Erzählt ohne Bevormundung: Lisa Roy

Der Traum vom Leben südlich der A 40

Die Kölner Autorin Lisa Roy erzählt in ihrem Debüt ­»Keine gute Geschichte« fesselnd und vielschichtig

 

Arielle Freytags Job ist es, gute Geschichten zu erzählen. In einer Düsseldorfer Werbeagentur ist sie dafür verantwortlich, das Leben ihrer Kunden mit den richtigen Bildern zu versehen. Arielle selbst hat es aus dem armen Essener Viertel Katernberg, gelegen nördlich der Autobahn A 40, ins südlich davon gelegene Düsseldorf »geschafft« und sich mit Anfang dreißig ihr Leben zwischen Partys, Alkohol und Dates eingerichtet. Als ihre Großmutter stürzt, muss sie unerwartet nach Essen zurück. Zur selben Zeit werden zwei junge Mädchen aus Katernberg entführt und Arielle, deren Mutter verschwand, als sie sechs Jahre alt war, fühlt sich plötzlich wie in einem vergangenen Leben und begibt sich erneut auf die Suche nach Antworten. Zentral für diese Suche ist die Konfrontation mit ihrer Großmutter, bei der Arielle aufwuchs und die ihr, im Gegensatz zu ihrer Mutter, nie mit echter Zuneigung begegnet ist.

Mit »Keine gute Geschichte« legt die Brinkmann-Stipendiatin Lisa Roy ihr Romandebüt vor. Ihre Leserinnen und Leser nehmen ­direkt an den Gedanken und Erlebnissen der Erzählerin teil. Geschickt flicht Roy Hinweise auf Arielles Kindheit in ihre Dramaturgie ein, so dass ein Sog entsteht, dem man sich kaum entziehen kann. Arielle tritt zunächst hart und spröde auf, wird aber im Laufe der Geschichte immer vielschichtiger gezeichnet. Bald ist klar, dass ihrer Sehnsucht nach Klärung die für Arielle allmächtige Großmutter Heidrun entgegensteht. Heidrun, die sich selbst wie die indische Gottheit Varuna nennt, verschanzt sich hinter kalenderspruchartigen Sätzen. Arielle will nicht glauben, dass ihre Mutter sie einfach verlassen hat, und tatsächlich häufen sich die Hinweise darauf, dass Heidrun ihr etwas verheimlicht: Da ist Arielles früherer Mathematiklehrer Wolfgang, der eine eigen­artige Bemerkung fallen lässt, oder die Begegnung mit einer Nachbarin, die sich über die verschwundene Mutter erbost.

»Keine gute Geschichte« ist ein komplexer Roman über die Suche nach Zugehörigkeit, eine Gesellschaftsstudie, eine Mutter-Tochter-Erzählung. Von Kitsch und Verallgemeinerungen ist der Text weit entfernt, denn er verhandelt seine Themen weitgehend kommentarlos und so organisch, dass die (Nach-)Empfindungen während des Lesens selbst entstehen können.

Lisa Roy: »Keine gute Geschichte«, Rowohlt, 240 Seiten, 22 Euro