Ist das noch ein Foto?

Die preisgekrönte Künstlerin Alex Grein hinterfragt gekonnt das Medium Fotografie und seine digitalen Auswüchse

Alex Grein, Sie sind die diesjährige Gewinnerin des Landsberg-Preises, der vom Düsseldorfer Kunstpalast vergeben wird und mit 15.000 Euro dotiert ist. Er ist ins Leben gerufen worden, um Künstler*innen, die einst ihren Abschluss an der Düssel­dorfer Akademie gemacht haben, auszuzeichnen.

Es hat mich total gefreut, weil das auch eine Einzelausstellung in der Institution Kunst­­­palast bedeutet. Leider kann die Ausstellung dieses Jahr aus Renovierungsgründen nicht in den Räumlichkeiten des Kunstpalastes stattfinden, sondern wandert ins NRW-Forum. Ich habe dort vor anderthalb Jahren schon ausgestellt. Mit meinen Absichten rea­giere ich am liebsten auf neue Räume. Nun ist der Versuch, den Raum architektonisch umzugestal­ten — damit er sich neu anfühlt.

Können Sie schon verraten, was Sie zeigen wollen?

Ich konzipiere eine Arbeit, die auf die fotografische Sammlung des Kunstpalastes eingeht. Dafür greife ich auf fotografisches Material zurück, das nicht mit Urheber*innen gekennzeichnet ist. Es gibt ein großes Konvolut, das vor einigen Jahren angekauft wurde. Darin befinden sich Fotografien, die nicht zugeordnet werden konnten. Diese sind unter »Anonymous« abgelegt, weil es eben unklar ist, wer sie geschossen hat. Ich versuche mit einer Herangehensweise, die ich auch schon in der Werkgruppe »Pictures on a Screen« angewendet habe, die Geschichte dieser Fotografien neu zu schreiben. Für die fortlaufende Serie »Pictures on a Screen« rufe ich von mir ausgewählte Bilder auf einem digitalen Screen auf und kombiniere diese mit analogen Objekten, die ich auf dem Bildschirm platzie­­re. Das anschließend abfotografier­te Ensemble überführt die beiden Komponenten auf eine gemeinsame Ebene, wobei ich bewusst »fehlerhafte« Bildeffekte zulasse, die auf die Konstruktion des Bildes hinweisen.

Was werden wir noch sehen?

Es werden ebenfalls Videoarbeiten gezeigt, in denen jeweils ein Schmetterling starr in der Mitte des Bildes zu sehen ist. Unter den Fluginsekten zeigt eine Screenoberfläche das Erscheinungsbild der Software Google Earth. Die bildliche Zusammenführung der zwei verschiedenen Ebenen erzeugt den Effekt der fliegenden Fortbewegung des Schmetterlings über unsere von Satelliten erfasste Welt. Startpunkt des jeweiligen Videos ist immer die Perspektive auf den gesamten Erdball. Jeder der vier Falter fliegt in einer Zeitspanne von etwa zehn Minuten zu seinem ursprünglichen Herkunfts­ort. Auf der Reise dorthin werden Orte, an denen wir Menschen unübersehbar in die Natur eingegriffen haben, überflogen. Zu nennen wäre das Braunkohlerevier Garzweiler oder die Tomatenplantagen im spanischen Almería.

Unweit des NRW-Forums, in dem Sie dann ausstellen, liegt die Akademie, wo sie studiert haben. Als allgemeine Frage mal: Was hat Sie als Kölnerin nach Düsseldorf verschlagen?

lacht Ich bin ja »nur« in Köln geboren worden. Ich habe wirklich nicht viele Jahre meines Lebens dort verbracht. Als ich vier Jahre war, sind meine Mutter und ich nach Portugal gezogen. Da blieb ich neun oder zehn Jahre. Und danach zogen wir in die Nähe Düsseldorfs zurück. Für mich ist das also nicht »die verbotene Stadt«. Mich zog es dorthin, weil ich den Wunsch hatte, Fotografie zu studieren.

 

Sie arbeiten auch mit digitalem Material oder found footage, gleich­­zeitig halten Sie an dem Foto-Begriff fest, der sich aber vom klassischen Apparat verabschiedet hat.

Ich glaube, das ist schwierig zu verstehen, weil die erste Assoziation im Alltagsgebrauch bis heute von einem Apparat ausgeht. Da haben wir heute ein Handy, das Fotos schießt — dass da aber etliche Prozesse in dem Device ablaufen, wie Filter und Algorithmen, die automatisch das Bild manipulieren, während es entsteht, das können wir in der Tiefe gar nicht immer mitreflektieren. Gleichzeitig werden an anderen Stellen fotografische Apparate benutzt, die wir wiederum gar nicht auf dem Schirm haben: In der Landwirtschaft werden schon lange Dronen eingesetzt und Kameras in den Traktoren, die dann automatische Sortierprozesse triggern.


Ist Fotografie überhaupt noch Fotografie, oder müsste es eine Idee für neue oder andere Bezeichnungen für unser Feld geben?
Alex Grein

Sie arbeiten einerseits skulptural, wie in den »Photographic Sculp­tures«, in anderen Arbeiten und Werk­zyklen nutzen sie wiederum digitales Material, um sich der Malerei anzunähern. In der Reihe »Terra« nutzten sie Google-Earth-Schnipsel als Texturen, die sie zusammenfügten und damit Landschaftsbilder »malten«.

Ich finde es interessant, dass die Reihe häufig herangezogen wird. Die ist 2010 vor meinem Kunst-Studium entstanden; sie war meine Abschlussarbeit an der Fachhochschule. Seit damals werde ich häufig gefragt, ob das noch Fotografie sei. Für mich ist die Antwort »Ja«! Die gewählten Ausschnitte stammen von Satelliten, die Fotos von der Welt erstellen und bei Google Earth einpflegen. Das sind also Fotos im engeren Sinne. Diese benutze ich dann nur für eine ­digitale Collage. Es ging mir damals noch um einen weiteren Aspekt: Die Landschaften, die ich da erstelle, die rekurrieren auf Landschaftsmalerei und Tourismus-Fotos. Die gehen von einem un­­berührten Ideal aus und reproduzieren das, unter Vernachlässigung dessen, was man in einer Landschaft eben auch findet: ­Brache, Industrie und Stadt.

Reden wir zum Schluss noch über darktaxa-project, einer Küns­tler*in­­­nen-Gruppe, der sie angehören.

Wir haben uns 2019 zusammengefunden. Allen Positionen, die sich zu dartaxa zählen, ist eine Fragestellung gemein: Ist Fotografie überhaupt noch Fotografie — also die Frage, die eben schon aufgekommen ist? Oder müsste es eine Idee für neue oder andere Bezeichnungen für unser Feld geben? Für uns ist darktaxa eine Möglichkeit, sich darüber auszutauschen. Dazu gibt es mittlerweile zwei Publikationen: Das noManifest und die noPublication. Diese entstanden aus unseren Treffen und unseren Auseinandersetzungen mit dem Medium. Wer in die beiden Publikationen reinschaut, merkt schnell, dass es auch viele Problemstellungen gibt, auf die wir selbst keine Antwort wissen. Daher der Begriff »darktaxa«: Er beschreibt in der Taxonomie Tiere, die keiner Art zugeordnet werden können. 

Ausstellung: Alex Grein, »umlauf«, NRW-Forum, Ehrenhof 2, Düsseldorf, 3.3.–10.4.; Di–So 11–18 Uhr, Do 11–21 Uhr, Eintritt frei.

Alex Grein, 1983 in Köln geboren, studierte zwischen 2004 und 2010 Kommunikationsdesign, mit dem Schwer­punkt Fotografie an der FH Düsseldorf. Danach studierte sie bis 2016 an der Kunstakademie in ­Düsseldorf bei Prof. Andreas Gursky. Sie ist heute in pri­vaten und öffent­lichen Sammlungen ­vertreten. Seit 2022 Professorin für Fotografie an der HS Mainz