Ursula vor ihrem Selbstporträt: C’est moi. Et alors? / Das bin ich. Na und?, 1996, Foto: Tamara Voss

Bärenpelz und Surrealismus

Das Werk der eigenwilligen Künstlerin Ursula erfährt Würdigung im Museum Ludwig

Ob Ursula Schultze-Bluhm, der 1921 in Mittenwalde / Brandenburg geborenen Künstlerin, die Bedeutung ihres Vornamens — vom lateinischen »Ursus« für Bär mit der Verkleinerungssilbe »-la« am Ende kommend — wichtig war, ist reine Spekulation. Fest steht, dass sie Pelz zu einem wichtigen Arbeitsmaterial für sich und die Kunst machte. 1970, nach ihrer Studienreise in Leningrad nämlich, produzierte die dem Surrealismus wie auch der Art Brut zugeordnete Künstlerin das Ursula-Pelzlusthaus — womit die erotische Anspielung des haarigen Materials auf der Hand liegen dürfte.  Ihre Schweizer Kollegin Meret Oppenheim — darauf sei kurz hingewiesen — hatte schon 1936, aus reiner Lust am Material-Experiment mit einem pelzüberzogenen Teeservice und Löffel, ein Schlüsselwerk des Surrealismus geschaffen.

Für die 1999 in Köln verstorbe­ne Künstlerin war das Pelzlusthaus beileibe nicht der einzige Ausflug in Tierfell-Gefilde, wie einige Bilder — unter anderem das Pelztierfahrrad von 1975 in der Sammlung des Museum Ludwig — demonstrieren. Noch vor dem Pelz hatte sich Ursula generell dem Fetischcharakter der Tierhaut zugewandt: Zuvorderst in ihren skulpturalen, mitunter schrankartigen Pandora-Objekten aus Fell, Pelz und Federn, in denen sich verschiedenartige künstlerische Strategien vereinen. Ursula verstand diese Objekte unter anderem als »Anklage zur indus­trialisierten Massenkultur, einer praktisch verkäuflichen Konsumkunst ohne jeden Vorbehalt«. Der Kölner Maler Bernhard Schultze, den sie 1955 heiratete und sodann den Doppelnamen Schultze-Bluhm trug, beschrieb die Gemälde seiner Frau in ihren inhaltlich-formalen Eigenheiten, als »drohend gaukelnde Blumengärten«.

Die epochale Zuordnung der Kunst Ursulas ist nicht einfach. Für ihre Nähe zum Surrealismus gibt es durchaus Argumente, versuchte sich doch Ursula an »anti-vernünftiger« Kunst und experimentellen Bildfindungen und Maltechniken. Daran anschließend wird sie im Kontext der Art Brut re­zipiert, jener Sammelbegriff des französischen Malers, Bildhauers und Aktionskünstlers Jean Dubuffet für nonkonformistische Positionen einer heterogenen Gruppe Nicht-Akademiker*innen — Laien, Kinder, emotional, kognitiv oder körperlich beeinträchtige Personen, wie auch Inhaftierte oder schlicht Autodidakt*innen. Die einschlägige Literatur bemüht gerne Ursulas Begegnung mit Jean Dubuffet, der 1954 die künstlerisch unangepasste Ursula für sein Musée »L’ART Brut« in Paris entdeckt hat. Ihre Bildwelten bevölkern Wesen zwischen Frau und Mann, zwischen Tier und Mensch, die inert aus dem Bildgrund auftauchen, um gleich wieder darin zu verschwinden. Die Motive malte Ursula bewusst naiv, die gestalterische Besonderheit ihrer auch ungewöhnlichen Farbräume beschrieb ihr Mann als »kostbare Intarsien« und meinte wohl jene fein ziselierten, gestrichelten Strukturen, die zudem an textiles Material, an Stickerei oder Applikationen denken lassen.

So verlief denn auch Ursulas künstlerische Entwicklung ungewöhnlich: Ende der 50er Jahre wandte sie sich ganz von der naiven Darstellung von realitätsnahen Traumbildern ab und hin zur realitätsüberschreitenden Befreiung von Geschichten sowie indivi­du­ellen Mythologien. Auffallend die künstlerische Vielseitigkeit ihres Schaffens: Es entstehen ab 1958 Assemblagen, ab 1960 etliche Kästen, Mitte der 1960er Jahre erste Bronzen (mit Pelz!), im Laufe der 1970er Jahren großformatige Zeich­­­nungen und Ölbilder. Dass der Küns­t­­lerin Inspirationen im eigenen Land nicht genügten, mögen ihre zahlreichen kürzeren und län­­ge­ren Aufenthalte außerhalb Deutsch­lands, in den USA, in Latein­­amerika, schließlich Asien erklären.

Wie sehr Ursulas Kunst mit dem Sammlungsschwerpunkt des Museum Ludwig zu tun hat, belegt zudem die Beobachtung von Karin Thomas und Gerd de Fries in dem von ihnen herausgegebenen Küns­tlerlexikon, wenn sie »bestimmte Elemente dieses Individuellen Traumkosmos« in der Kunst Ursulas der Pop Art zuordnen, aber auch dem Neuen Realismus — einer Gegenbewegung zu abstraktem Expressionismus und Informell. Damit ist das Haus am Dom mit der umfangreichsten Pop-Art-Kollektion Europas wohl der richtige Ort für den aktuellen Soloauftritt Ursulas. 

»Ursula — Das bin ich. Na und?«, Museum Ludwig, 18.3.–23.7.; Di–So: 10–18 Uhr