Turnen, koksen, Abführtee trinken: Sandra Hüller, Susanne Wolff © DCM / Bernd Spauke

Sisi & Ich

Frauke Finsterwalder zeigt eine wirklich andere Kaiserin Elisabeth von Österreich

Es steht stets dumm da, wer nach kurzer Zeit den zweiten Film zu einem Sujet präsentiert, da kann er noch so brillant sein — es hilft nichts, jemand anderes war schneller im Rennen um die Aufmerksamkeit. Dabei ist Frauke Finsterwalders »Sisi & Ich« so viel besser als »Corsage«, Marie Kreutzers letztjähriger Versuch, Elisabeth von Österreich filmisch gerecht zu werden.

Kreutzer suhlt sich in der Vi­sion von Kaiserin Elisabeth als Opfer des Patriarchats — nicht ganz falsch, aber zu kurz gedacht und billig. Bei Finsterwalder — und Christian Kracht, der das Drehbuch mitschrieb — ist Sisi alles mögliche: zum gut gelaunten Sadismus neigende Herrin eines kleinen privaten Reichs, entfremdete Gattin, Magersüchtige, experimentierfreudige Hedonistin, Freundin der Außenseiter, Spötterin der Macht und ihrer so verhassten Zeremonien und Rituale. Letzteren unterwirft sie sich aber auch der Staatsraison halber und wird von ihnen unterworfen — zu den hefti­geren Momenten des Films gehört Elisabeths Vergewaltigung durch ihren Ehemann Franz Joseph. Während die »Corsage«-Elisabeth auch dank der Herzlichkeit Vicky Krieps’ die Romy-Schneider-Sisi-Illustrierten­­klischees ins Hier und Jetzt verlängert, offeriert die etwas herbe Susanne Wolff hier eine wirklich andere Sisi: eine, die durch ihre Exzentrizität wie Ambivalenz definiert ist und bei der man sich die ganze Zeit die Frage stellen kann: Will ich mich ihr ausliefern?

So wie es die eigentliche Hauptfigur des Films — das »Ich« im Titel — tut: Irma Gräfin Sztáray von Sztára und Nagy-Mihály, eine Ungarin. Bis auf wenige Brüche wird die Geschichte aus Irmas Perspektive erzählt, beginnend mit ihrer Anstellung bei Hofe, zu der ihre Mutter sie quasi schleift und wo sie von ihrer Vorgängerin auf ihre physischen Qualitäten hin untersucht wird wie ein Stück Vieh. Irma, gespielt von Sandra Hüller, gewöhnt sich mit der Zeit ans Turnen, Koksen und Abführteetrinken, findet Gefallen an ­Erzherzog Viktor, dem schwulen, dandyhaften Schwager Elisabeths, lernt auch immer mehr die Freuden weiblicher Zuneigung schätzen. Als Sisi sie aus ihrer Entou­rage entfernen will, bricht Irmas Welt zusammen — so sehr, dass sich Finsterwalder traut, eine gänzlich unerwartete Vision des absurden Attentatstods der Kaiserin zu inszenieren.

D 2023, R: Frauke Finsterwalder, D: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Stefan Kurt, 132 Min.