Regional isst besser

Längst hat der Rat der Stadt den Umzug des Großmarkts und die Wiedereröffnung als ­Frischezentrum in Marsdorf beschlossen. Doch das Projekt stockt. Das gefähr­det nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Ernährungsstrategie für Köln

Als man die Pläne fasste, war Henriette Reker Sozialdezernentin der Stadt Gelsenkirchen, Christoph Daum trainierte den FC und Köln kämpfte um den Rang einer »Millionenstadt«: 2007 stimmte der Rat der Stadt für den Umzug des Großmarkts nach Marsdorf, an dessen Standort in Raderberg das Quartier »Parkstadt Süd« entstehen sollte.

Passiert ist seither wenig. Wann der Großmarkt als »Frischezentrum« in Marsdorf er­öffnen wird? Wer es baut und betreibt? Ob es über­haupt beim Standort Marsdorf bleibt? ­Alles unklar. Die Folgen betreffen nicht nur die Beschäftigten des Großmarkts: Scheitert der Umzug, könnte das das Aus für die Kölner »Ernährungs­strategie« bedeuten. Sie soll gewährleisten, dass die Menschen in Köln künftig mit gesunden Lebensmitteln aus der Re­gion versorgt werden — nicht nur beim Discoun­ter und im Bio-Supermarkt, sondern auch in der Kita, Mensa oder Betriebskantine.

Dass es kaum vorangeht, liegt vor allem daran, dass der 1. FC Köln mit seinem Leistungszentrum, das der Klub ursprünglich im Äußeren Grüngürtel bauen wollte, auf die knapp 25 Hektar große Ackerfläche in Marsdorf ziehen will. Einen Ratsbeschluss gibt es nicht, doch im Hintergrund laufen Planungen, dem FC auf dem 15 Hektar großen Teil des Areals südlich der Toyota-Allee eine neue Heimat zu geben. Dem Großmarkt blieben dann bloß zehn Hektar. So hatten es Grüne, CDU und Volt Ende 2021 beschlossen. Wie ungewiss die Zukunft des Großmarkts ist, zeigte im Januar, dass die Stadt Köln eine »europaweite Markterkundung« startete — zur »Klärung spezifischer Fragen hinsichtlich der Planung, des Baus sowie des Betriebs und gegebenenfalls der Finanzierung des Frischezentrums«, heißt es auf Anfrage bei der Stadt Köln. Es sei die »Grundlage für alle weiteren Entscheidungen«.

Bei den Händlern wächst der Unmut. »Der Rat hat vor einer Ewigkeit einen Beschluss ­gefasst, aber der wird nicht umgesetzt«, sagt Michael Rieke, Sprecher der IG Großmarkt, die rund 160 Händler und deren knapp 2000 Angestellte vertritt. Zwar erneuerte die Politik Ende 2021 auch ihr Ziel, »das Frischezentrum in Marsdorf zügig zu entwickeln« und den Händlern Planungssicherheit zu geben — doch die fühlen sich hingehalten. Der geplante Umzug Ende 2025 sei längst realitätsfern, so Rieke. Das sei allen Beteiligten klar, nur öffentlich sagen wolle es niemand.

Rieke kritisiert, dass sich die Verwaltung daran aufhängt, dass der Großmarkt vermeintlich defizitär wirtschafte. Rieke bezweifelt, dass ein modernes Frischezentrum nicht schwarze Zahlen schreiben kann. »Und wenn die Stadt eine Oper betreibt, muss sie ja auch davon ausgehen, dass sie da Geld reinbuttert.« Dass es stattdessen Überlegungen gibt, Bau und Betrieb einem Investor zu überlassen, hält Rieke für bedenklich. »Es ist sehr schwierig, ein Kompetenzzentrum für Lebensmittel ohne städtische Beteiligung ans Laufen zu bekommen.« Zwar treibt die Händler vor allem ihre unternehmerische Existenz um, Michael Rieke sagt aber auch: »Verwaltung und Politik haben anscheinend nicht verstanden, dass der Großmarkt ein, wenn nicht der entscheidende Baustein für die Ernährungsstrategie ist.«


Verwaltung und Politik haben anscheinend nicht verstanden, dass der Großmarkt ein entscheidender Baustein für die Ernährungsstrategie ist
Michael Rieke, IG GroSSMARKT

Solche Überlegungen teilt man beim Ernährungsrat für Köln und Umgebung. Der Verein, 2016 gegründet, wird von der Stadt Köln gefördert, die Gründungsfeier fand im Histo­ri­schen Rathaus statt, OB Henriette Reker sprach. Von allen Seiten gab es Applaus für die Initia­tive. Gutes Essen, klimaneutrale Logistik, ­Unterstützung kleiner landwirtschaftlicher Betriebe — wer wäre dagegen?

Mitte 2019 formulierte der Ernährungsrat »Impulse für die kommunale Ernährungswende«. In dieser »Ernährungsstrategie« spielt der Erhalt des Großmarkts als Frischezentrum eine entscheidende Rolle. Dort sollen künftig mehr regionale Lebensmittel angeboten werden, mit klimaneutraler Logistik. Zusätzlich soll es sogenannte Food Hubs geben. Der Rat der Stadt hat das Papier sogar zur Leitlinie ­seiner Ernährungspolitik erklärt. Das ist jetzt knapp drei Jahre her.

In der gemeinsamen Ernährungsstrategie der Stadt Köln und des Ernährungsrats geht es darum, Köln mit besseren und regionalen Lebensmitteln zu versorgen — bei der Verpflegung in Kitas und Schulen, in Krankenhäusern und Betriebskantinen, aber auch auf den Wochenmärkten. Zugleich würde das die regionale Landwirtschaft unterstützen. »Auch das wäre die Stärke eines Frischezentrums: dass es einen Marktzugang für kleinere Betriebe schafft. Sowohl für die, die Waren anbieten, als auch für die, die Waren abnehmen — eben nicht nur große Schulmensen und Krankenhauskantinen, sondern auch Gastronomien und etwa Kitas«, sagt Clara Dorn vom Ernährungsrat. Derzeit gebe es keine Abteilung für Bio-Lebensmittel am Großmarkt. In einem Frischezentrum könne zudem deutlich mehr regionale Ware umgeschlagen werden und eine Weiterverarbeitung stattfinden. Wertschöpfungsketten sollten so in der Region bleiben.

Aber davon ist in der Politik schon lange nichts mehr zu hören. Schon gar nicht von Food Hubs, etwa im Bergischen Land für Fleisch und im Linksrheinischen für Obst und Gemüse. Dabei wird diese Idee auch in der Ernährungs­strategie genannt. Food Hubs wären Orte, »an dem Produzierende in einer nachhaltigen Logistik Waren anliefern, mit denen von dort dann die großabnehmenden Strukturen beliefert werden«, so Clara Dorn. »Ware würde kommissioniert, aber auch Kleinstmengen kumuliert, um etwa dem Bedarf einer Krankenhauskantine zu genügen.« Zudem könnten Arbeitsschritte durchgeführt werden, die weder schon auf dem Hof noch erst in der Küche stattfinden können. Im Idealfall ist das auch in einem di­gitalen Rechnungswesen vereinfacht, sodass nicht jeder Restaurantbesitzer mit drei verschiedenen Höfen abrechnen muss. Die Ideen klingen vielver­sprechend — aber von all dem ist Köln derzeit weiter entfernt denn je.

Dennoch sagen die Grünen, stärkste ­Fraktion im Rat: »Gut vorstellbar wäre, dass das ­Frischezentrum nicht nur ein Handelsplatz, sondern auch ein Erfahrungsort für ­Lebensmittel und Ernährung für die Stadt­gesellschaft ist, zum Beispiel in Verbindung mit gastronomischem Angebot.« So teilt man es auf Anfrage mit, sagt aber auch: »Mit Blick auf die formulierten Ziele gibt es noch viel zu tun.« Doch habe es bereits »kleinere erfolg­reiche Maßnahmen« ­gegeben. Man verweist auf ein Kita-Projekt, bei dem es um »Bildung zum Thema nach­haltige Ernährung«, »Ver­sorgung mit regional hergestellten Lebens­mitteln« und »Stärkung der regionalen Er­zeuger:innen« gehe.