Auf der Suche nach der Kölner Mode

Modestadt Köln? Nicht die erste ­Assoziation! Bei Modestadt denkt man eher an die ewige Konkurrenzstadt Düsseldorf, oder natürlich an Berlin. Aber im Schatten des Doms tut sich was: Junge Designer:innen, neue ­Labels — eine Szene entsteht. Carla Bartels (Text) und Thomas Schäkel (Fotos) haben sich auf die Suche begeben: Einblicke in eine junge Mode-Szene, die für ­Zugänglichkeit stehen will

In Köln hält man es mit der Kleidung wie mit der Men­talität — eher gelassen und unkompliziert. Dass es anders gehen — anders aussehen kann — wird mir, wie kürzlich, an Karneval bewusst. Für mich machen die Outfits den entscheidenden Unterschied zwischen Karneval und dem Rest des Jahres. Mit ihren farbenfrohen Kostümen bilden die Karnevalist:innen einen Kontrast zu den dunklen, regnerischen Wintermonaten und auch zum Alltag auf den Straßen der Stadt. Was die Kleidung angeht, vermisse ich hier das Bunte, Unkonventionelle, eine Vielfalt an Designs und Labels.

An vielseitigen und indivuellen Einkaufsmöglichkeiten mangelt es jedoch nicht, in Köln finden sich zahlreiche Boutiquen, Second-Hand-Läden und Concept-Stores. Aber gibt es hier auch eine eigenständige Mode-Szene? Eine, die auch in der Stadtgesellschaft Akzente setzen möchte? Mit Armedangels  und den Brands der Baesiq GmbH wie Pinqponq und Aevor ist Köln die Heimat zweier Mode-Labels, die über die Stadtgrenzen hinaus bekannt sind. Beide Unternehmen setzen auf nachhaltige und zeitlose Basics und finden im Großstadtmilieu ihre Zielgruppe. Aber größere Mode-Events, geschweige denn Runway-Shows oder gar eine Fashion-Week, finden hier nicht statt. Studieren kann man Modedesign, Modemanagement und Modejournalismus in Köln und Umgebung ausschließlich privat. Finanziell muss man sich den Szene- und Markteinstieg erst mal leisten können. Karrierepläne in Kultur- und Kreativwirtschaft stellen somit für die einen ein Risiko und für die anderen ein Privileg dar.

Ich möchte daher von jungen Kreativen aus Köln erfahren, wie sie sich die Türen in diese oft elitäre Welt öffnen. Rico, Lena, Nakissa, Lolo und Justin erzählen mir von ihrer Inspiration, Motivation und wo sie sich und die Kölner Mode-Szene in Zukunft sehen.


Köln ist dreckig mit Charme
Rico

Ich hole Rico in seiner WG ab und verschaffe mir einen Eindruck seines Schaffensplatzes: Ein Zimmer von etwa zwölf Quadratmetern in Ehrenfeld. Ein Tisch, ein Bett, daneben eine Sammlung von Vogue-Magazinen und ein bisschen Stauraum für seine Materialien und Designs. Nach kurzer Besichtigung fahren wir mit dem Fahrrad weiter Richtung Rochuspark.

Um die Gebühren für sein Modedesign-Studium stemmen zu können, bleibt Rico zunächst bei seiner Mutter wohnen und arbeitete im Einzelhandel. Für seinen Traum hat er das in Kauf genommen. Sein Studium fand aber ein plötzliches Ende: die Schule muss schließen, bevor Rico seinen Abschluss machen kann. Nach diesem Rückschlag findet er Zuflucht in seiner Kreativität: »Wenn’s mir schlecht geht, verfalle ich in diesen ­Arbeitsmodus. Das ist mein Schutzmechanismus.«

Zwar hat er aus dem Studium praktische Fähigkeiten mitgenommen, viele eignet er sich aber auch selbst an: Das Handwerk allein kann man auch ohne kostspielige Ausbildung lernen. Doch ohne Kontakte in die Mode-Welt nützt alles Talent und Können nichts. Da kann kein YouTube-Tutorial helfen, eine Privatschule schon eher. Diesen Strukturen möchte Rico mit seiner Vernissage-Reihe »Mixed Emotions« entgegenwirken: »Ich will ­jungen Künstler:innen eine Plattform geben. Ich mach das jetzt für mich und für alle, die das brauchen.«

Im vergangenen Mai hatte Rico mich zur »Mixed Emotions« im Creative-Hub »The Turf« in Sülz eingeladen. Die Location war voller junger Menschen, die sich verschiedene Ausstellungsstücke anschauten und sich austauschten, während im Hintergrund DJs auflegten. Ricos Führung durch die Vernissage endete in seinem Ausstellungsraum: Hier verteilt sich auf zwei Kleiderstangen seine Kollektion Lalira. »Avantgarde trifft auf Streetwear«, so beschreibt er seinen Stil. Die Designs ­fertigt er aus Kleidung, die er in Second-Hand-Shops ­findet oder aus Restposten. Er verarbeitet alltägliche ­Impressionen wie einen Riss im Boden oder Müll auf der Straße. »Köln ist dreckig mit Charme«, erklärt er nicht ohne Stolz.

Mir ist Nachhaltigkeit wichtig. Slow Fashion statt Fast Fashion
Lena

Lena treffe ich zu Kaffee und Kuchen in Sülz. Kurz vor unserem Treffen hat sie noch für ihre Bachelor-Arbeit ­recherchiert. Sie ist sich sicher, dass man den Weg in die Mode-Branche auch ohne Studium schaffen kann, trotzdem sieht sie in der Unterstützung beim Erlernen der technischen Skills einen Vorteil. Für Lena wird eine ­Semester-Kollektion zum Grundstein ihrer Brand: Zum Thema »Overshirts, Blousons et Vests de Travail — Menswear Collection« entwirft Lena im vierten Semester ihre Kollektion »No Gender«. Daraus realisiert sie ein Outfit aus Jacke, Hose und Hut. Nachdem die Jacke auch außerhalb ihrer Uni-Blase gut ankommt, bietet sie ihre Designs auf Anfrage über Instagram an. Zurzeit arbeitet Lena an Kleidung und Accessoires, die für sie weniger aufwendig herzustellen sind. So möchte sie auch Kund:innen mit kleinerem Budget den Zugang ermöglichen. »Mir ist Nachhaltigkeit wichtig. Slow Fashion statt Fast Fashion. Aber ein erschwinglicher Preis dafür ist schwierig dar­zu­stellen, wenn man alles selbst anfertigt«, muss sie ein­schränken.

Neben Nachhaltigkeit ist Lena der persönliche Ausdruck ihrer Arbeit besonders wichtig: »Ich versuche mehr Liebe und Authentizität in die Modewelt zu tragen.« Ein Auslöser dafür waren die Eindrücke auf der London Fashion Week, wo sie ein Praktikum absolvierte. Vor­allem der herablassende Umgang mit den Models habe sie erschüttert und nachhaltig geprägt. Wie ihre »No-Gender«-Kollektion soll auch ihre ­Bachelor-Arbeit »P E R I O D_o« zum Nachdenken anregen. Im Fokus dieser Arbeit steht der Zyklus einer menstruierenden Person. Lena möchte mehr Aufmerksamkeit auf das Thema richten und die Kraft des Zyklus zum Ausdruck bringen. Für sie ist Mode nicht nur ein Produkt, sondern ein Medium, mit dem sie Antworten auf ihre ­eigenen und generellen Fragestellungen geben und bekommen möchte. Als Modedesignerin strebt sie an, sich selbstständig zu machen und hofft, eines Tages ihre ­Kollektionen in der Vogue und auf Catwalks zu sehen.


Ich will kein Vorbild für jemanden sein, aber ich bin froh, dass ich meinen Weg gegangen bin
Nakissa

Davon ist Nakissa noch weit entfernt. Er möchte erst noch Modedesigner werden. Erste Kleidungsstücke hat er bereits auf seinem iPad designt und plant, diese Designs auch umzusetzen. Den Stoff dafür hat er auch schon: Ghalamkar — ein Baumwollstoff, der mit Naturfarbstoffen per Hand oder Holzblock eingefärbt wird. Das Muster kann man sich wie bei einem Persischen Teppich vorstellen. Doch den eigenen Lebensunterhalt sichern und nebenbei an seinem Traum arbeiten, verlangt starke Nerven und viel Geduld, weiß Nakissa.

Wir sitzen im Café und unterhalten uns über Nakissas Weg in die Mode-Branche. Angefangen hat es, als er über seine großen Geschwister Kanye West kennenlernte — der mittlerweile als antisemitischer Trump-Anhänger in Verruf geraten ist, aber früher ein HipHop-Weltstar war — auch in Sachen Mode. Zuhause konnte Nakissa sein künstlerisches Denken nicht ausleben: »Mein Vater ist ein sehr konservativer Perser. Ich durfte nichts mit Camouflage anziehen, keine Jeans mit Löchern und keinen Undercut tragen.«

Eine Ausbildung zum »bekleidungstechnischen ­Assistenten« brach Nakissa ab, arbeitete aber weiterhin in verschiedenen Bekleidungsgeschäften. »Ich will kein Vorbild für jemanden sein, aber ich bin froh, dass ich ­meinen Weg so gegangen bin, auch wenn er mit mentalen Hürden verbunden war.«

Neben Mode nimmt Musik einen wichtigen Platz in Nakissas Leben ein. Auf Kölner HipHop-Veranstaltungen fühlte er sich allerdings nicht immer wohl: »Die Events sind dafür bekannt, ein Treffpunkt für Mode-Leute zu sein. Alles ist sehr oberflächlich — sehen und gesehen ­werden.« Deshalb hat er im Juni eine (Party-)Reihe ver­anstaltet, bei der die Musik im Vordergrund steht: die »Endless«. Das Problem: »Viele Menschen erwarten, dass künstlerische Arbeit umsonst ist.« Nach einigen unbezahlten Jobs wurde er vor kurzem immerhin für einen Styling-Auftrag bei einem Musikvideo-Dreh erstmals ­bezahlt.


Musik versetzt mich in eine gewisse Stimmung, die für mich verschiedene Ästhetiken widerspiegelt
Lolo

Sommer 2022: Lolo hat sich für unser Treffen ausgerechnet den heißesten Tag des Jahres ausgesucht — die Wetter-App zeigt 39 Grad an. Zum Glück ist es in »The Turf« angenehm kühl. Lolo ist Teil des Teams, das diese Location in der Ägidiusstraße in Sülz aufgebaut hat. Sie haben als junge Kreativ-Schaffende einen Raum in Köln vermisst, an dem verschiedenste Kunstformen einen ­gemeinsamen Platz finden.

Nach ihrem Mode- und Kommunikationsdesign-­Studium wollte Lolo eigentlich ins Ausland, die Pandemie durchkreuzte diesen Plan. Sie blieb in Köln und arbeitete an einer Kollektion. Ein akademischer Abschluss allein ist noch kein garantiertes Ticket in die Mode-Branche, man müsse, sagt sie, einiges an Geld und Arbeit reinstecken. Mit Unterstützung des Landes NRW konnte sie 2020 ihre Fashion Show in »The Turf« umsetzen und — pandemiebedingt — online streamen. Ihr daraus entstandenes Projekt »Sacred506« nennt sie ungern eine Brand, denn: »Ich mache komplexe Design-Arbeit und kein Branding. Ich möchte als Designerin wahrgenommen werden und nicht durch die Sprache einer Brand eingegrenzt sein.« Ihre Designs sind »keine Activewear, aber von verschiedener Sportswear inspiriert.« So hat sie ein Kleid im Stil eines Hochzeitskleids aus Basketball-Mesh entworfen. Für »Sacred506« macht sie viel Rework, das heißt, sie kreiert aus funktionsfähigen Kleidungsstücken ein neues Produkt — zum Beispiel einen Rock aus Tennissocken.

Schon während des Studiums machte sich Lolo als DJ Lolosace in der hiesigen Club-Szene einen Namen: »Musik versetzt mich in eine gewisse Stimmung, die für mich verschiedene Ästhetiken widerspiegelt. Das will ich durch den visuellen Aspekt ergänzen.« Musik und Mode verbindet Lolo auch in ihrer Arbeit als Stylistin für Musikvideos und entwirft Looks für Festivalauftritte befreun­deter Musiker:innen.

Während sie ihren Teil zum Aufbau einer Mode-­Szene in Köln beiträgt, ist ihr wichtig, »eine Art von Zugänglichkeit, Bodenständigkeit und Freundlichkeit« beizubehalten. Zum Abschluss des Jahres 2022 hat Lolo ihre zweite Fashion-Show in »The Turf« organisiert und präsentierte diesmal live vor 170 Leuten ihre neue Kollektion bestehend aus elf Outfits.

Bei mir ist alles handpicked. Ich weiß, was funktioniert
Justin

Ich beende meine Tour in der Fabrik der Edlen, einem Vintage-Laden, den Justin und sein Partner Ferdinando in der Südstadt betreiben. Fabrik der Edlen startete im Juni 2020 als Pop-Up-Store im Geschäft nebenan. Verkauft haben sie damals aussortierte Kleidung und Spenden aus dem Freundes- und Bekanntenkreis. »Am dritten Tag war der Laden leer«, lacht Justin. Mittlerweile kauft er die Ware bei Großhändlern ein, wobei er auf kurze Wege achtet. »Bei mir ist alles handpicked. Ich weiß, was funktioniert. Ich weiß, was cool ist.«

Die Vision von einem eigenen Laden wurde konkret, als er sich im Privaten mehr dem Thema Nachhaltigkeit widmet. Auslöser dafür waren die Eindrücke in seinem Arbeitsalltag im Einzelhandel: »Klamotten, an denen vielleicht nur ein Knopf gefehlt hat, wurden kiloweise weggeschmissen. Das konnte ich nicht mehr vertreten.«

Als weitere Motivation für die Fabrik der Edlen nennt Justin sein Ideal, auch in die Stadtgesellschaft hineinzuwirken: »Es geht hier um viel mehr als um Mode.« In den letzten zwei Jahren hat sich sein Laden zu einem Ort entwickelt, an dem sich Menschen austauschen und gegenseitig inspirieren — »wie ein Bürgerzentrum«. Ein großer Faktor dafür, dass die Besucher:innen sich hier wohlfühlen, ist natürlich Justin selbst. Er möchte ein guter Gastgeber sein: »Fashion hat eine Magie, eine Kraft, die auch ins ­Negative ausschlagen kann.« Von den Konsument:innen wie von den Macher:innen wünscht er sich deshalb, Vorurteile abzulegen. »Das ist so wichtig, damit diese Szene wachsen kann. Ich hab hier eine offene Tür.«

Mittlerweile bewirtschaftet sich der Laden wieder von selbst. So konnte Justin zuletzt einen Pop-Up-Store in Ehrenfeld eröffnen und plant für die Zukunft, Lagerhallen zu mieten, in denen Get-Togethers der jungen ­Kulturszene stattfinden sollen.

Jede Szene braucht ihre Pionier:innen, auch weil kommende Generationen es dann leichter haben. An Kreativität und Talent mangelt es in Köln jedenfalls nicht. Es liegt nun an den Akteur:innen, dieses Momentum zu nutzen, auf sich aufmerksam und ihre Szene zugänglich zu machen, damit sie weiter und stärker wahrgenommen wird. Mode ist Kommunikationsmittel — und vor allem ist Mode Kunst. Als solche muss sie betrachtet und gefördert werden. Sicher wird Köln kein Paris, New York, London oder Mailand. Köln kann aber mehr als Karneval und Kölsch.