Feinnervig: Gérard Depardieu

Maigret

Patrice Leconte reduziert Simenons berühmten Kommissar auf seine Essenz

Kann es wirklich sein, dass »Maigret« die erste lokale Kino-Adaption eines Romans um George Simenons legendären commissaire ist seit Alfred Weidenmanns bun­desdeutsch-österreichisch-französisch-italienischer Koproduk­tion »Maigret und sein größter Fall« (1968)? Das ist fast schon beängstigend — vor allem, da Simenons »Non-Maigrets« ja dauernd und durchaus mit Erfolg verfilmt werden. Sind etwa die Schatten der beiden TV-Maigrets, Jean ­Richard und Bruno Cremer, derart lang, dass sich ein solches Unterfangen verbot?

Wie auch immer: Nun ermittelt Jules Maigret endlich wieder im Ki­no, verkörpert diesmal von Gérard Depardieu, inszeniert von Patrice Leconte, für den dieses Werk auch eine Art Comeback ist, beendet er damit doch eine rund acht Jahre lange Schaffenspause. Simenon war für Lecontes Karriere wichtig, gelang ihm doch der Durchbruch vom Boulevardkomödien-Herstel­ler der 70er und 80er Jahre zum internationalen Regiestar mit der so eleganten wie beunruhigenden Adaption eines Non-Maigret, »Die Verlobung des Monsieur Hire« (1989). Von da an gehörte Leconte für die nächsten rund 35 Jahre zu den meistbeschäftigten und am wenigsten vorhersehbaren Filmemachern Frankreichs.

Nominell ist der Film eine Adaption von »Maigret und die junge Tote« (1954), allerdings ist von dem Roman nur wenig übriggeblieben, könnte man meinen: Eine junge Frau in Abendkleid wird tot aufgefunden, der Kommissar ermittelt. Leconte und sein Drehbuchautor Jérôme Tonnerre haben aus dieser Ausgangssituation, einigen Figuren, Motiven und Lokalitäten des Romans die Essenz der Figur Maigret und ihrer Welt herausgeholt — ein Maigret, bei dem es mehr um Schuld und die relative Unmöglichkeit von Sühne geht als um Gerechtigkeit.

Depardieu spielt seinen Maigret mit einer introspektiven Feinnervigkeit, die man nicht mehr von ihm erwartet hätte — statt ­saftigen Körperspiels verhaltene Gesten, diskrete Blicke und nur wenige kurze Momente mit emotionalen Ausbrüchen. Was perfekt passt zu Lecontes auf das Allerwesentlichste reduzierte, oft verstohlen architektonisch-geometrische Gestaltung des Films, die wiederum nichts gleicht, was er bislang gemacht hat — und die auf ihre Weise den schlank-schlichten Stil Simenons widerspiegelt.

F 2022, R: Patrice Leconte, D: Gérard Depardieu, Jade Labeste, Mélanie ­Bernier, 88 Min.