Orlando Figes: »Eine Geschichte Russlands«

Ein Buchtipp von Felix Klopotek

Das Buch will weder ein wissenschaftliches Standardwerk sein, noch ist es eines dieser schnell zusammengeschusterten Sach­bücher, die uns den Krieg in der Ukraine mit Rückgriffen auf die ­russische Kultur, gar Mentalität erklären wollen. Figes, einer der renommier­tes­ten britischen Historiker, folgt seiner Linie, die er in seiner Darstellung der russischen Revolution meisterhaft ausgearbeitet hatte: Die russische Geschichte ist nicht nach westlichen Maßstäben zu schematisieren — Entwicklung des Kapitalismus, Aufstieg der Arbeiterklasse etc. — , sondern unter der Fragestellung, wie sich das Reich erhält, was es bedroht, wie es sich wieder rekonstituiert. Stalin ist der Erbe der Zaren, kein Führer der Arbeiterklasse, seine Macht konnte er nur unter Rückgriff auf großrussischen Nationalismus sichern. Schon Lenins Rolle lässt sich eher nach religiösen denn politischen Maßstäben bemessen. Gleichzeitig — und gegen den totalen Machtanspruch des Staates — hat es »im Volk« immer wieder einen Messianismus und Gemeinschaftssinn gegeben, der radikal egalitär ist, aber eben nichts mit westlicher Demokratie zu tun hat. Figes erzählt das alles sehr ­anschaulich, fast schon plaudernd. Und landet punktgenau bei Putin — dem ­(bislang) letzten Zar.

Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Klett-Cotta, 448 Seiten, 28 Euro