»Nach dem Ende«: Bestatter*innen performen das Danach; Foto: Theresa Mielich

Geh dahin, wo die Angst ist

Das inklusive Theaterfestival Sommerblut fordert auf, die eigene ­Komfortzone zu verlassen

Manchmal gibt es noch immer diese Momente, die sich abgrenzen vom Alltag der Pandemie oder mittlerweile Post-Pandemie und in denen man spürt, dass etwas vorbei gegangen ist. Wie an jenem Mittwochvormittag, als wir uns nach drei Jahren digitalen Zusammenkünften zum ersten Mal endlich gegenüberstehen: Im Büro des Sommerblut-Festivals, frisch ge­backene Zimtschnecken auf dem Tisch und kein Bildschirm, der uns trennt. Festival-Leiter Rolf Emmerich, die künstlerische Leiterin Anna-­Mareen Henke und Pressesprecherin Hannah Lina Schneeberger haben eingeladen, um das Programm der neuesten Ausgabe von Sommerblut vorzustellen, ­ ein inklusives Theater- und Per­formance-Festival, das im Mai verschiedene Spielstätten und Plätze in der Stadt bespielen wird.

»Wir haben uns noch nie zuvor so schnell für ein Thema entschieden wie in diesem Jahr«, erzählt Rolf Emmerich. »Für uns alle lag das einfach sehr klar auf der Hand.« Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, der sich immer weiter zuspitzende Klimanotstand: »Geh dahin, wo die Angst ist« lautet das Motto des Sommerblut-Festivals in diesem Jahr. »Es geht um die Angst vor der Zukunft, aber auch um die Angst vor dem Anderen, vor der Abweichung von der Norm«, erklärt Anna-Mareen Henke. »Wir wollen uns und unser Publikum mit verschiedenen Programmpunkten und diversen Inhalten dazu auffordern, die eigene Komfortzone zu verlassen und Neues kennenzulernen.« Oder kurz gesagt: »Raus aus der Bequemlichkeit!«

Dafür lädt das Sommerblut ein, an dystopische Orte zu reisen, Barrieren entgegen zu arbeiten und die eigene Sicherheitskultur zu hinterfragen. »Den Auftakt macht ein viertägiges Symposium in der TanzFaktur zu Berührungsängsten und Unsicherheiten in der Konfron­tation mit Unbekanntem«, erzählt  Henke. »Don’t Come Closer« lautet der Titel, auf der Bühne: Die aus Belgrad stammende Performerin Dragana Bulut führt den Zuschauer*innen mit »Behind Fear« humor­voll das eigene Bedürfnis nach Sicherheit vor Augen, während diese sich, beschützt von einem Security-Team, die Frage stel­len müssen: »Wie gehen wir eigent­­lich mit Bedrohung um?« Die Lec­­ture-Perfomance des serbischen, disabled Künstlers Dalibor Šandor reflektiert, wie die Gesellschaft mit Behinderung umgeht, oder konkreter: »Wie verhalte ich mich gegenüber einer blinden Person? Wie kommuniziere ich mit einem taubstummen Menschen?«

In der Performance »Nach dem Ende« erzählen die Perfor­mer*innen, die tatsächlich als ­Be­­stat­ter*in­nen arbeiten, vom Waschen der Verstorbenen, dem Ankleiden, dem Schminken und in den Sarg Betten, von Freun­d*in­­nen­schaf­ten und besonderen Begegnungen.

»Wir glauben, dass spannende Begegnungen entstehen, wenn man sich den Unsicherheiten des Alltags stellt, ihnen eben nicht wie sonst aus dem Weg geht«, sagt Anna-Mareen Henke. Eines der spannendsten Stücke im diesjährigen Spielplan: »Cola Lemon 30 Cent« über die Glücksspielsucht. Halb Performance, halb Videoinstallation ist es in der leerstehenden Kneipe »Am Subbelrather Hof« zu sehen, für die Recherche hat sich Sound- und Videokünstler Frederik Werth zusammen mit Henke in den Spielhöllen der Stadt herumgetrieben. Es sind Orte, an denen die Zeit keine Rollen mehr zu spielen scheint, abgedunkelt gegen das Außenlicht und mit Verpflegung — Cola Lemon 30 Cent — so günstig, dass man sich zumindest um die Getränkerechnung nicht zu sorgen braucht. »Am Automaten, jenseits der Zeit und am Ende der Gefühle, wird alles zum Spiel, zur gefährlichen Simulation«, heißt es in der Ankündigung — ein Tabuthema, obgleich schätzungsweise 500.000 Menschen bundesweit ein problematisches Verhältnis zum Glücksspiel aufweisen.

Weil das Sommerblut ein dezentrales Festival ist, das an verschiedenen Orten und Spielstätten zur Aufführung kommt, gibt es in diesem Jahr ein Novum: Das »Kiosk«, eine mobile Festivalzentrale, das DJ-Theke, Podcast-Studio und Veranstaltungsraum in einem ist. Unter freiem Himmel und mit Konzertbühne und Sitzgelegenheiten wird es zwischen den Spielorten wandern, vom Carlsgarten am Schauspiel Köln zum Ebertplatz, von dort in den Garten des Orangerie Theaters und schließlich auf den Lichthof der TanzFaktur. Ein Treffpunkt, um mit Künstler*innen ins Gespräch zu kommen oder einfach nur ein Feierabendbier an einem lauen Frühlingsabend zu trinken. 

Sommerblut Kulturfestival, 8.–24.5., sommerblut.de