»Exil« will viel — zu viel? © David Baltzer

Zu viel des Guten

Nuran David Calis zeigt »Exil« am Schauspiel Köln

Hinter einer der hohen Bungalow-Fensterscheiben, die die Bühne hermetisch abschließen, steht Oleksii Dorychevskyi: leerer Blick, die Hände fahrig, mühsam kontrolliert, die Stimme gepresst, wie in einem Albtraum: Man ­will schreien, kann es aber nicht.

Er ist Schauspieler, Anfang 30, und berichtet auf Ukrainisch von seiner Flucht, mal stockend, mal sprudelnd. Es ist die schauspielerisch beste Szene des Abends, kein psychologisches Spiel, sondern die nackte Verkörperung ­einer Idee von Verlust, Heraus­gerissen-Sein, Straucheln. Auch Scham klingt an, wenn er erzählt, dass er für seine Familie überleben wollte und nicht im Krieg sterben.

Das trifft einen Nerv bei Publikum und Ensemble, die eigene Scham darüber, sicher zu leben, nicht über die Frage, »bleiben und kämpfen oder gehen« nachdenken zu müssen. Das allein wäre ein abendfüllendes Thema. Es ist aber nur einer von zig ­Aspekten, die Regisseur Nuran ­David Calis in seiner neuen Stückentwicklung »Exil« auffächert. ­Außerdem: die beschämende deutsche Praxis, Geflüchtete aus verschiedenen Nationen mit zweierlei Maß zu bewerten, die tödliche Abschottung der EU, ­Rassismus, Fluchtwege, Rücknahme-Deals mit menschenfeind­lichen Regimen.

Nicht zuletzt geht es auch noch um künstlerisches Arbeiten im Exil. Und um die Selbstgerechtigkeit der Sesshaften, die bei einem Glas Wein wohlig über Krieg und Moral, Panzer und Gaspreise diskutieren, gratis. Leider lässt gerade diese Materialfülle, der Wille, alles in einem Stück zu erklären, viel zu wenig Raum — sowohl für Reflexion, als auch für eine stimmige künstlerische Umsetzung.

Calis und die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki verweben dokumentarisches Material, Live-Videointerviews, Kammerspiel-Szenen und literarische Stimmen zu drei insgesamt leider zähen Kapiteln: Krieg, Flucht und Vertreibung, Trauma und Tabu. In den Spielszenen entsteht zunehmend ein Unwohlsein mit der Darstellungsform, was aber selbst nicht Thema wird. Schade, denn gerade dieser künstlerische Schritt zeichnet viele von Calis Arbeiten aus: offen zu reflektieren, wenn Inhalt und Darstellung im Theater nicht zusammengehen. Am Radikalsten umgesetzt war das in »Herero_Nama«. Darin führte der Streit über das Nachstellen von Kolonialverbrechen auf der Bühne konsequent dazu, das Spiel komplett abzubrechen und stattdessen ­offen miteinander zu reden.