Virtuose Montage

Luftkrieg

Sergei Loznitsas »Naturgeschichte der Zerstörung« leistet wertvolle Erinnerungsarbeit

Es ist ein abgründiger, faszinieren­der, gelegentlich schockierender Film des in der UdSSR geborene Sergei Loznitsa. Der Filmemacher mit ukrainischem Pass ist sonst auch für seltsam burleske Spielfilme bekannt, kommt jedoch vom nüchtern realistischen Ansatz der Leningrader Dokumentarfilmschule. Nun fügt Loznitsa seinem umfangreichen Werk von diskret vertonten Archiv-Dokumentarfilmen, die auf der Montage historischen Filmmaterials beruhen, »Luftkrieg — Die Naturgeschichte der Zerstörung« hinzu. So lautet ursprünglich auch der Titel eines Sachbuchs des 2001 verstorbenen Schriftstellers W. G. Sebald, in dem dieser Überlegungen zu Luftkrieg und Literatur entfaltet.

Die bittere ethische Frage, die das Herz des Films ist, heißt: Ist es moralisch vertretbar, die Kriegsführung auf die Zivilgesellschaft auszuweiten, um ein Schurkenregime zu besiegen? Im Krieg gegen das mörderische Nazi-Deutschland wurde sie ganz praktisch aufgewor­fen und auch unter Briten und US-Amerikanern kontrovers diskutiert. Kann ein Film diese Frage beantworten?

Loznitsa erweitert sie noch durch ein filmisches Experiment: Aus deutschem und britischem Filmmaterial zusammengestellt, konfrontiert er sein Publikum kommentarlos und ohne politische Positionierung mit einem Kreislauf aus Krieg und Tod. Statt zwischen den politischen Seiten zu unterscheiden, wählt der Film zwei andere Kategorien. Es geht um das technokratische und propagandistische Bild des Kriegshandwerks: Prozeduren, Abläufe, Rituale sowie deren Darstellungscodes und das Bild nackter Menschlichkeit. Wenn Frauen auf  den Trümmern ihres Lebens stehend in die Kamera blicken. Oder wenn Flüchtlinge ohne Schuhe ihre wenigen Habseligkeiten tragen und auf die Leichen auf den Straßen blicken, während andere achtlos vorbeigehen.

Das ergibt eine besondere, ­filmisch großartige Form der europäischen Erinnerungsarbeit. In einer virtuosen Montage alten Originalmaterials rekonstruiert Sergei Loznitsa den Bombenkrieg ohne platte Schuldzuweisungen, aber eindeutig in seiner Haltung. So gelingt Loznitsa eine düstere Parabel, die zwar nicht direkt auf gegenwärtige Kriege zielt, aber jede Sekunde an diese denken lässt. »Mit Bomben wurde noch nie ein Krieg gewonnen««, heißt es an einer Stelle. Das können wir uns auch für die Zukunft merken.

(The History of Destruction) D/LIT/NL 2022, R: Sergei Loznitsa, 109 Min.