Wachs doch endlich!

Über vollgestellte Fensterbänke und das Warten auf den Frühling

Schon als der Schneeregen noch auf die Straße platscht, stehen bei uns die Saatschalen auf der Fensterbank. Darin ist Gemüse ausgesät, das wir in diesem Jahr ernten wollen, und das oft sehr schöne Namen trägt, wie der Porree Blaugrüner Winter, die Markttomate San Berao und der Römersalat Kasseler Strünkchen. Erst wagen sie sich kaum an die Oberfläche. Um die mickrige Märzsonne zu verstärken, kommen Pflanzenlampen zum Einsatz, die zwölf Stunden am Tag die hellgrünen Triebe bescheinen. Wir gaukeln den Pflänzchen vor, der Frühling sei längst ausgebrochen, weil wir ihn selbst nicht mehr erwarten können. So wachst doch endlich! Wir wollen alles grünen und blühen sehen!

Auch im Flur stehen Anzuchtschalen, für Keime, die es kälter brauchen, wie der Feldsalat. Weitere im Schlafzimmer. Man muss aufpassen, morgens beim Aufstehen nicht versehentlich den Fuß in die Anzuchterde zu stecken. Noch will der Salat aber nicht rauskommen. Der Anbieter, von dem wir unser Saatgut beziehen, empfiehlt in solchen Fällen »die Aussaatschale immer mal wieder in den Kühlschrank und anschließend warm« zu stellen. Wir befolgen auch diesen Rat, es soll nichts unversucht bleiben.

Es gilt jetzt eine neue Gartenordnung für die Schrebergärten dieser Stadt. Sie soll das Gärtnern ökologischer und ­naturnäher machen. Ich bin nicht sicher, wie naturnah sich unsere Paprika-Keimlinge fühlen, aber sie gedeihen hervorragend. Wir haben ihnen ein Gerüst gebaut, so dass sie quasi über dem Heizkörper schweben, denn sie mögen es warm.  

Es ist schön, wenn man die sorgsam gehegten Pflänzchen endlich nach draußen ins Beet setzen kann. Es kostet aber auch Überwindung. So ähnlich muss man sich fühlen, wenn die eigenen Kinder von zu Hause ausziehen. Schaffen die das, so ganz alleine? Wird ihnen auch nichts zustoßen? Am nächsten Tag stellt man fest, dass ein Tier die Beete zerwühlt hat, vielleicht der Fuchs, der in unserer Gartenanlage wohnt. »Da kriegt man doch die Wut auf den«, sagt der Nachbargärtner, der gerade vorbeikommt. Ja, man kriegt Wut. Andererseits, der Fuchs hat wieder mehr Platz geschaffen für all das Grünzeug, das noch zu Hause in Schalen und Töpfen auf der Fensterbank wartet. Wie hätte das sonst alles ins Gemüsebeet passen sollen? Das Gute ist: Der Frühling fängt gerade erst an.