Brutalistisches 3D-Puzzle: St. Johannes XXIII.

Sakraler Kirchenbeton

Kölner Kunstwerke neu entdeckt — St. Johannes XXIII. in Sülz

Sie könnte als überdimensionierte Freiplastik im öffentlichen Raum durchgehen. Dort, im Dunstkreis des Uni-Viertels, direkt am Anfang des Stadtteils Sülz, duckt sich zwischen aufstrebenden Gebäuden eine geometrisch wuchernde Formation aus Sichtbeton. Sie  bietet mit dem etwas an gotisches Strebewerk erinnernden, zugleich irgendwie anarchischen Konzert aus Blöcken und Wänden den benachbarten, glatt-faden Fassaden, der nach  ihr errichteten Gebäude ringsum, die Stirn.

Dabei handelt es sich bei dem ungewöhnlichen Bauwerk um ein Gotteshaus, um die Kirche der katholischen Hochschulgemeinde Köln — St. Johannes XXIII. Sie ist gut erhalten und ein Schmuckstück brutalistischen Bauens in Köln. Hinzu kommt bei der 1968 eingeweihten Kirche ihre besondere Baugeschichte: Sie entstand aus der Kooperation des Architekten Heinz Buchmann aus Dinslaken und dem Bildhauer Josef Rikus aus Paderborn, der sich von Strömungen der Moderne, unter anderem vom Expressionismus und vom Kubismus, beeinflussen ließ.

Entsprechend verblüffend für einen Kirchenbau ist die Klarheit des rechtwinkligen, aber relativ niedrigen Versammlungsraumes — vor allem bei Sonnenschein, wenn durch wandgreifende Fensterfronten mit bunt abstrakter Bleiverglasung Licht einfällt und sanft leuchtende Farbspuren auf den roten Ziegelsteinboden zeichnet. Das aus der Raummitte wachsende Ensemble aus Sichtbetonpfeilern und Holzplastik, das baumartig in die Höhe rankt, markiert als Tabernakel den Kirchenraum. Die bauplastische Formation bildet daher das Zentrum eines Gottesdienstes, um den sich die Gläubigen ringsum auf naturfarbenen, hockerähnlichen Stühlchen platzieren. Automatisch spielt sich dort ein demokratischeres Procedere ab, als immer noch in den meisten christlichen Kirchen. Zusammenfeiern statt Frontalunterricht.

Zu dieser im Übrigen barrierefreien Oberkirche gehört eine Unterkirche, sprich eine Krypta, in der jener »Tabernakel-Baum« aus dem Herzen der Oberkirche verwurzelt ist. Die soziale Dimension dieses Gebäudes entspricht somit ganz dem in den 50er Jahren begründeten Brutalismus. Denn Brutalismus ist Haltung und distanziert sich durch den Einsatz von Béton Brut vom weihevollen Nimbus und Dekor herkömmlicher (katholischer) Sakralarchitekturen.