee« den Spiegel vorhaltend und seinen Geburtstag auf dem Golfplatz verbringend. Allerdings traf auch ihn, der beruflich mit Auftragsarbeiten für Funk, Fernsehen, Film und Theater zu tun hatte, die Corona-Pandemie — für jemanden, der von einem sicheren Freundeskreis am Dom in ein unbekanntes Milieu am Millerntor gezogen war, war Einsamkeit ein bedeutender Begleiter in den Lockdowns. So darf und muss man jedenfalls die neue Verletzlichkeit auf seinem aktuellen Langspieler »Soft« deuten. Hier handeln die Texte von seinen Gefühlen, seinem Empfinden, seiner Psychotherapie.

Konterkariert wird dies durch die ausgefeilten Produktionen. Gerade bei den sehr präsenten Balladen — mindestens sechs der zehn Stücke sind klassische Pop-Balladen — fällt immer wieder auf, wie groß hier gedacht wird. Die Vorbilder sind augenfällig: Burt Bacharach, die Carpenters, der frühe Scott Walker. Allesamt in der Lage, vom Großen zu berichten, indem sie vom Kleinen erzählen. So hören wir es auch bei Schrader.

Trotz der harten Zeit ist an diesem Abend die Stimmung auf der Bühne ausgelassen. Im Publikum lassen sich leicht die feinen Töne der Angreifbarkeit und der Verletzbarkeit überhören, die Liedern wie »Für dich bleibe ich ein Mann« oder »Donnerstags 8 bis 9« eingeschrieben sind. Das ist der großen Qualität des Show-Masters Schrader geschuldet. Dieser kann noch lachen, wenn der Texter Schrader bereits den Tränen nahe ist.

Tonträger: Albrecht Schrader, »Soft« (Krokant/Zebralution)