Nur scheinbar harmonisch: »Burning Days« von Emin Alper

Im wilden Osten

Tüpisch Türkisch zeigt eine zwischen Stadt und Land gespaltene türkische Gesellschaft — aber steckt vielleicht ein anderer Konflikt dahinter?

»Lass dir den Stadtjungen austreiben«, wird Emre von seinen neuen »Freunden« vorgeschlagen — der Satz kommt kumpelhaft daher, lässt sich aber als Drohung verstehen. Der sehr junge Staatsanwalt aus der großen Stadt ist neu im Provinzort Yanıklar in Zentralanatolien. Er ist eingeladen zu einem Abendessen im Garten des Bürger­meisters, bzw. wie sich herausstellt von dessen Sohn, einem Rechtsanwalt, der örtliche Zahnarzt gesellt sich hinzu, eine Musikgruppe, eine Tänzerin. Der Rakı fließt, es wird nicht wirklich ein feucht-fröhlicher Abend — aber auf jeden Fall ein sehr folgenreicher.

Emin Alper gelingt es in »Burning Days« meisterhaft, die Spannungen hinter der Fassade der Gastfreundschaft und Ehrerbietung fühlbar zu machen. Denn in Wahrheit stehen sich hier Stadt und Land feindlich gegenüber. Der ehrgeizige Staatsanwalt will die Ursachen für die riesigen Senklöcher erkunden, die in Yanıklar und Umgebung manchmal ganze Häuser verschlucken. Sind es einfach nur Naturkatastrophen, die die Region schon immer heimgesucht haben, oder Folgen der Grundwasserentnahme einer wachsenden Gemeinde? Das Wasser ist knapp in der wüstenhaften Gegend und ein Politikum, besonders kurz vor der Wahl eines neuen Bürgermeisters — wem das bekannt vorkommt: Nicht nur in dieser Hinsicht gibt es Ähnlichkeiten zwischen »Burning Days« und Roman Polanskis Meisterwerk »Chinatown« (1974).

Der Film ist auf jeden Fall eins der Highlights der 17. Ausgabe der Filmreihe Tüpisch Türkisch, die unter dem Eindruck des katastrophalen Erdbebens vom 6. Februar dieses Jahres in der Region steht, aber auch der anstehenden Präsidentschaftswahlen im Mai. Wenn sich in Emin Alpers Film herausstellt, dass der Bürgermeister des Ortes ein Gutachten hat fälschen lassen, damit das Abpumpen des Grundwassers für unbedenklich erklärt wird, dann sind die Parallelen zu den Erkenntnissen in der Folge des Erdbebens geradezu gespenstisch. Zwar lässt sich die Politik nicht verantwortlich machen für die Naturkatastrophe, aber viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn die durchaus strengen türkischen Baugesetze nicht immer wieder durch Korruption und Amnestien unterlaufen worden wären.


Emin Alper gelingt es in »Burning Days« meisterhaft, die ­Spannungen hinter der Fassade der Gastfreundschaft und Ehrerbietung fühlbar zu machen

Bemerkenswert ist, dass in »Burning Days« die Hoffnung ausgerechnet auf einen Vertreter des Staates gesetzt wird, der wie ein Sheriff im Western versucht, das Gesetz in eine abgelegene Gegend zu tragen, in der andere Regeln gelten. Ähnliches lässt sich auch von »Black Night« von Özcan Alper sagen. Hier ist es der Park Ranger Ali, der in eine abgelegene Berggegend versetzt wird und lernen muss, dass die Gesetze der Zentralregierung dort nicht unbedingt gelten. Als er verbotene Fallen in den Wäldern einkassiert, gerät er schnell mit den Einheimischen in Konflikt. Sie beäugen den hipsterhaften Ali sowieso misstrauisch, nicht zuletzt aufgrund seiner Vorliebe für afrikanische Musik — in deren Augen »Kannibalenmusik« — und seine wenig machohafte Art. Wie auch in Bezug auf Emre in »Burning Days« geht schnell das Gerücht um, Ali sei schwul. Und wie in »Burning Days« wird auch hier die Jagd zum Symbol für eine archaische Gesellschaft, in der Männer noch Männer sind und Frauen nichts zu sagen haben. So ähnlich ist es auch in einem dritten Film aus dem Programm, »Snow and the Bear« der Regisseurin Selcen Ergün, in dem eine Krankenschwester aus der Stadt in ein abgelegenes Bergdorf kommt.

Sind diese Filme also Ausdruck einer Spaltung der türkischen Gesellschaft entlang der Stadt-Land-Grenze — so wie im US-amerikanischen Horrorfilm immer wieder liberale Städter von Hinterwäldlern im Süden des Landes dahingemetzelt werden? Dieser Aspekt ist sicher vorhanden, muss aber umgekehrt nicht bedeuten, dass die Filmemacher*innen ihr Vertrauen wirklich in Justiz oder Ordnungshüter setzen. Alle Filme wurden vom türkischen Kulturministerium gefördert, was direkte Kritik an der Zentralgewalt schwierig macht. Die Protagonist*innen der Filme nehmen ihren Kampf gegen dezidiert lokale Machtträger auf, doch die Botschaft lässt sich durchaus auf größere Zusammenhänge übertragen. Viel Hoffnung auf Änderung bieten die Filme am Ende allerdings nicht — »Chinatown« lässt schön grüßen.

Infos: tuepisch-tuerkisch.de, ­kurdischefilmtage.de