Schmeckt auch in kurzer Hose: Vegetarisches Tatar, gepickelte Kartoffel, Paprika-Sud im Pottkind

»Das Brimborium verliert an Bedeutung«

In diesen Tagen werden wieder die Michelin-Sterne vergeben. Dabei stellt sich die Frage: Was ist zeitgemäße Spitzenküche?

Wenn der Guide Michelin Sterne vergibt, könnten einige Neueröffnungen in Köln in den Kreis der bislang dreizehn Sterne-Restaurants eintreten, etwa Prunier in der Altstadt, Rays in Sülz und das japanische Ito im Belgischen Viertel. Sehr wahrscheinlich wird das Sahila im Cäcilienviertel von Julia Komp einen Stern bekommen. Dabei ist Komps Küche anders als auf diesem Niveau früher üblich. Die Aromatik ist nicht nur globalisiert, mit Einflüssen aus der Levante und asiatischen Küchen, sondern nimmt auch Ideen der Straßen­küche dieser Regionen auf, die ver­edelt präsentiert werden; da kommt auch mal Schärfe in manchen Gang, vor Jahren an der Spitze ­unvorstellbar.

Die Gourmetküche ist im Wan­del begriffen, eine neue Genera­tion steht in der Küche, nimmt aber auch im Gastraum Platz. Zunehmend prägen gesellschaftliche Debatten eine Sphäre, die bislang nicht nur als exklusiv, sondern auch als hedonistisch galt. Für Fragen zu Klima- und Umweltschutz oder fairen Löhne ist die Kundschaft heute teils hoch sensibilisiert. Damit ändert sich die Vorstellung, was Kochkunst sein kann. Aber es gibt auch junge Sterne-Restaurants, in denen der Wandel unauffällig stattfindet.

»Bestmögliche Produkte sind die Grundlage für alles«, sagt Marlon Rademachers vom La Cuisine Rademacher in Dellbrück. Seine Küche ist von französischer Klassik inspiriert, fußt also auf jener Tradition, die man seit alters her mit Kulinarik verbindet. Rademacher gehört nicht zu jenen, die alles um­krempeln. »Ich koche so, wie ich mich auch selbst ernähren möchte«, sagt er. »Der größte Wandel ist, auch in der Sterne-Küche gesünder zu kochen.« Was heißt das, wenn ohnehin die besten Zutaten serviert werden? »Etwa weniger Kohlenhydrate. Die Zeiten, in denen beim Püree auf ein Kilo Kartoffeln ein Kilo Butter kam, die sind vorbei«, so Rademacher. »Ansonsten: viel mehr Gemüse!«

Gesünder bedeutet auch: we­ni­ger Alkohol. Auch im La Cuisine Rademacher gibt es alkoholfreie Menü-Begleitungen, etwa eigene Limonaden mit wenig Zucker. »Aber wir haben auch gute Low-Alcohol-Weine, die Wein, wie man ihn kennt, sehr nahe kommen«, so Rademacher.

Selbstverständlich steht auch ein vegetarisches Menü auf der Karte. »Komplett vegan kann ich aber nur kochen, wenn das zuvor mitgeteilt wird.« Das sei herausfor­dernd. »Die französische Küche ist butterlastig, auch Crème fraîche gehört dazu.« Die Nachfrage sei aber geringer als nach vegetarischen Gängen. Weniger Fleischkonsum sei ein guter Trend, sagt Rademacher. »Aber gute Langostinos oder Jakobsmuscheln — das sind tolle Produkte, die machen mich glücklich.«


Die Zeiten, in denen beim Püree auf ein Kilo Kartoffeln ein Kilo Butter kam, die sind vorbei
Sterne-Koch Marlon Rademacher

Der Wandel zeigt sich mancherorts oft auch im betont alltäglichen Ambiente. »Aber für mich gehört ein schön eingedeckter Tisch dazu, das erzeugt herzliche Atmosphäre«, sagt Rademacher. »Tischdecken gibt es bei uns auch nicht mehr, aber wir haben schöne Tischläufer, das muss sein.«

Lukas Winkelmann vom Sterne-­Restaurant Pottkind in der Südstadt sieht als Trend vor allem Vegetarismus. Gäste seien bereit, dafür so viel zu zahlen wie für Fleisch und Fisch. »Natürlich braucht man gute Zutaten, aber es geht heute mehr um interessante Zubereitungen und aroma­tische Kombinationen.« Aspekte von Nachhaltigkeit seien längst in der Spitzenküche angekommen. »Die Awareness ist bei den Gästen gestiegen und auch Interesse an guter Küche.« Was bedeutet es, dass viele Gäs­te heute besser informiert sind — oder meinen, es zu sein? »Ich sehe es nur positiv, dass Gäste mitreden können«, sagt Winkelmann. »Halb­wissen will ich das nicht nennen, da ist ehrliches Interesse.« An den Plätzen mit Blick in die offene Küche würden sich oft gute fachliche Gespräche entwickeln. Dazu trage auch die Atmo­sphäre bei. »Bei uns braucht niemand Sorge zu haben, underdressed zu sein. Man kann im Sommer mit kurzer Hose kommen. Etikette und das ganze Brimborium verliert an Bedeutung.« Das sei ebenfalls ein positiver Trend, so Winkelmann. »Vor zehn Jahren wäre das Pottkind sicher nicht vorstellbar gewesen. Aber die Menschen verstehen, dass hier Küche in höchster Qualität serviert wird, auch ohne gestärkte Tischdecken.« Dass es dafür einen Michelin-Stern gebe, sei eine große Ehre, aber man arbeite nicht darauf hin. »Wer es bei uns cool fand, kommt wieder und erzählt es weiter — auch wenn wir keinen Stern hätten.« 

Die Verleihung der Michelin-Sterne am 4. April in Karlsruhe kann man im Internet verfolgen. Kurzlink: t1p.de/j6vgl