Dem Bühnenkostüm wohnt das theatrale Element des Rollen-Wechsels inne. Es verkörpert den Akt des Spielens »als ob«, des »In die Rolle«-Formens — der Akt des Anlegens des Kostüms markiert den Spielbeginn. Willkürlich oder beliebig ist es niemals, umso mehr überrascht es, dass der Bühnenbekleidung so wenig Bedeutung in der öffentlichen Besprechung von Theater-, Tanz- und Opernstücken beigemessen wird. Die Kostümbildnerin Susanne Stehle will dies nun ändern und hat ein Buch geschrieben: »Die Macht des Kostüms« heißt es, mit dem Untertitel »Zur textilen Verkörperung der Bühnenfigur«.

Auf über 200 Seiten beleuchtet sie, wie sich die Bühnenbe­klei­dung von Darsteller*innen auf der Bühne über die Jahrhunderte veränderte, hin zu einem »komplexen Ausdrucksmittel mit ­eigener visueller Sprache«. Denn ein Bühnenkostüm ist immer mehr als bloße »Verkleidung«. »Das Bühnen­­­kostüm visualisiert die Figur für den Zuschauer, prägt die Ästhetik der Inszenierung und hilft dem Darsteller beim Ein­finden in die Rolle«, schreibt ­Susanne Stehle. »Das Kostüm, das einzige der gestaltenden Mittel ­einer Inszenierung, das direkt am Körper des Akteurs wirkt, be­kleidet, ja formt ihn und lässt ihn ­seinen Bühnencharakter fühlen.«

Warum wird dennoch so selten in Rezensionen und Theaterkritiken auf das Bühnenkostüm eingegangen? Aus »Versatzstücken«, wie Susanne Stehle schreibt, habe sie sich dem Thema aus theaterwissenschaftlicher Perspektive genähert, denn an profunder, aktueller Fachliteratur mangele es, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Welchen Traditionen folgt das Bühnenkostüm im Laufe der Theatergeschichte? Auf welche direkte Verwandtschaften mit alltäglichen Bekleidungsgewohnheiten lässt es Schlüsse ziehen? Worauf stützt sich überhaupt die große emotionale Bedeutung, die Dichte an Informationen, die der Bekleidung als solcher und dem Bühnenkostüm im Speziellen inne­wohnt?