Hat zum Glück nicht aufgegeben: Ray Lozano; Foto: Eno de Wit

Facetten der Einsamkeit

Die Kölner Sängerin Ray Lozano erzählt die Geschichte eines Albums, das es beinahe nicht gegeben hätte

Sommer 2020: Die Sonne scheint in ihre Wohnung, im Hintergrund läuft ein Beat im Loop. Ray Lozano schaut auf das Poster über ihrem Klavier und liest: »Tomorrow I might change my life«, die erste Zeile für »Headspace« steht und damit auch der erste Song ihres Debüt-Albums »Pairing Mode«. Wie sich ihr Leben in der Zeit von der Entstehung bis zur Veröffentlichung des Albums verändern wird, ahnt Ray Lozano in diesem Moment noch nicht.

Geboren und aufgewachsen in Köln in einer musikalischen Familie, erlernt Ray früh ihr erstes Instrument, die Blockflöte. Bald tauscht sie diese gegen das Saxofon und lernt auch Klavier. Neben dieser klas­sischen musikalischen Ausbildung interessiert sie sich für das Produzieren. Ray besorgt sich ein Musikprogramm für ihren Laptop, spielt Instrumente ein und baut da­raus Beats. »Jetzt habe ich einen Beat, aber darauf muss irgendwie noch gesungen werden«, denkt sie sich damals und entdeckt so ihr wich­­tigstes Instrument: ihre Stimme.

So produziert Ray Lozano als Jugendliche ihre ersten eigenen Songs im Kinderzimmer, die sie auf Myspace veröffentlicht. Zwar beschreibt sie sich selbst als »intro­vertierte Jugendliche«, gewinnt durch die Musik aber Selbstvertrauen. Nachdem die Songs bei ihren Mitschüler:innen gut ankommen, tritt Ray Lozano zum ersten Mal live auf — in ihrer Schule. Nach dem Abitur verlässt Ray Köln zum Studieren, kommt aber bald wieder zurück. Sie schließt sich verschiedenen Formationen an, versucht, mit Musik ihr Leben zu bewältigen.

Vor drei Jahren im Frühjahr beginnt eine globale Zeit der Ungewissheit, der Angst und der Einsamkeit. Während viele lernen mussten, sich mit sich selbst zu arrangieren, war dies für Ray nichts Neues: »Einsamkeit kenne ich schon mein Leben lang«, erklärt sie. Jetzt wo sie zwangsläufig die meiste Zeit zu Hause verbringt, macht sie sich einen Plan. Jeden Tag wird sie nun wenigstens eine Stunde Musik machen, eine, wie sie sagt, »gemütliche Gewohnheit« — etwas, wofür sie schon ­lange keine Zeit mehr hatte.

Regelmäßig verabredet sie sich mit dem Musikproduzenten Samon Kawamura auf Zoom, woraus ein gemeinsames Projekt entsteht. Kawamura, der schon Alben namhafter deutscher Künstler:innen wie Joy Denalane, Max Herre oder Megaloh produziert hat, ermutigt Ray, ihm ihre Beats zu schicken. Von nun an treffen sich die beiden ein- bis zweimal wöchentlich zu digitalen Sessions. Dabei schätzt Ray besonders, dass Samon ihr viel Raum und Zeit gibt und ihre Meinung ernstnimmt. Die Gelassenheit und Selbstbestimmtheit der Kinderzimmer-Beat-Produk­tion kehren zurück. Im März 2021 ist »Pairing Mode« fertiggestellt: zwölf Tracks und ein Intro.

Die Songs sind Momentaufnahmen von Eindrücken, »wie ein Tagebucheintrag«, beschreibt es Ray und begründet so auch die Kürze der Tracks, der längste misst gerade mal eine Minute und 45 Sekunden. Kaum ist man beim Hören in einem emotionalen Zustand angekommen, treibt es einen zum nächsten. Genau wie im wahren Leben wird nicht jedes Gefühl ausgelotet. Diese wechselnden Gemütszustände übersetzt Ray mit der befreundeten ­Visual Artistin und Grafikdesignerin Parissa Charghi in einen rund zehnminütigen Musikfilm. So wie die Melodien von langsam zu schnell, von sanft zu bedrohlich, von aufmunternd zu bedrückend wechseln, wechseln auch die Farben, ihre Helligkeit und Dynamik. Ray Lozano möchte dabei nicht als Protagonistin im Vordergrund stehen, taucht stattdessen auf und wieder ab. Sie führt uns von Emotion zu Emotion, von Moment zu Moment — auf einer Gratwanderung verschiedener Facetten der Einsamkeit: die Einsamkeit in einer Beziehung, in einer Freundschaft und mit sich.  


»Sie haben zwei bis drei Monate Zeit, um ihr Stimmband wieder in Schwingung zu bekommen, sonst müssen Sie sich einen neuen Beruf suchen«, hört Ray ihren Arzt sagen

Die Gefühlsreise beginnt sanft mit »Push Me«. Nach diesem beinahe melancholischen Einstieg, werden die Melodien konträr zu den Lyrics mal heiterer, dann wieder ruhiger und auf »Blue Monday« sogar gefährlich. So entsteht ein zusammenhängendes Klangbild mit weichen Übergängen zwischen den Melodien, ausgestattet mit unendlichen Details und Rays ruhiger Stimme, die uns zwölf Kurzgeschichten erzählt.

Während sie in »Headspace« verzweifelt nach Hilfe ruft, sehnt sich Ray in »Amsterdam Nights« nach Leichtigkeit. Nachdem sie in »Uninvited Guest« immer wieder von einem geisterhaften Schatten heimgesucht wird, stellt sie nach einer gescheiterten situationship in »Better Off« versöhnlich fest: »I’m better off alone, I’m better on my own«. Für den Track »Typhoon« holt sie sich Unterstützung von Rebekka Ziegler, der Sängerin der Kölner Band SALOMEA. Ihre beiden Stimmen ergänzen sich nicht nur, sondern verschwimmen zu einer sanften, ätherischen Einheit.

Es ist Mitte 2021, das Album fertiggestellt und der Film abgedreht, als Ray Lozano die wohl schlimmste Nachricht erhält, die sich eine Sängerin vorstellen kann: »Sie haben zwei bis drei Monate Zeit, um ihr Stimmband wieder in Schwingung zu bekommen, sonst müssen Sie sich einen neuen Beruf suchen«, hört Ray ihren Arzt sagen, nachdem eine Schilddrüsen-­OP die Lähmung ihres Stimmbands verursacht hat.

In diesem Schockzustand, so sagt sie heute, wollte sie ihr Debüt-­Album und den Film nicht herausbringen: »Jetzt kann ich meine ­eigenen Songs nicht singen«.

Ihr wichtigstes Instrument möglicherweise irreparabel beschädigt: Viel Zeit zum Verarbeiten blieb ihr nicht, die Worte des Arztes waren deutlich. Ray kümmerte sich um Therapie und Logopädie, um das Stimmband zu heilen und zu trainieren. Diesen Prozess dokumentiert und teilt sie auf Instagram. Daraufhin erreichen sie unzählige Nachrichten von Sänger:innen, die ebenfalls mit Stimmtherapeut:innen und Logopäd:innen zusammenarbeiten, dies aber aus Angst unprofessionell zu wirken, für sich behalten: »Nach außen macht es den Eindruck, man hätte sein Instrument nicht unter Kontrolle,« sagt sie.

Nun, da wir wissen, dass alles gut ausgegangen ist, können wir vorsichtig sagen: Alles kommt, wie es kommen soll — es sollte wohl so sein. Während sich der Album-­Release verzögert, ergibt der Kontakt zum Kölner Musiklabel Melting Pot, das ab Sommer 2022 an Ray Lozanos Seite steht.

Mit dem vor wenigen Wochen erschienenen »Pairing Mode« ist Ray Lozano ein Debüt-Album »für Menschen, die sich mit der Musik auseinandersetzen und darin ihr Gefühl finden möchten« gelungen. Ein Album aus zwölf Kurzgeschich­ten, die alle zusammen eine  größere ergeben, erzählt von einer Musi­ke­rin, die mit ihrer sanften Stimme und den detailverliebten Melo­­dien künftig auf Playlisten zwischen Künstler:innen wie Cleo Sol, Loyle Carner und Little Simz Platz zu finden sein sollte.

Ray Lozanos Debüt-Album »Pairing Mode« ist Anfang März erschienen und ist auf den gängigen Streaming-Plattformen zu finden. Infos zu kommenden Releases und Shows erhält man über Instagram: @raylozanoxoxo und @melting_pot_music